Musik-CD: "Pop ist Sheriff 3":4 Minuten 26 Sekunden pures Glück

Im Netz kursieren Laien-Kritiken zu einer CD, die noch niemand gehört hat. Doch genau darum schreiben die Leute: Sie rezensieren ein Phantom, um die "echte" CD zu gewinnen. Wir haben sie schon hören können und finden - sie ist in der Tat jede Anstrengung wert.

Bernd Graff

Das ist entweder die bescheuertste oder mutigste oder auch nur beste Idee des noch jungen Jahres: Die Produzenten einer Musik-CD fordern ihre Kundschaft auf, eben jene CD zu besprechen und ihre Kritik auf einer Web-Site zu veröffentlichen. Einzige Bedingung: Die Laien-Rezensenten dürfen die CD noch nicht gehört haben.

Musik-CD: "Pop ist Sheriff 3": So sieht sie aus, die Hülle jener CD, die unter denjenigen, die noch niemand gehört hat, wohl am meisten besprochen wurde.

So sieht sie aus, die Hülle jener CD, die unter denjenigen, die noch niemand gehört hat, wohl am meisten besprochen wurde.

"Nun", so wird dieses absurde Ansinnen auf der Produzenten Website (LINK unten!) erläutert, "wirst Du richtigerweise fragen: ´Ja wie denn, die hab ich ja noch gar nicht gehört?´ Korrekt! Wir wollen beweisen, dass es eine ganz große Kunst ist, Rezensionen zu verfassen über Schallplatten, die man bisher nicht zu Gehör bekommen hat." Das ist, nun ja, keine Kunst, sondern Schwachsinn.

Doch die CD-Macher verschenken anschließend drei dieser ungehört besprochenen CD an ihre glanzvollsten und stärksten Kritiker. Das reicht schon: Die Leute besprechen, loben, lautmalen, reimen, phantasieren sich Tiefschürfendes in einer frei fliegenden Kritikaster-Poesie zurecht, dass sich die Balken biegen. Jargon pur, könnte alles echt sein. (Siehe Link unten!)

Alle wollen diese CD anscheinend haben, die doch erst Anfang Februar erscheinen wird.

Denn, auch das muss eiligst dazu gesagt werden, das umsprochene Werk ist eine Kompilation, die die Macher der "Late Lounge", einer ziemlich durchgeknallten Sendung des Hessischen Rundfunks, aus ihren "Schallplatten der Woche" zusammen gestellt haben. Und weil unter dem Signet "Pop ist Sheriff" bereits zwei solcher CD´s erschienen sind, ahnen die freiwilligen Rezensenten bereits, was sie mit der dritten Edition wohl erwartet.

"Greife lieber zu Pop Ist Sheriff Vol.3!", schreibt folglich einer, "Das ist das wahre Leben!" Ein anderer ist sich sicher: "Mit ´Pop ist Sheriff 3´ habt ihr das richtige Werkzeug an der Hand, auch die hoffnungslos verkrustetsten Ohren freizuschmirgeln." Und so fort - immer in den schönsten Tönen - und die Amazon-Website fragt am Fuße jeder Rezension ganz treuherzig: "War diese Rezension für Sie hilfreich?" Ja, nun, wie man´s nimmt: Wie hilfreich sind Rezensionen einer Platte, die noch niemand gehört hat?

Und doch: Wenn man die CD hört, was wir - ätsch! - tatsächlich tun konnten und offen gestanden immer noch tun, dann ist festzuhalten, dass derjenige, der das neue Album schon fürsorglich als die "bisher dichteste der 3 Late Lounge CD-Editionen" preist, gar nicht so sehr daneben liegt. Auch derjenige, der schätzt, dass da jemand "wieder einmal seinen Job als Perlentaucher angetreten und aus den trüben Gewässern der internationalen Pop-Ozeane einige Schmuckstücke herausgefischt" habe, kommt den tatsächlichen Gegebenheiten sehr nahe.

Um es kurz zu machen: "Reality Check" von Schneider TM, gleich nach dem "Late Lounge Remix" als Starter auf die CD gepostet, ist ein bei aller Skurrilität unglaublich eingängiges Stück Musik, "Not Even Stevie Nicks" von Calexico, gleich danach, überrascht mit einem freimütigen Bekenntnis zu folkigem Gitarrengeschrummel aus den nicht-elektronischen 60ern und einem Falsett, das durch Mark und Bein geht.

Anrührend und nonchalant naiv gibt sich Judith Holofernes von "Wir sind Helden" in dem wunderbaren Sprachspiel-Lied "Die Zeit heilt alle Wunder".

Den makellosen Gänsehäuter unter all der schönen Musik aber haben die Turin Brakes mit "Long Distance" vorgelegt: Bombastisch, unpraktisch, gut.

Eines der Stücke, die nie aufhören dürfen und uns doch nach 4 Minuten, 26 Sekunden der Ewigkeit wieder entreißen. Musik ist das für das kleine urbane Heldentum. Wunderbar. Man möchte weinen vor lauter Ergriffenheit.

Mit anderen Worten: Es ist doch die bescheuertste Idee des Jahres, "Pop ist Sheriff 3" ungehört besprechen zu lassen. Nein die Rezensionen waren nie hilfreich, eher glorreich. Die CD muss man selber hören. Und wir geben sie bestimmt nie mehr her. Nie, nie, nie.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: