Musikindustrie:Mein Song, mein Geld

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Ein Mitglied der Piratenpartei hat in Berlin ein Urteil erstritten, das die deutsche Musikindustrie grundlegend verändern könnte. Die Streitfrage: Darf die Verwertungsgesellschaft Gema automatisch Geld an Musikverlage überweisen?

Von Michael Stallknecht

Eigentlich hatte man die Piratenpartei ja schon abgeschrieben, nachdem sie vor wenigen Wochen den Wiedereinzug ins Berliner Abgeordnetenhaus verpasst hatte. Doch nun hat eines ihrer ehemaligen Mitglieder mit Unterstützung der Partei vor dem Kammergericht in Berlin ein Urteil erstritten, dass zumindest der Musikindustrie erhebliche Veränderungen bescheren dürfte. Der Musiker Bruno Kramm hatte gemeinsam mit seinem Bandkollegen Stefan Ackermann dagegen geklagt, dass die Musikverwertungsgesellschaft Gema bei Aufführungen und Plattenaufnahmen automatisch einen Teil der Einnahmen an die Musikverlage weitergibt, welche die Arbeiten von Komponisten und Liedtextern publizieren. Laut Geschäftsbericht sind 5300 Verlage in der GEMA vertreten.

Berufen hat sich das Gericht auf eine ähnliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom April dieses Jahres, die die Buch-, Zeitschriften- und Zeitungsverlage betraf. Dort hatte die Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) im Namen der von ihr vertretenen Autoren dagegen geklagt, dass die Verlage automatisch einen Teil der Einnahmen für sich behalten. Wie in der vergangenen Woche bekannt wurde, kommen auf die Verlage nun Rückzahlungen von bis zu 100 Millionen Euro zu. Für manchen kleinen Verlag ist das Urteil existenzgefährdend, auch wenn die VG Wort in solchen Fällen Aufschub gewähren will.

Ähnlich könnte es nun auch den Musikverlagen ergehen. Dass die Gema an sie einen Anteil ausschüttet, war bisher tatsächlich nicht selbstverständlicher Teil der entsprechenden Verträge. Es hatte sich in den Jahrzehnten seit der Gründung im Jahr 1903 zu einem schleichenden Gewohnheitsrecht entwickelt. Das Urteil ist bisher noch nicht rechtskräftig, eine Revision ist aber nicht mehr möglich. Bruno Kramm hatte sich hauptsächlich darauf berufen, dass Komponisten heute gar nicht mehr unbedingt einen Verlag bräuchten, weil sich Kompositionen auch beliebig kostenlos über das Internet vertreiben ließen.

Damit hat er zwar recht, übersieht aber die wichtige Funktion, die Verlage für den Musikmarkt haben. Bei einem Verlag zu veröffentlichen, bedeutet immer noch ein Gütesiegel für einen Komponisten, und es nimmt ihm auch eine ganze Menge Arbeit ab. Aufgrund der ausgezahlten Beteiligungen sind Verlage daran interessiert, dass die Werke ihrer Komponisten auch gespielt werden. Entsprechend bewerben sie die Stücke. Im Bereich der neueren klassischen Kompositionen beispielsweise leben viele kleine Verlage nahezu ausschließlich von den bei Aufführungen oder Rundfunksendungen fälligen Tantiemen.

Wie es nach dem Urteil weitergehen könnte, ist unklar. Von der "größten Umstellung der Gema in den letzten hundert Jahren" spricht Enjott Schneider, Aufsichtsratsvorsitzender und selbst Komponist, wenn die Verlagsbeteiligungen nun in allen Verträgen jeweils gesondert ausgewiesen werden müssten. In allen europäischen Staaten sei die gemeinsame Ausschüttung an Autoren und Verleger die Norm. Schneider hofft, dass durch Einspruch das Urteil erst gar keine Rechtskraft entfaltet. Die Gema befindet sich schon seit Längerem in Verhandlungen mit dem Bundesjustizministerium, das in Abstimmung mit europäischen Institutionen sowieso an einer Novellierung der Verlegerbeteiligung arbeite. Vorerst aber, kündigt er an, werde die Gema alle ihre Zahlungen an die Verlage einstellen.

© SZ vom 16.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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