Musikindustrie im Umbruch:Wanderzirkus Popstar

Während der Umsatz beim CD-Verkauf stetig fällt, treten Megastars in ausverkauften Stadien auf. Doch der Boom trügt: Auch die Live-Musik wird die Popbranche nicht retten können.

Caroline von Lowtzow

Auf diese These, so schien es, konnten sich im vergangenen Popmusikjahr alle einigen: Mit CDs lässt sich kein Geld mehr verdienen - Rettung verspricht nur noch die Live-Musik. Im Oktober lieferte schließlich Madonna das Manifest zum Trend: "Es hat im Musikgeschäft einen Paradigmenwechsel gegeben und als Künstlerin und Geschäftsfrau muss ich diesen Wechsel mitmachen."

Musikindustrie im Umbruch: Nur Megastars wie Madonna und U2 gelingt es, vor ausverkauften Rängen zu spielen.

Nur Megastars wie Madonna und U2 gelingt es, vor ausverkauften Rängen zu spielen.

(Foto: Foto: AP)

Für 120 Millionen Dollar verließ die 49-Jährige nach 25 Jahren ihre Plattenfirma Warner und wechselte zu Live Nation.

Der weltgrößte Konzertvermarkter wird die nächsten drei Madonna-Alben veröffentlichen und nicht nur ihre Konzerte, sondern auch sämtliche Werbeartikel exklusiv vermarkten.

Die Zahlen geben Madonna recht: Von ihrem aktuellen Album "Confessions On A Dancefloor" wurden zwar immer noch - für heutige Verhältnisse - respektable 1,6 Millionen Exemplare verkauft, doch diese Erlöse sind vergleichsweise läppisch angesichts der beinahe 200 Millionen Dollar, die der Superstar auf den 60 Konzerten seiner Tournee einspielte. Nur die Wiedervereinigungstournee von The Police spielte 2007 noch mehr Geld ein: 212 Millionen Dollar. Ein neues Album gab es gar nicht erst.

Das "360-Grad-Modell"

Dienten Konzerte noch bis vor wenigen Jahren dazu, das neueste Album eines Künstlers zu bewerben, ist es heute umgekehrt. Die Tournee ist das Ereignis, für das die CD werben soll. Allein 2007 rutschten die Verkaufszahlen von Alben - ob online oder als CD - in den USA, dem weltweit größten Musikmarkt, um satte 15 Prozent auf etwa 500 Millionen Stück ab. Laut dem Marktforschungsinstitut Nielsen SoundScan war dies der niedrigste Wert seit dem Beginn der Erhebungen im Jahr 1993.

Völlig anders entwickelte sich dagegen das Geschäft der Konzertveranstalter: Im ersten Halbjahr 2007 sei mit Livemusik fast doppelt so viel umgesetzt worden wie mit Tonträgern, verkündeten sie rechtzeitig vor der Eröffnung der größten deutschen Musikmesse Popkomm in Berlin. Ihr neues Selbstbewusstsein feiert die Branche seit zwei Jahren mit einer eigenen Gala. Bei den "Live Entertainment Awards" werden nicht die Künstler ausgezeichnet, sondern die am Erfolg beteiligten Veranstalter, Manager und Agenturen.

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Wanderzirkus Popstar

Es verwundert deshalb kaum, dass mittlerweile auch die schwer gebeutelte Plattenindustrie an der begehrten Ware Live-Musik mitverdienen will. "Wir investieren viel Zeit und Geld, um Künstler aufzubauen, deshalb wollen wir in allen Bereichen, von der CD bis zum Auftritt unserer Künstler, beteiligt sein", erklärte auf der Popkomm Edgar Berger, Deutschlandchef von Sony BMG, einem der verbliebenen vier großen Plattenkonzerne.

Das Konzerterlebnis lässt sich nicht downloaden

Im August erwarb sein Unternehmen Beteiligungen an den Konzertveranstaltern Bucardo und MTS, Konkurrent Universal übernahm die Firma Sanctuary, die sich auf Fanartikel, Liveauftritte und Bandmanagement spezialisiert hat. "360-Grad-Modell" heißt die Zauberformel, mit der sich die Musikindustrie noch einmal die Schlinge vom Hals reißen will.

Wenn mit dem Verkauf von CDs schon kein Geld mehr zu verdienen ist, müssen eben andere Einnahmequellen erschlossen werden. Jedenfalls theoretisch. Das Konzerterlebnis - so die gängige Argumentation, um das Wachstum im Bereich Live Entertainment zu erklären - lässt sich nun einmal nicht im Netz downloaden und so problemlos kopieren wie eine Musikdatei.

Ein Konzert ist einzigartig und das Geld, das die Konsumenten bei den CDs sparen, stecken sie nun eben in Tickets. Doch dass der Konzertmarkt grenzenlos boomen könnte, immer mehr Menschen auf immer mehr Konzerte gehen werden - diese Hoffnung ist in Wahrheit kaum mehr als eine Schimäre.

