Denn nicht nur die Föhrer brachten die Welt nachhause, auch die Künstler reisten um 1900 an die Küsten. Der Süden, Italien vor allem, war bereits an frühere Generationen vergeben. Wer den Vesuv malen wollte, der hatte immer schon eine Galerie voller Bilder vor dem inneren Auge, bevor er nur aus der Eisenbahn ausgestiegen war. Wie anders dagegen der Norden von den Niederlanden bis Norwegen: Hier konnte sich ein Maler als Pionier fühlen, konnte im Herben der Landschaft ein Zeichensystem ausmachen, das zur anbrechenden Moderne besser zu passen schien als die lieblichen Hügel der Toskana. Dass das deutsche Flachland jenseits der Hafenanlagen damals noch weit von der Industrialisierung entfernt war, störte die landlustigen Künstler und Literaten der Jahrhundertwende nicht. Im Gegenteil: Das Unwirtliche wurde ihnen zum künstlerischen Neuland, in den Mühen der Landwirte schienen sich die Zumutungen der Gegenwart zu spiegeln und die Wortkargheit der Friesen stieg auf zur Metapher der Einsamkeit des modernen Menschen. Rainer Maria Rilke, regelmäßiger Sommergast in Worpswede, frohlockte: "Woran unsere Väter in geschlossenen Reisewagen, ungeduldig und von Langeweile geplagt, vorüberfuhren, das brauchen wir. Wo sie den Mund auftaten, um zu gähnen, da tun wir die Augen auf, um zu schauen, denn wir leben im Zeichen der Ebene und des Himmels."
Otto Heinrich Engel, "Strandleben am Abend", 1911