Musik:Verwirrspiele zum Tanzen

Musik: Ein anderer Kosmos: die ungewöhnliche Band "Rainer von Vielen".

Ein anderer Kosmos: die ungewöhnliche Band "Rainer von Vielen".

(Foto: RVV)

"Rainer von Vielen" stellen im Feierwerk ihr Album "Überall Chaos" vor

Von Michael Zirnstein

Rainer von Vielen ist ein Meister darin, Verwirrung zu stiften. Das fängt schon beim Namen an, denn Rainer von Vielen ist eine Band. Aber auch ein Mann. Genauer, es ist der Künstlername von Rainer Hartmann, der dieses Projekt 1998 gründete. Als Ein-Mann-Elektro-Hip-Hop-Band, nach und nach ergänzt um immer mehr Musiker. Wobei der 39-Jährige alleine schon einen ganzen Chor an Stimmen in sich trägt: Da gibt es ein eher selten eingesetztes schlagereskes Gesangsorgan, ein fröhliches Punkrock-Grollen, ein kehliges, maskulines Brummen wie einst bei der Berliner Dancehall-Bigband Seeed oder vom Schlau-Rapper Dendemann, ein elektronisch verfremdetes Roboter-Scheppern und ätherisch-zirpenden Obertongesang.

Zwei Mal singt der vielfältige Rainer auf dem neuen Album "Überall Chaos" auch im Falsett wie ein Kastrat, es ist eine verführerische Frauenstimme, die den Hörer zum Beispiel in den Refrains von "Divan" in ihre Kissen lockt, einmal auch in einer arabesken Melodielinie: "Auch wenn draußen Trümmer rauchen, komm auf meinen Divan." Das ist queer, hat also etwas von Travestie, ist auch camp, also kunstvoll kitschig. Komisch und irritierend wirkt auch, wenn die Band auf einem aktuellen Pressefoto ihre Köpfe auf dralle junge Frauenkörper wie bei einer Girl-Group montiert. "Ich mag dieses Verwirrspiel", sagt Hartmann, der gerne "Erwartungshaltungen durchbricht". Auch in seinen Texten geht es diesem Pop-Philosophen darum, zu ergründen: "Was steckt eigentlich hinter den Wahrheiten, die wir uns antrainiert haben?" Dazu gehört für ihn das Täuschungstheater mit den Rollenklischees.

In einem anderen Stück, in dem Hartmann mit Männerstimme selbstzufrieden Poesiealbumssätze singt wie "Ich habe Brücken errichtet, um den Holzweg zu vermeiden, habe Kreuzungen gebaut, woran die Geister sich scheiden", kontrastiert er mit dieser Frauenstimme: "Ich bin die Unschuld vom Land". Ja, er, der auf einem Bauernhof im Allgäu lebt, ist der Kämpfer für das Gute, aber er ist auch derjenige, der sich dafür selbst auf die Schippe nimmt. Zunächst wollte er die hohe Stimme von einer Frau einsingen lassen, aber selbst geträllert bekommt der Text etwas Selbstentlarvendes, Komödiantisches. Man kann sich gut vorstellen, warum jemand vom österreichischen Szene-Radio Fm4 (dessen Protestsong-Contest Rainer von Vielen 2005 gewannen) darin "eine Mischung aus Erste Allgemeine Verunsicherung und Dendemann" erkannte.

In diesem Sinne hat die Band auch ihre erste Cover-Version aufgenommen. Rainer von Vielen haben "We Care A Lot" von Faith No More schon vor einem Jahr mit "Wir kümmern uns" übersetzt. Da holten sie gegen Fukushima, Flüchtlingspolitik und andere Malaisen zum Rundumschlag aus: "Einer muss den Drecksjob machen. Wir kümmern uns." Das ging nur für sie, weil schon das 30 Jahre alte Original kein bloßes Anprangern der Zustände war, sondern eher ein Sich-lustig-machen über Benefiz-Band-Projekte wie "Live-Aid". Außerdem konnten sich die vier Musiker von Rainer von Vielen nur auf das Stück einigen, weil sie "alle eine Faith-No-More-Jugend hatten", wie Hartmann sagt. Ansonsten sind ihre eigentlichen musikalischen Vorlieben höchst unterschiedlich, was die Platte wieder sehr vielfältig macht, von New-Age-Klängen zum Seele-Baumeln-Lassen ("Pendel") bis zum Hip-Hop mit Sprech-Samples von Hartmanns Sohn, und wieder mit vielen Zitaten von Kulturen aus aller Welt: "Mein Beitrag zum Integrationsgedanken", sagt Hartmann.

Eine Linie hat das Album dennoch: Man spürt die Wut, den Zorn und eine ungeheure Energie wie nie. Das liegt natürlich am "Chaos überall" von Aleppo bis Trump, aber auch am neuen Schlagzeuger: Sebastian Schwab war schon Drummer in Hartmanns erster Band Funkenflug, trommelte in den Von-Vielen-Frühstadien und blieb der Gruppe immer wieder in Theatermusikprojekten verbunden. Schwab liegen die harten Schläge, die sich mit den Alternative-Rock-Gitarrenriffs von Mitsch Oko und dem knackigen Bass von Dan le Tard zum aufrüttelnden Grundrumpeln vermengen. Und auch wenn Klang-Schöpfer Hartmann selbst im eigenen Stadl-Studio aus den Instrumenten-Spuren einen mehrdimensionalen Sound-Kosmos erschaffen hat, spürt man diesmal: mehr Rock, weniger Party.

Das gilt nicht für die Konzerte - vom Jugendzentrum Crailsheim und Szene-Clubs wie dem B 72 in Wien bis zur gegenkulturellen Anti-Atom-Massenkundgebung im Wendland gilt wieder das Motto ihres alten Songs: "Tanz die Revolution." Zur Plattentaufe im Feierwerk bringt Hartmann seine eigene Weltmusik-Trance-Band Orange mit, die nach dem Rainer-von-Vielen-Konzert im Orangehouse in der Kranhalle abschwirrt. Rainer in vielen Rollen - da weiß man, was man hat.

Rainer von Vielen, Freitag, 27. Januar, 20.30 Uhr, Feierwerk, Hansastr. 39-41

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