Münchner Regisseur:Alles dreht sich um Kohle

In seinem Film "La Buena Vida" erzählt Jens Schanze vom Preis für unser gutes Leben - den bezahlt zum Beispiel ein kolumbianisches Dorf

Interview von Antje Weber

Was ist das gute Leben? Für die Bewohner von Tamaquito eindeutig etwas anderes als für den Bergbaukonzern, dessen Kohletagebau das kolumbianische Dorf weichen soll. Der beunruhigende und berührende Film "La Buena Vida" des Dokumentarfilmers Jens Schanze hat beim Dok.fest Premiere.

SZ: Was geht es uns an, wenn in Kolumbien ein Dorf umgesiedelt wird?

Jens Schanze: Das wurde zur Ausgangsfrage für meinen Film: Als ich erfuhr, dass Deutschland weit im 21. Jahrhundert große Mengen von Steinkohle unter anderem aus Südamerika importiert, war das für mich eine absurde Vorstellung. Der Ausstieg aus der Atomkraft ist beschlossen, die erneuerbaren Energien expandieren, in Deutschland wird die Steinkohleförderung eingestellt. Gleichzeitig werden aber in Deutschland eine ganze Reihe von neuen Kohlekraftwerken ans Netz gehen, die in den letzten vier, fünf Jahren gebaut wurden. Das Resultat: Die Kohle dafür kommt zu 100 Prozent aus dem Ausland. Und einer der größten Lieferanten ist Kolumbien.

Sie haben dort mit der Kamera ein Dorf begleitet, das wegen des Kohleabbaus vom Konzern Cerrejón umgesiedelt wurde.

Ich habe auf der Recherchereise 2011 etwa 15 Dörfer im Kohleabbaugebiet in Nord-Kolumbien besucht. Tamaquito war das einzige Dorf, wo zu dem Zeitpunkt noch eine starke und funktionierende Gemeinschaft existierte, in allen anderen war die innere Einheit schon zerstört. Schon bei diesem Besuch war klar, dass wir mit dieser Gemeinschaft den Umsiedlungsprozess begleiten werden.

Was hat Sie bei diesem Prozess am meisten schockiert?

Zum einen natürlich, dass es ein ungleiches Kräfteverhältnis ist zwischen dem multi-nationalen Bergbaukonzern und dieser kleinen indigenen Dorfgemeinschaft, die aus 180 Menschen besteht. Das Besondere war, dass diese Dorfgemeinschaft ein Verhandlungspartner wurde, den der Konzern ernst nehmen musste, weil er mit einer Stimme sprach. Außerdem stellten wir ein Ausmaß an Geringschätzung gegenüber der Lebensform der Indígenas fest, das bis hin zu einer Form von Rassismus reicht. Wenn man es nicht so krass formulieren möchte: ein völliges Unvermögen, eine Lebensform, die anders ist als das, was wir kennen, als lebenswert zu betrachten.

Münchner Regisseur: Dies ist kein Freudenfest: Danach werden die Bewohner von Tamaquito ihre Hütten abreißen und wegziehen müssen.

Dies ist kein Freudenfest: Danach werden die Bewohner von Tamaquito ihre Hütten abreißen und wegziehen müssen.

(Foto: La Buena Vida/ Schanze)

Können Sie das näher beschreiben?

Im Prinzip hat diese Dorfgemeinschaft, wie viele andere in Kolumbien und ganz Südamerika, bis vor 20 oder 30 Jahren so gelebt wie ihre Vorfahren: im Wald, ohne Strom, sehr einfach - und vollkommen unabhängig. Alles, was diese Dorfgemeinschaft wollte, war, genau so weiterzuleben. Und der Konzern kommt dorthin und will ihnen Häuser und Strom bieten, die Leute mehr an urbane Zentren rücken, ihnen Zugang zu einem wie auch immer gearteten Markt schaffen. Das ist natürlich Teil der Propaganda: Wir bringen Entwicklung!

In der Realität gibt es am neuen Ort kaum Wasser, man kann nichts anbauen, und die Männer verfallen dem Suff.

So stellt sich das dar. Für die Gemeinschaft und uns war dieser Aspekt sicher der schockierendste: Offensichtlich hat der Konzern die Leute mit einem gewissen Kalkül dort angesiedelt. Das Wasser ist da nur bedingt für den menschlichen Konsum geeignet, auch manche Tiere vertragen das nicht. Schon in der ersten Woche gab es Tage, an denen das Wasser versiegte. Weil das unterirdische Reservoir nicht groß genug ist. Weil die Leitung sich in Nullkommanix mit Sedimenten zugesetzt hat. Weil Brunnen nicht angelegt wurden. Schlicht und einfach: Vertragsbruch.

Hat der Sie überrascht?

Wir hatten ja Drehgenehmigungen mit dem Konzern vereinbart. Sie wussten, dass und wo der Film veröffentlicht wird. Deswegen hat uns überrascht, dass sie diese Dorfgemeinschaft in so unbekümmerter Weise vor die Wand haben laufen lassen.

Sie waren ja gerade erst wieder dort?

