Musikfilm "Endless":Frank Ocean, der Sisyphos mit Smartphone

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Frank Oceans R&B: nicht arrogant cool, sondern unbeirrt cool.

(Foto: FilmMagic/Getty Images)

Nach vier Jahren veröffentlicht der R&B-Star endlich neue Songs. In seinem Film "Endless" thematisiert Frank Ocean Handysucht. Und der Fotograf Wolfgang Tillmans singt mit.

Von Jan Kedves

Die Sendepause ist tatsächlich vorbei. Frank Ocean, der von seinen Anhängern abgöttisch verehrte kalifornische R&B-Sänger, der seine Fans zuletzt gegen sich aufbrachte, weil er die Veröffentlichung seines mutmaßlich "Boys Don't Cry" betitelten neuen Albums immer weiter herauszögerte, hat am Freitag über Apple Music ein neues Visual-Album veröffentlicht. Es trägt den Titel "Endless" und funktioniert nach derselben Methode, nach der im April auch das Visual-Album "Lemonade" des R&B-Superstars Beyoncé Knowles funktionierte: Im Prinzip ist es ein auf Filmlänge gestretchtes Musikvideo, dessen Regie Ocean selbst führte. Zu hören sind darin mutmaßlich die Songs seines neuen Albums, während man Ocean bei - ja, wobei eigentlich? - beobachtet.

Der Sänger kommentiert im Film die Internet-Hyterie, die unter seinen Fans ausbrach

Die erste Pointe von Frank Oceans "Endless"-Film ist nämlich, dass man den Sänger darin weder singen noch auf andere Weise seine Musik performen sieht. Sondern er bewegt sich nur sehr gemächlich durch eine Art Werkstatt in einer weiß getünchten Lagerhalle und zimmert darin sehr robust wirkende Holzboxen. So also präsentiert sich der Sänger, um dessen Sendepause zuletzt eine regelrechte Online-Hysterie ausgebrochen war: als bedächtiger Handwerker. Auch musikalisch lässt der 28-Jährige, bürgerlich Christopher Francis Ocean, seine Fans erst noch ein bisschen zappeln. Denn auf der Audiospur des Films singt zunächst gar nicht er selbst, sondern: Wolfgang Tillmans.

Lebe ich noch oder streame ich schon?

Wie bitte? Ja, richtig gelesen, einer der bedeutendsten deutschen Gegenwartskünstler erfindet sich gerade als Popsänger neu, vor kurzem hat Tillmans eine erste Single veröffentlicht. Die zweite, "Device Control", folgt Mitte September, beziehungsweise, um zu Frank Ocean zurückzukommen: Im "Endless"-Film ist Tillmans' neue Single schon jetzt zu hören. Zu Beginn von "Endless", während man in komplett entsättigten Schwarz-Weiß-Bildern Ocean dabei zusieht, wie er seine mysteriösen Holzboxen zusammenzimmert - und wie er die Arbeit an ihnen immer wieder unterbricht, um auf sein Smartphone zu blicken -, singt Tillmans zu dräuendem Synthesizer-Wabern: "With this Apple appliance you can capture live video, still motion pictures shot at high frequency, blurring the line between still and motion" - eine Meditation darüber, wie das moderne Leben komplett durch das Smartphone bestimmt ist, wie das Gerät Anspruch auf Dokumentation jeder einzelnen Sekunde in High-Definition erhebt, und was das mit den Menschen macht: Lebe ich noch oder streame ich schon?

Die Kombination Ocean/Tillmans ist im Grunde nicht so überraschend. Tillmans hat Ocean bereits für Magazine fotografiert, einige der so entstandenen Porträts hingen in Tillmans' jüngeren Ausstellungen. Vermutlich tauschte man Nummern und E-Mail-Adressen aus, wie man das eben so macht unter Stars, wenn man sich nicht ganz unsympathisch ist. So eröffnet nun also Tillmans' Smartphone-kritischer Song "Endless", was von Ocean sicher auch als kleiner Seitenhieb auf Apple gemeint ist. Denn nur weil er dem kalifornischen Computergiganten die exklusiven Premiere-Rechte an seinem Film und an seinem neuen Album teuer verkauft hat, muss das ja nicht heißen, dass er alles gut findet, wofür Apple steht. Oder doch?

Nein, Ocean - der in dem Film sehr, sehr häufig auf sein Smartphone blickt - scheint damit eher die Internet-Hysterie zu kommentieren, die unter seinen Fans zuletzt ausgebrochen war, weil immer wieder neue Gerüchte um dann doch nie bestätigte und verstrichene Veröffentlichungstermine aufkamen. Wie soll der Künstler einen guten Nachfolger zu seinem weltweit gefeierten Album "Channel Orange" (2012) fertigstellen, wenn er alle paar Minuten im Netz nachlesen muss, was seine Fans schon wieder über sein neues Album geschrieben haben?

Also ja, die Musik: Die Songs, die nach der Tillmans-Ouvertüre in "Endless" zu hören sind, stammen von Frank Ocean selbst und werden mutmaßlich in der einen oder anderen Form im Laufe dieses Wochenendes auch als klassisches Album, ohne Film, veröffentlicht werden. Es sind einige wahrlich wunderbare Stücke dabei, etwa die von Ocean in verzücktestem Falsett geschmachtete Coverversion des Isley-Brothers-Songs "At Your Best (You Are Love)". Ocean hat sie mit dem Radiohead-Musiker Johnny Greenwood (der hier für das Streicher-Arrangement verantwortlich ist) und dem britischen Elektro-Barden James Blake (der die Synthesizer bedient) aufgenommen. Auch einige der von Ocean selbst geschriebenen Songs sind brillant, etwa das elegant klöppelnde "Comme des Garçons" oder das fast schon folkige, mit Akustikgitarre gesungene "Slide On Me".

Der Sänger als Sisyphos, als tragischer Held seines eigenen kreativen Prozesses

Insgesamt ist dies Musik, mit der Ocean sich nicht neu erfindet, im Gegenteil: Es bleibt sein eigener R&B-Entwurf, der tief aus Blues, Soul und Gospel schöpft und doch, mit langsam grollenden Subbässen und metallisch hubschraubernden Hi-Hats, so wie man sie aus dem Trap-Rap kennt, gänzlich modern klingt. Fast noch wichtiger: Es ist ein R&B, der trotz der immer wieder eingestreuten Schmacht- und Barm-Passagen komplett cool bleibt, aber nicht arrogant cool, sondern unbeirrt cool. Als wolle Ocean mit seiner Musik zwar Gefühl zulassen, aber Tempo rausnehmen.

Im 45-minütigen "Endless"-Film wird dann irgendwann klar, dass die Holzboxen, die Ocean baut, Elemente für eine Treppe sind, die in der Mitte der Lagerhalle errichtet wird. Fast schon merkwürdig, welche Spannung sich aus dem Errichten einer Treppe erzeugen lässt. Denn natürlich kann man kaum erwarten, dass Ocean die Treppe endlich hochsteigt, und irgendwann setzt er tatsächlich einen Fuß auf die erste Stufe, dann die zweite, und so weiter. Dann allerdings kommt ein pinkfarbener Blitz - der einzige Farbakzent in dem ansonsten komplett schwarzweiß gehaltenen Film -, und danach geht alles wieder von vorne los: Ocean sitzt wieder auf der leeren Werkbank und guckt auf sein Handy, Tillmans singt vom "Internet-Scheiß", die Holzboxen und die Treppe sind verschwunden, alles muss neu gebaut werden. Der Sänger als Sisyphos, als tragischer Held seines eigenen kreativen Prozesses, der immer wieder von seiner Smartphone-Sucht torpediert wird? Oder: der Sänger als Opfer seines Perfektionismus? Führte er dazu, dass Ocean mutmaßlich immer wieder von vorne anfangen musste und seine Fans deswegen vier lange Jahre auf neue Songs warten mussten?

Eine dieser, oder eine Kombination dieser Deutungen wird schon stimmen. Dass nun aber bitte niemand "Spoiler Alert" schimpft, nur weil hier steht, dass Frank Ocean nie ganz oben ankommt. So spannend ist die Sache mit der Treppe dann auch wieder nicht, abgesehen davon geht es ja immer noch hauptsächlich um Musik. Und für die hat sich das Warten, soviel lässt sich jedenfalls sagen, wirklich gelohnt.

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