München:Politik und Schauspiel

Start einer neuen Gesprächsreihe der SZ im Residenztheater

Von Christian Jooss-Bernau

Den Kirchenbesuch seiner Gemeinde verarbeitet Pastor Parris in Anwesenheitslisten. Würde die Geschichte nicht Ende des 17. Jahrhunderts im amerikanischen Salem spielen, man könnte sagen, er sammelt Daten. Die bekommen in dem Moment gefährliches Gewicht, als es darum geht, ob nun John Proctor mit dem Teufel im Bunde ist, oder nicht. Die Überwachung ist Baustein der paranoiden Gesellschaft, die Arthur Miller in seinem Stück "Hexenjagd" 1953 sezierte und mit dem er auf McCarthys Kommunistenhatz reagierte. Die Zeit ist nicht spurlos an diesem Text und seiner lehrstückhaften Deutlichkeit vorbeigegangen. Wer nicht gesteht, wird gehängt. So tickt das Recht in Salem. Aber wie tickt es heute? "Der Feind im Innern" ist eine Diskussionsreihe überschrieben, mit der das Residenztheater in Zusammenarbeit mit der SZ nun einmal im Monat Bühne und aktuelle Entwicklungen zusammenspannen will.

Vor Millers "Hexenjagd" sprach zum Auftakt Franziska Augstein mit Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck. Ihr Thema: "Im Strafraum. Anzeige gegen den Staat, der Feinde braucht". Um Überwachung sollte es gehen. Kaleck vertritt unter anderem Edward Snowden in europäischen Angelegenheiten. Das Verhalten der europäischen Staaten, die Snowden kein Asyl gewähren, findet Kaleck skandalös. Es werde ein Unterschied gemacht zwischen den Whistleblowern, die Geheimnisse der Feinde weitertragen und denen, die die Machenschaften der Freunde beleuchten. Bei Snowden müsse man rechtlich abwägen. Dem Geheimnisverrat auf der einen Seite stehe die Aufdeckung von Verfassungsverstößen auf der anderen gegenüber: "Man könnte sich auch hinstellen als US-Politiker und den umarmen. So agiert man nicht, und dann wundert man sich, dass Trump herauskommt", sagt Kaleck. Die Stärke von Staaten zeige sich darin, wie sie sich mit eigenen Fehlern auseinandersetzen. Murat Kurnaz beispielsweise habe bis heute keine Entschädigung und Entschuldigung bekommen für die Inhaftierung und Folter in Guantanamo. Während man später in Tina Laniks Inszenierung sitzt und die Leuchtstoffröhren so kalt die Justiz beleuchten, die über das "unsichtbare Verbrechen der Hexerei" richtet, muss man an das Willkürlager der Amerikaner denken. Es wäre eine Chance dieser Diskussionsreihe, aus diesem Reden im Theater stärker noch ein Reden über das Theater zu machen, um aktuelle Bezüge für das Verständnis einer Inszenierung nutzbar zu machen.

Von Snowden bewegen sich Kaleck und Augstein über die Lage in Frankreich, wo laut Kaleck Terrorgesetze auch genutzt werden, um unliebsame Umweltaktivisten in Griff zu bekommen, zu den deutschen Ermittlungen um die NSA. Wie Millers Drama ist dieses Gespräch für Diskutanten und Zuhörer Selbstvergewisserung über die Grenzen der Gerechtigkeit. Kaleck aber ist als Menschenrechtsanwalt auch bereit, aus der Komfortzone des common sense zu treten. Er ist für die Abschaffung der Geheimdienste, denen er Unfähigkeit und aktive Vertuschungsarbeit vorwirft. Der Verfassungsschutz ist für ihn eine Behörde, die durch nichts bewiesen habe, dass sie irgendetwas Sinnvolles bewirke. Ginge es nach Kaleck, müsste sie ihre Notwendigkeit darlegen. Millers Stück tritt an gegen die Muffigkeit der 50er, aus der schnell Unterdrückung und Rechtsbeugung wird. Möglich, dass das aktueller ist, als man auf den ersten Blick annimmt. "Auch darum müssen wir heute kämpfen", sagt Kaleck über Snowden und den Überwachungswahn, "dass es nicht noch schlimmer wird.

Nächster Termin: Der Feind im Innern - II. Im Glashaus. Verrat im öffentlichen Interesse. Bernd Graff und Markus Beckedahl diskutieren, Freitag, 15. April, 18 Uhr, Residenztheater (Zur schönen Aussicht), "Prinz Friedrich von Homburg", 20 Uhr

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