Musik:Münchner Klavierfrühling

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Zehntausende Klassikfans strömen zu Konzerten und Klavierabenden, von Trifonov bis Barenboim. Und der Pianist Radu Lupu wird als Altmeister bejubelt - zu Recht.

Von Helmut Mauró

München erweist sich nach wie vor als eines der wichtigsten Zentren für klassische Klavierkunst. Wenige Tage nachdem in der Philharmonie mehr als 14 000 Klassikfans den Pianisten Daniil Trifonov in sechs Konzerten bejubeln konnten, werben schon die nächsten Großmeister wie Daniel Barenboim und Marc-André Hamelin um Aufmerksamkeit, und sie bekommen sie. Auch der samstägliche Soloabend von Radu Lupu im Herkulessaal war nahezu ausverkauft - einer der besten Säle für Pianisten. Auch Trifonov spielt hier seine Recitals. Und so agieren gleichsam Großvater- und Enkelgeneration nebeneinander, ohne dass man sich für eine Seite entscheiden muss. Vielleicht ist es eine Besonderheit des Klavierfachs, dass die jüngeren die älteren Künstler nicht einfach ersetzen.

Vielleicht ist aber auch dies ein Münchner Phänomen, wo Altmeister wie Grigory Sokolov oder selbst Rudolf Buchbinder noch einen zweiten Karrierefrühling erlebten. Auch der rumänische Pianist Radu Lupu war nach seinen fulminanten Erfolgen in den Siebzigerjahren ein wenig in den Hintergrund getreten und ist nun wieder präsent wie eh und je. Dabei hat Lupu sich, und darin gleicht er Sokolov, seine innere Ruhe und Gelassenheit nicht nehmen lassen, hat nie versucht, in sportlichen Wettstreit mit der jüngeren Generation zu treten. Wozu auch? Seine technischen Möglichkeiten setzt Lupu ganz anders ein, stellt sie nicht aus, riskiert auch nicht mehr als nötig. Er ist kein Tastenteufel, der einen mitreißt in einen musikalischen Fiebertraum. Gemessenen Schrittes betritt er die Bühne, lässt sich auf seinem Stuhl nieder und bewegt von nun an nur noch die Finger. Sein Oberkörper bleibt in einer geraden Linie von Anfang bis Ende, obwohl er, als einziger Pianist seit Glenn Gould, einen Stuhl mit Rückenlehne benutzt. Aber diese Gemütlichkeit ist vorgetäuscht, die Lehne ist eher Grenze und Rahmen und kein Grund, sich gehen zu lassen.

Es gibt eigentlich keinen Grund, den Oberkörper rhythmisch zu bewegen

Diese Gefasstheit des nunmehr 71-jährigen Pianisten überträgt sich auch auf das Publikum, das in konzentrierter Ruhe zu sich selber kommt. Alle Aufregung findet ausschließlich in der Musik statt und soll auch dort bleiben, so ist das unausgesprochene Gesetz. Es gibt keinen Grund, in Joseph Haydns f-Moll-Variationen rhythmisch mit dem Oberkörper zu wippen oder in Robert Schumanns Klavierfantasie die ohnehin großen Klanggesten mit weit ausholenden Armbewegungen zu begleiten. Das würde nicht nur ablenken, es wäre auch würdelos. Radu Lupu beschäftigt sich stattdessen in Haydns Variationen mit dem Spannungsverhältnis von Melodie und Rhythmus, er misstraut den lustigen Intervallsprüngen und munteren Stimmkreuzungen, findet stattdessen melancholische Zwischentöne, verfolgt spieltechnisch ein beinahe durchgängiges, feines Legato, das jüngeren Pianisten mit wenigen Ausnahmen ganz fremd geworden ist.

Dabei verlangt diese Art zu spielen nicht nur maximale technische Fähigkeiten, auch wenn die nicht sichtbar werden, sondern ermöglicht auch ein Maximum an klanglicher Erzählkunst, ohne den Schönklang zum Fetisch zu erheben. In Schumanns Fantasie wurde dies besonders überzeugend klar. Die meisten Pianisten gehen da viel exzentrischer zu Werke, Radu Lupu aber behält die Nerven und gewinnt dem Stück trotzdem mehr Klangkraft und Seelendramatik ab. Das erstaunlichste Ergebnis seiner Tastenkunst zeigt sich im zweiten Teil, in dem er Peter Tschaikowskys Klavierzyklus "Die Jahreszeiten" so nahe an Schumanns Klangidee heranrückt, dass man den russischen Romantiker tatsächlich ganz neu hören lernt. Ovationen für Lupu.

© SZ vom 21.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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