Zwar wächst der Live-Markt noch. Dennoch ist der Umsatz, wie eine Studie der Gesellschaft für Konsumforschung belegt, zwischen den Jahren 2003 und 2007 nur sehr moderat von 2,7 Milliarden Euro auf 2,88 Milliarden Euro angestiegen. Zwar geben die Deutschen fast doppelt so viel Geld für Konzerttickets aus wie für CDs. Verantwortlich sind dafür aber vor allem die rapide gestiegenen Ticketpreise, die auch das Umsatzwachstum beim Ticketverkauf vorantreiben.

Teure Konzerte sind im Voraus ausgebucht

Um die Verluste bei den CD-Einnahmen wettzumachen, fordern die Künstler höhere Gagen. Dadurch haben sich Konzertkarten in den vergangenen fünf Jahren um rund ein Drittel verteuert. Vor allem Superstars wie U2, Police, die Rolling Stones oder eben Madonna können die Preise schier unbegrenzt in die Höhe treiben. Für das einzige Barbra-Streisand-Konzert in Deutschland zahlten Besucher 400 Euro, Céline Dion verlangt für ihre Tour im Juni Ticketpreise bis zu 450 Euro. Und dennoch: "Die teuersten Karten sind die, die immer am schnellsten verkauft sind", sagt Herrmann Zimmermann, Pressesprecher von CTS Eventim, dem größten deutschen Ticketvermarkter und Konzertveranstalter.

Teure Konzerte sind oft ein Jahr im Voraus ausverkauft. "Die Zuschauer wollen nur die Topstars sehen, keine Durchschnittsware", erklärt Zimmermann die ungeheure Nachfrage nach den Superstars. Für ein scheinbar einzigartiges musikalisches Erlebnis seien Musikfans bereit, sehr viel Geld zu bezahlen. Aber sie überlegten sich sehr genau, welche Künstler ihnen diesen Wunsch erfüllen könnten.

Jeden Tag fünf Bands

Gespart, so Zimmermann, werde vor allem bei den mittelgroßen Bands. Es ist wie in der Mode: Luxusmarken verkaufen sich gut, ebenso die von H&M. Alle anderen kämpfen ums Überleben. Bleiben die Topkünstler jedoch aus, bricht das Geschäft mit dem Live-Erlebnis umgehend ein. Auch das war im vergangenen Jahr in der Vereinigten Staaten zu beobachten. Weil zu wenig große Stars tourten, gingen die Ticketumsätze trotz der Erfolge von Madonna und Police um satte zehn Prozent zurück, die Zahl der Konzertgänger schrumpfte gar um 20 Prozent. Ob 2008 erfolgreicher sein wird, hängt einzig davon ab, welche großen Bands auf Tournee gehen werden.

Die Realität in den kleinen und mittleren Konzerthallen ist von all dem weit entfernt. Jenseits der Superstars boomt die Konzertbranche zwar ebenso - doch auf ganz andere Weise. Es wollen so viele Bands live spielen, dass sie sich vor den Clubs gegenseitig auf den Füßen stehen. Konzerte sind für diese Gruppen tatsächlich die einzige Chance, Geld zu verdienen. Allein es zeigt sich schon jetzt: Es gibt nicht genug Publikum.

In den Tourneejahreszeiten Frühling und Herbst spielen in Städten wie München oder Hamburg jeden Tag mindestens fünf bekannte Bands. Selbst ein großer Fan des britischen Pop wird jedoch kaum auch noch das Konzert der Kaiser Chiefs besuchen, wenn kurz zuvor bereits Travis und Maximo Park in der Stadt waren. Vor allem wenn die Band innerhalb der letzten zwei Jahre schon vier Konzerte gespielt hat. Statt der erwarteten 3000 Zuschauer erschien bei den Kaiser Chiefs in München kaum die Hälfte.

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Wanderzirkus Popstar

"Die Einnahmen aus dem Live-Bereich können die Verluste bei den CD-Verkäufen nicht wettmachen", sagt Severin Most, der Konzerte für die Bands des angesehenen Berliner Independent Labels Cityslang bucht. Seit Anfang des vergangenen Jahres hat auch Cityslang eine eigene Booking-Agentur.

"Der Live-Boom ist nur herbeigeredet"

Das Modell, nicht nur die Platten von Musikern zu veröffentlichen, sondern sich auch um die Konzerte, die Fanartikel, die Vermarktung und die Verwertung der Rechte zu kümmern, ist nicht neu. Schon vor zehn Jahren gründeten die deutschen Hip-Hop-Pioniere Die Fantastischen Vier neben ihrem Label Four Music die Booking-Agentur Four Artists. Das kleine Hamburger Label Tapete kümmert sich seit 2003 auch um die Tourneen seiner Künstler.

