Münchner Kammerorchester:Rätselspiel

Pascal Dusapin

Von der letzten Oper erholt sich Komponist Pascal Dusapin mit einem komplexen Chor- und Orchesterwerk.

(Foto: Florian Ganslmeier)

Kunstvoller Chor-Orchester-Schlagabtausch: Pascal Dusapins "Disputatio" wird vom RIAS-Kammerchor und dem Münchner Kammerorchester unter Alexander Liebreich im Prinzregententheater aufgeführt

Von Wolfgang Schreiber

Ein recht arbeitswütiger Komponist scheint dieser Pascal Dusapin zu sein, geboren 1955 im französischen Nancy. Vor zwei Monaten erst wurde seine Oper "Penthesilea" nach Kleists blutrünstig rasender Liebestragödie in Brüssel uraufgeführt. Von solcher Strapaze, sagte der Komponist, habe er sich erholen müssen - er tat es mit einem neuen großräumigen, anstrengenden Chor-Orchesterwerk. "Disputatio", so lautet der gelehrt klingende Titel, wird an diesem Donnerstag im Prinzregententheater aufgeführt vom Münchner Kammerorchester und dem RIAS Kammerchor Berlin, Dirigent ist Alexander Liebreich. Es handelt sich um ein Auftragswerk beider Ensembles, finanziert durch die Ernst von Siemens Musikstiftung. Chor und Kammerorchester haben Dusapins Stück vor fünf Tagen in der Berliner Philharmonie aus der Taufe gehoben, zwei Tage später brachten sie die vierzig Minuten dauernde Komposition in die Philharmonie von Paris.

Die "Disputatio" benutzt - und überformt musikalisch - einen pfiffigen lateinischen Text des frühen Mittelalters, achtes Jahrhundert. Es handelt sich dabei um ein fiktives Lehrgedicht, den Dialog zwischen einem Schüler und seinem Lehrer - eine Art Traktat bündiger Fragen und Antworten, wie sie als Vorbild etwa von Sokrates und seinem Schüler Platon überliefert sind. Der Schüler, das ist hier Pippin, der zweite Sohn Karls des Großen, bombardiert seinen Meister Alkuin mit Fragen zu Gott und der Welt, zu Mensch und Leben und den Banalitäten des Alltags. Der Angelsachse Alkuin, Berater Kaiser Karls des Großen zu Aachen, gibt seinem aristokratischen Schüler Pippin die tiefgründigsten und auch banalsten, die amüsantesten und überraschendsten Antworten. Nur ein paar Beispiele. Pippin: Was ist der Mensch? Alkuin: Eine Beute des Todes. Was ist der Kopf? - Der Gipfel des Leibes. Was ist der Bauch? - Der Sammelort für das Unbrauchbare . . . Warum das bisher noch niemand "vertont" hat, steht in den Sternen.

Der Komponist einer solchen "Disputatio", der aus seiner Vorlage ein musikalisch stimmig konstruiertes, melodienreiches, in Vokal- und Instrumentalfarben nur so strahlendes Chor-Orchester-Gespinst hergestellt hat, ist ein hochgewachsener freundlich-eleganter Herr in langmähnig grauer Haarpracht. Und Pascal Dusapin macht nach der Berliner Uraufführung, die vom Publikum einhellig bejubelt wird, einen durchaus professionell entspannten Eindruck. Er hat auch alles Recht dazu: Dusapin, Sorbonne-Absolvent, Villa-Medici-Stipendiat, Schüler von Komponistengrößen wie Iannis Xenakis und Franco Donatoni, gehört zu den markanten, seit langem international beachteten französischen Tonsetzern. Sieben Opern hat er schon komponiert, eine davon, eine Faust-Oper keineswegs nach Goethe, wurde 2006 an der Berliner Staatsoper aus der Taufe gehoben: "Faustus, the last night" nach Christopher Marlowe. Jetzt also der alte lateinische Text.

Quid est ver - heißt auf deutsch: Was ist der Frühling? -Ein Maler für die Erde. Quid est herba - Was ist das Gras? - Das Gewand der Erde. Quid sunt olera - Was ist das Gemüse? - Der Liebling der Ärzte, der Ruhm der Köche. So keck und lebhaft erstreckt sich das Frage-und-Antwort-Spiel über eine recht lange Distanz, die dann in den Chorstimmen fein gegliedert erscheint, die zugleich einen starken vokalen Fluss erzeugt. Das Ganze wird zum Zeugnis französischen Schönheitssinns, alles erscheint attraktiv eingebettet in den aparten Klang aus Streichern und sanft zugespitztem Schlagzeug der Trommel und Metallplatte - unter dem fast pausenlosen Einsatz der zauberischsten Sphärenmusik, der legendären Glasharmonika.

Die Chorstimmen wogen reichlich hin und her, in klarer ritualisierter Aufteilung: Die Fragen der Traktatkomposition werden von vier Frauenstimmen vorgetragen, verkörpert durch getrennt postierte Solistinnen, der gemischte Chor liefert die zwischen Rezitativ und Arioso, Reflexion und Drama pendelnden Antworten. Was zu Beginn fast schematisch abwechselnd erklingt, wird schon bald dramatisch "sprechend" angereichert, wobei die Fragen und Antworten sich entweder überlagern, verhaken und überstürzen oder aber in ihren Anteilen stark ausgedehnt und sogar auch verschoben werden. So entsteht ein überaus dichtes, doch immer durchhörbares, zwischen dissonant und harmonisch mehrstimmigem Satz wechselndes Gebilde, das durch die gleißenden Klänge der Glasharmonika mal sanft verführerisch, mal aufrüttelnd oder schreckenerregend wirkt. Der Komponist hat sich von dem mittelalterlichen Rätselspiel der Fragen und Antworten spürbar, hörbar inspirieren lassen: "Ich war sofort begeistert von diesem wundervollen Text." Man könnte seiner "Disputatio" getrost den begehrten Meisterwerk-Status zuerkennen.

Eingerahmt übrigens, quasi metaphysisch eingebunden, wird Pascal Dusapins "Disputatio" in dem Konzert durch das kunstvoll kurze fromme Geistliche Lied op. 30 von Johannes Brahms auf einen Text des Barockdichters Paul Fleming - in der Fassung für Chor und Orchester von Sir John Eliot Gardiner. Und abschließend durch das Requiem des Franzosen Maurice Duruflé, eine mehr meditative als dramatische Totenmesse von 1947 (mit den Solisten Stella Doufexis und Stephan Genz). So kann der Glanz der "Disputatio" ebenso voraus- wie zurückstrahlen.

7. Abonnementkonzert des Münchener Kammerorchesters, Donnerstag, 11. Juni, 20 Uhr, Prinzregententheater (19.10 Uhr Konzerteinführung)

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