Musiktheater:Experiment Arche

Noah

Die Geschichte von der Sintflut kennt man in unterschiedlichen Kulturkreisen. Die Katastrophe hat viel mit den Erfahrungen der Flüchtlinge zu tun.

(Foto: Wilfried Hösl)

Das Projekt "Noah" der Bayerischen Staatsoper vereint Jugendliche aus unterschiedlichsten Ländern und fragt nach der Gesellschaft der Zukunft

Von Barbara Doll

Dienstagnachmittag in der Giesinger McGraw-Kaserne: Aus den Probenräumen der Bayerischen Staatsoper tönen heute keine Arien. Gut zwei Dutzend Jugendliche wuseln herum, Mädchen in neonfarbenen Röckchen, junge Männer im Muskelshirt. Sie sind zwischen 13 und 22 Jahre alt und kommen aus zehn verschiedenen Ländern, darunter Afghanistan, Syrien, Kosovo, Nepal und Deutschland. Alle machen mit beim Musiktheaterprojekt "Noah" der Bayerischen Staatsoper. Grundlage ist die Geschichte der Arche Noah, die mit den Biografien der Jugendlichen verwoben wird. Die ersten Überlegungen zu einem solchen integrativen Projekt gab es schon vor zwei Jahren; die Entwicklungen der vergangenen Monate machten sie wieder aktuell. Also hat die Bayerische Staatsoper Regisseurin Jessica Glause engagiert, die auf dokumentarische Stückentwicklung spezialisiert ist und das Musiktheaterstück seit einigen Monaten gemeinsam mit den Jugendlichen entwickelt.

"Wir machen hier minimale Gesellschaftsbildung", sagt Glause, "es ist ein Experiment, zu sagen: Wie sieht denn die neue Gesellschaft aus, die hier aufeinandertrifft?" Um das herauszufinden, hat sie zunächst ein Wochenende lang mit vielen Jugendlichen gesprochen und sich deren Geschichten erzählen lassen. Am Ende stand die Besetzung für "Noah", die sich bewusst aus drei unterschiedlichen Gruppen zusammensetzt: Flüchtlinge, die erst seit ein paar Monaten in München sind, Post-Migranten, die schon Jahre hier leben, und junge Münchner, die hier geboren sind. Manche haben bereits bei Theaterprojekten mitgemacht oder spielen in Orchestern, für andere ist alles neu. Jeder darf tun, was er gut kann - oder etwas Neues lernen: Artina aus dem Kosovo lebt ihre Liebe zur Schauspielerei aus, Adnan aus Syrien erspürt sein Rhythmusgefühl mit der Trommel, Anna aus München spielt Bratsche.

Erzählen, ausprobieren, erfinden: In vielen Gesprächen und szenischen Übungen ist das Stück "Noah" entstanden - und aus drei verschiedenen Gruppen wurde eine. Den Mythos von Noah und seiner Flucht vor der Sintflut kennt fast jeder, er kommt in der Bibel vor, im Hinduismus, im Koran. Noahs Themen, Katastrophe, Flucht und Neuanfang, sind auch die Themen der Flüchtlinge.

Regisseurin Jessica Glause hat im Sinn der dokumentarischen Stückentwicklung nah an den Biografien der Jugendlichen angesetzt: "Wir haben uns zum Beispiel überlegt: Wie war denn der Weg der Arche? Die ist auf dem Berg Ararat gestrandet, und genau über diese Gebirgskette in der Türkei kommen heute viele Flüchtlinge aus Afghanistan und Pakistan."

Auch der 16-jährige Pakir ist über dieses Gebirge geflohen. Er durchquerte den Iran und die Türkei, stieg in einen LKW, war eine Woche im Gefängnis irgendwo auf dem Balkan - und ist jetzt seit einem Jahr in München. Er möchte Schneider werden und hat schon ein Praktikum an der Bayerischen Staatsoper gemacht. Die 14-jährige Lena aus München hat sich mit Pakir und den anderen Jungen aus Afghanistan und Syrien angefreundet. Beim Erarbeiten der Texte haben sie über ihre Träume und Wünsche gesprochen. "Als man dann gehört hat, mit welchen einfachen Sachen sie schon zufrieden sind, war das unglaublich", sagt Lena, "ruhig schlafen können, keine Alpträume haben müssen, zu wissen, dass man in Sicherheit ist - das ist für sie das Paradies."

Nicht nur die Flucht-Geschichten haben Lena und die anderen Münchner berührt, auch die Lebensfreude der Flüchtlinge. In den Pausen lernen sie ihnen mit Handy-Videos syrische Tänze. Bei diesem Musiktheaterprojekt, sagt Jessica Glause, "geht es natürlich auch um die Konfrontation zwischen Mädchen und Jungs." Viele junge Männer aus Afghanistan oder Pakistan seien noch nie mit so vielen Mädchen ohne Kopftuch in einem Raum gewesen: "Einer hat mir erzählt, er habe fünfmal im Leben die Haare seiner Mutter gesehen."

Entsprechend viel wird gekichert und geratscht, und neben Jessica Glause braucht auch Benedikt Brachtel viel Geduld. Der Münchner Komponist leitet die musikalischen Proben und hat Arrangements und neue Stücke für Noah geschrieben. Viele Passagen stammen aus Benjamin Brittens Oper "Noahs Flut"; insgesamt wird es "bunt und poppig" klingen, mit "viel Rhythmik, arabischer Popmusik, Viertelton-Musik, Sprechgesang, Percussion." Mit etwa 18 Musikern ist ein recht großer Klangkörper entstanden. Viele Jugendliche haben noch nie selbst Musik gemacht, aber jetzt spielen sie Tamtam, Gong, Cajon, Darabuka. "Das Wichtigste ist", sagt Benedikt Brachtel, "dass ich allen etwas in die Hand drücken kann und alle mitmachen können."

Noah, Rennert-Saal der Bay. Staatsoper, Premiere: So., 8. Mai, 19.30 Uhr, Weitere Termine: Di., 10. Mai, 19.30, Mi., 11. Mai (19.30), Fr., 13. Mai, 17 und 19.30 Uhr, Sa., 14. Mai, 16 Uhr

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