"Wir müssen Bands diesen Service bieten, damit sie überhaupt zu uns kommen", sagt Severin Most von Cityslang. Der Rundumservice inklusive Tournee, Bandbus und Tourbegleitung, den Cityslang anbietet, soll dazu dienen, junge Künstler langfristig aufzubauen. Um einen Anteil am Live-Umsatzkuchen gehe es nicht. Zu Konzerten von Bands wie Malajube aus Montreal oder Caribou aus der Nähe von Toronto, die 2007 mit ihren Debütalben sowohl im Netz als auch in Magazinen große Aufmerksamkeit erregten, kommen bisher nur wenige hundert Zuschauer. "Der Liveboom ist nur herbeigeredet", sagt auch Frehn Hawel von der Konzertagentur Jahnke. Es werden insgesamt mehr Tickets verkauft, weil immer mehr Bands live spielen, die einzelnen Acts verkaufen jedoch weniger Karten.

Neben der großen Konkurrenz sind aber vor allem die verkürzten Halbwertszeiten für angesagte Bands das Problem. Alle paar Wochen wird über Internet-Plattformen wie Myspace oder Musik-Blogs wie Hype Machine ein neuer Künstler als bedeutende Neuentdeckung gepriesen. Und die großen Plattenfirmen nehmen sie sofort unter Vertrag. Die Black Kids aus Florida etwa spielten im Oktober beim New Yorker "CMJ Music Festival" ihren ersten Auftritt außerhalb ihrer Heimat Florida, wurden aber bereits von Quest Managment vertreten - dem Management von Stars wie der Pop-Sängerin Björk oder der kanadischen Rockband Arcade Fire.

Rasende Trendwechsel

"Bands wird heute kaum mehr Zeit gegeben, sich in Ruhe zu entwickeln", kritisiert Most. "Dass wir zur Zeit so viel gute Musik aus Kanada hören, liegt einfach daran, dass da in den letzten zehn Jahren niemand hingesehen hat." Für die Überflieger des vergangenen Jahres, Arcade Fire, deren Kultstatus sich vor allem auf die Live-Auftritte der Band gründet, hat sich lange niemand interessiert. Mittlerweile spielen sie in ausverkauften Konzerthallen vor 4000 Besuchern.

Durch die neue Schnelllebigkeit ist es für Veranstalter schwieriger geworden, die Zugkraft einer Band einzuschätzen. Zum Konzert der jungen, bislang nur im Netz publizierenden Pariser Sängerin SoKo in Berlin kurz vor Weihnachten kamen aus dem Nichts mehr als 500 Zuschauer. Künstler wie Jens Friebe, dessen Platten im Herbst 2007 hoch gelobt wurden, spielen vor nicht einmal hundert Fans. Zu Rooney aus Kalifornien, deren Single "When Did Your Heart Go Missing" ein beachtlicher Independent-Hit war und sogar im Mainstream-Radio lief, kamen statt der erwarteten 800 mitunter kaum 400 Zuschauer.

Auch deutsche Erfolgsbands wie Wir sind Helden oder der Reggaekünstler Gentleman sind keine Selbstläufer mehr. Statt der durchschnittlich 6000 Zuschauer, die bei den Vorgänger-Tourneen in München in die Konzerte strömten, kam 2007 nur die Hälfte. Konzerte von Bands wie Silversteen wiederum oder die der seit 20 Jahren bestehenden Progressive-Metal-Band Dream Theater waren ausverkauft, obwohl sie in der Popmusik-Öffentlichkeit so gut wie nicht besprochen wurden.

Wenn aber selbst die vermeintlichen Zugpferde der Branche nicht mehr genug Musikfans anlocken, wird das Risiko für die Veranstalter, kleine und unbekannte Bands in ihren Clubs spielen zu lassen immer größer. Konzerte mit 50 Zuschauern sind keine Seltenheit. Um die Kosten für Raummiete, Plakate, Kasse, Tonanlage und die Unterkunft der Band aber auch nur annähernd decken zu können, müssen in der Regel mindestens 150 Zuschauer kommen.

Nicht wenige Bands ergreifen deshalb die ideologisch schmerzfreie Flucht nach vorn und versuchen sich neue Märkte zu erschließen. So spielte die im Grunde eher mittelbekannte New Yorker Rockband Yeah Yeah Yeahs im vorigen Oktober vor 10 000 Zuschauern auf einem Festival in Peking. Ein paar Tage zuvor hatten die Crossover-Veteranen Linkin Park ein chinesisches Stadion mit 25 000 Menschen gefüllt. Auch Sonic Youth spielten bereits in China, ebenso wie die Nine Inch Nails, selbst Musikeragenten und Ticketvermarkter wie die mächtige amerikanische Firma Ticketmaster haben inzwischen chinesische Büros eröffnet. Sogar das Quartett Birthday Boyz aus Brooklyn, das im Westen nur in winzigen Clubs spielt, tourte zwei Wochen erfolgreich in China.

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