Musiktheater:Gut und böse

Musiktheater: Jetzt wird es ernst: Linda und Leon in der Rolle der Geschwister Aninka und Pepíček.

Jetzt wird es ernst: Linda und Leon in der Rolle der Geschwister Aninka und Pepíček.

(Foto: Carolin Wiedmann)

Die Sarré-Musikproduktion "Brundibár" ergänzt die Kinderoper aus dem KZ Theresienstadt mit fiktiven Tagebucheinträgen und einem Interview der Zeitzeugin Dagmar Lieblová

Von Barbara Hordych

Kinder spielen an einem Bach, eine Frau mit Judenstern auf der Bluse hält lachend ihre Ernte aus einem Garten in die Kamera. Idyllisch sei das Leben im "jüdischen Siedlungsgebiet", suggeriert der Nazi-Propagandafilm "Theresienstadt". Der entstand 1944 unter der Ägide der SS in Theresienstadt, das in diesem Film zum utopischen Ort wird: Erwachsene gehen spazieren, sitzen im Café, musizieren oder spielen Fußball. Ein Kinderchor singt die Oper "Brundibár".

Tatsächlich wurde Hans Krásas Werk von September 1943 an 55 mal in Theresienstadt aufgeführt. Eine Zeit lang wirkte auch die damals 13-jährige Dagmar Lieblová im Chor an den Aufführungen mit, bevor sie im Dezember 1943 nach Auschwitz transportiert wurde, wo ihre Eltern und ihre Schwester getötet wurden. Dagmar Lieblová wird zugegen sein, wenn an diesem Mittwoch "Brundibár", die neue Produktion von Sarré Musikprojekte, in Kooperation mit der Europäischen Janusz Korczak Akademie in München aufgeführt wird. Für die Inszenierung haben sich die Leiterin Verena Sarré und ihre Regisseurin Julia Riegel ein besonderes Konzept überlegt.

In diesem spielen Dagmar Lieblová und der Film als zynisches Dokument der Täuschung eine wichtige Rolle. Ebenso wie das Projekt "Stadtverschönerung", mit dem eine Delegation des Internationalen Roten Kreuzes, die im Juni 1944 das KZ Theresienstadt inspizierte, erfolgreich getäuscht wurde. Dem Komitee wurde eine funktionierende Infrastruktur vorgespielt, für die die jüdischen Gefangenen Spielplätze und ein Gemeinschaftszentrum bauen, Fassaden streichen und Rosen pflanzen mussten. "Danach wurde ein Großteil von ihnen in Auschwitz ermordet", sagt Julia Riegel.

Im szenischen Prolog erzählen zwei Mädchen, Irma und Anna, vom Besuch des Komitees und den Dreharbeiten für den Film. Sie tragen fiktive Tagebuchaufzeichnungen vor, in denen sie ihre Ankunft im Lager schildern, die Lebensumstände, den Schmutz, den Hunger, die Arbeit und die allgegenwärtige Drohung der SS-Aufseher mit dem "Transport". Die Aufzeichnungen sind musikalisch unterlegt mit Auszügen aus Wilfried Hillers "Theresienstädter Tagebuch" sowie Sergej Prokofjews Ouvertüre über hebräische Themen, gesungen von den Kindern der Sarré-Akademie, gespielt von Orchestermusikern der bayerischen Staatstheater.

"Es war mir wichtig, nicht nur die x-te Brundibár-Aufführung zu zeigen. Ich wollte auch den historischen Kontext mit den Kindern besprechen und mit ihnen gestalten", sagt Verena Sarré. Mit einer Zwangsarbeiter-Choreografie konterkarieren die Jugendlichen beispielsweise die eingeblendeten Bilder aus dem Propagandafilm.

"Das Schlimmste an Theresienstadt war die Angst, weggeschickt zu werden", ist Dagmar Lieblovás Stimme in einer Einspielung zu hören. Es sind Ausschnitte aus einem Interview, das einer der Mitwirkenden, Moritz Spender, im Rahmen eines Schulprojekts im vergangenen Jahr mit der emeritierten Germanistikprofessorin in Prag geführt hat. "Brundibár ist ein Märchen vom normalen Leben", lautet später ihr Kommentar, als Anna in ihrem fiktiven Tagebuch vom Probenbeginn zur Kinderoper berichtet. In diese platzen die armen Geschwister Aninka und Pepíček hinein, die dringend Milch für ihre kranke Mutter besorgen müssen. Bald darauf schlafen sie ein und träumen davon, wie sie mit Hilfe von Hund, Katze und Spatz und vielen Kindern den gemeinen Leierkastenmann Brundibár vertreiben. "Bestimmt war es eine Möglichkeit für die eingesperrten Kinder, einmal fröhlich zu sein mit der Musik", sagt der zehnjährige Pepíček-Darsteller Leon. Zugegeben: Die Verjagung von Brundibár ist eine recht einfache Geschichte von Gut und Böse; in der Sarré-Produktion sind es 60 Kinder christlicher, jüdischer und muslimischer Herkunft, die diese Aufgabe gemeinsam übernehmen. Ein interreligiöser Aspekt, der Verena Sarré besonders wichtig ist. Weil gerade der heute alles andere als einfach zu sein scheint.

Brundibár, Mittwoch, 18. November, 17.30 Uhr, Alte Kongresshalle, Theresienhöhe 15

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