Ja, im März haben wir den Film in Tamaquito gezeigt - und gesehen, dass dort nichts wächst. Im Prinzip ist die Wassersituation nach zwei Jahren genau so wie nach der Umsiedlung. Die Dorfgemeinschaft war ein Jahr in Schockstarre. Jetzt hat sie sich wieder gefangen und versucht, dem Konzern das Vereinbarte Schritt für Schritt abzufordern.

Münchner Regisseur: Der Münchner Jens Schanze, wurde für seine Dokus "Otzenrather Sprung" und "Plug & Play" mit dem Adolf-Grimme- und Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet.

Der Münchner Jens Schanze, wurde für seine Dokus "Otzenrather Sprung" und "Plug & Play" mit dem Adolf-Grimme- und Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet.

(Foto: Sebastian Engbrocks)

Sie haben in diesem langen Prozess das Vertrauen der Indígenas gewonnen: Wie hat sich das entwickelt?

Von Anfang an war klar, dass der Film die Geschichte aus der Perspektive der Dorfgemeinschaft erzählt. Ich glaube, nur so ist so ein Film überhaupt zu machen, wenn man eine Innensicht haben möchte, weil diese Gemeinschaften der Wayúu eigentlich sehr hermetisch sind. Die haben wirklich ihre Türen aufgemacht, und wir durften während der Dreharbeiten in einer leer stehenden Hütte wohnen.

Was erwarten die Menschen von Ihnen?

Ein Aspekt ist sicher die Hoffnung, dass gewisse Dinge bis hin zur Gewaltanwendung seitens des Konzerns nicht mehr möglich sind, wenn er unter öffentlicher Beobachtung steht. Der andere wichtige Aspekt ist, dass dieser Film für die nachfolgenden Generationen ein Dokument über das Leben ihrer Vorfahren sein wird. Wir haben das ganze Material von 170 Stunden als Kopie im Dorfarchiv hinterlegt. Das ist ein sensibler Punkt, weil man als Filmemacher nicht-bearbeitetes Rohmaterial normalerweise nie aus der Hand gibt. Es hat sich aber so ein Vertrauensverhältnis entwickelt, dass wir das gemacht haben. Wie in vielen indigenen Kulturen hat das auch damit zu tun, dass man etwas mitnimmt, wenn man ein Bild von jemandem macht - und dass man das wieder zurückgeben muss.

Sie haben in "Otzenrather Sprung" 2001 schon einmal eine Dorfumsiedlung filmisch begleitet, damals im Rheinland - was ist diesmal anders?

Es gibt natürlich starke Parallelen. Die wichtigste ist sicher, dass die Strategie der Konzerne, die Gemeinschaften aufzusprengen, immer die gleiche ist. Aus dem Rheinland kenne ich es so, dass mit jedem ein Vertrag gemacht wird, in dem eine Verschwiegenheitsklausel drinsteht - was natürlich Missgunst und Misstrauen Tür und Tor öffnet. Diese Strategie ist in Kolumbien genauso. Deshalb ist es wirklich ein absoluter Sonderfall, dass es in Tamaquito nur einen einzigen Vertrag gibt. Ökonomisch gesehen sind in Deutschland die gesetzlichen Vorschriften enger und die Umsetzung wird vor allem stärker kontrolliert; die Leute sind in der Regel nicht schlechter gestellt als vorher. Emotional und kulturell gibt es wieder sehr große Parallelen: In den niederrheinischen Dörfern verschwindet die bäuerliche Struktur durch so eine Umsiedlung natürlich auch, der Prozess ist aber seit Jahrzehnten im Gange und wird nur beschleunigt. Der kulturelle Verlust schlägt im Falle der Wayúu viel stärker zu Buche, weil das ja Minderheiten-Kulturen sind - wenn es schlecht läuft, verschwinden die einfach.

Was treibt Sie an, sich damit so intensiv zu beschäftigen?

Bei mir hat sich das Bewusstsein sehr stark ausgeprägt, dass ich mich immer in einem Zusammenhang bewege. Natürlich geht es seit Jahren viel um die Aspekte der Globalisierung, aber das ist oft sehr abstrakt. An dieser Geschichte kann man das in einer filmischen Form sehr deutlich sichtbar machen. Befeuert wird das auch durch meine Lebenssituation - ich habe zwei kleine Kinder, und da stellt sich mir die Frage: Ah, das haben mir also meine Eltern und Großeltern so übergeben - was übergebe ich denn an die Nächsten? Darauf habe ich ja einen Einfluss.

Wie können alle, die keine Filme machen, denn Einfluss nehmen?

Ganz konkret kann man sich fragen: Wo kommt mein Strom her? Es gibt inzwischen vier seriöse Ökostrom-Anbieter in Deutschland, die weder Kohlestrom noch Atomstrom produzieren und verkaufen. Ich kann mich fragen: Bei welcher Bank habe ich mein Konto? Die großen deutschen, französischen, schweizerischen Banken gehören alle zu den Hauptfinanziers der Kohlebergbauindustrie. Und natürlich kann ich mich fragen: Wie sieht mein Lebensstil eigentlich aus? Und ganz einfach den Stromverbrauch reduzieren - darum kommen wir sowieso nicht herum. Es sind ganz einfache Fragen. Aber die muss sich jeder selber beantworten.

La Buena Vida beim Dok.fest, Regie: Jens Schanze, Sa., 9. Okt. (Rio Kino, 18 Uhr). Kinostart: 14. Mai

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