Musiktheater:Multiples Ereignisfeld

Am zweiten Tag der Musiktheater-Biennale wird deutlich: Entscheidender als das, was präsentiert wird, ist der Vorgang der Präsentation

Von Egbert Tholl

In der Muffathalle, also im Atelier schräg oberhalb des Cafés, wohnt ein Viech. Dieses schnauft und knarrt, knarzt und ächzt, fiept und brummt, und wenn man lieb zu ihm ist, macht es Geräusche, die klingen, als schwirrten einem Insekten durchs Ohr. Das liegt auch daran, dass man einen Kopfhörer trägt, der des Viechs Klangkosmos direkt in den eigenen Schädel implantiert. Akustisch aktiv wird das Viech ohnehin nur, wenn sich zwei Damen seiner annehmen, Judith Egger und Neele Hülcker, die das Ding, "Hundun" mit Namen, auch für die Biennale erfunden haben. Dann wuseln sie an seiner Außenhaut entlang und in seinem Inneren herum und lassen Geräusch werden.

Man kann nun den beiden Damen folgen und in "Hundun" chinesische Mythologie, Taoismus und Schöpfungsmythen erkennen. Man kann sich aber auch entspannt einem Akt der Klanggenese, der Evolution hingeben und sich daran erfreuen, dass das Muffat wieder da ist. Das Muffat, in Gestalt dem Hundun nicht unähnlich, begleitete einst als Geschöpf der Bairischen Geisha eine Ausgabe des "Spielart"-Festivals, als rasselndes Orakel. Und von orakelhaften Äußerungen hat ja nun auch das Grunze- und Ächzeviech etwas, nämlich die Rätselhaftigkeit.

An diesem zweiten Tag der Musiktheater-Biennale wird deutlich, was man ohnehin schon ahnte: Entscheidender als das, was präsentiert wird, ist der Vorgang der Präsentation. Bei "Hundun" von musikalischem Material zu sprechen, erfordert sehr viel Phantasie. Bei den "Navidson Records" danach in der Lothringer 13 gelingt das besser, vor allem, wenn man die Komposition von Benedikt Schiefer mitkriegt, die aber leider nur vom Band kommt. Vage im Hintergrund spukt dazu noch ein Buch herum, "The House of Leaves" von Mark Z. Danielewski, dessen Lektüre man aber keineswegs als unabdingbare Anleitung für die von Tassilo Tesche und Till Wyler von Ballmoos erfundene Suche nach einem Ereignis begreifen sollte.

"The Navidson Records" besteht aus einem Labyrinth in eben der Lothringer 13, in welchem man beim Stromern durch die verschachtelten Räumlichkeiten mal zwei wesenhaften Mädchen begegnet, die mit Inbrunst und hohem Können auf Trommeln und eine große Dose Bonduelle-Mais einschlagen, mal einer Cellistin, einem Sänger, einer Harfe oder einer Oboe. Die Gerätschaften dienen dem Herstellen der, äh, Musik von Ole Hübner und Rosalba Quindici, dann singt noch ein Chor, ziemlich fad leider, so dass man doch lieber selbst an den bereitgestellten Mini-Synthesizern herumspielt.

Faszinierend ist, dass man viel länger bleibt, als man vorhatte. Die Installation lädt zum temporären Wohnen ein und krankt nur an dem Umstand, dass über weite Strecken zu wenig oder gar nichts passiert, so dass jedes Fiepen gleich alle Besucher an ein und denselben Ort im Labyrinth lockt wie das Licht die Motten. Da ist dann die Gleichzeitigkeit von Nichts und Viel dahin, da trifft man keine selbstständigen Entscheidungen mehr, weil man ja nicht zurückbleiben will, während die Herde zur Tränke trabt. Wenn aber, was regelmäßig vorkommt, sich die gesamte Anlage in ein multiples Ereignisfeld verwandelt, wird es toll.

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