München: Botho Strauß' "Leichtes Spiel":Die neunfache Frau

Fast sein gesamtes Ensemble hat Dieter Dorn aufgeboten für das Ereignis der Saison am Bayerischen Staatsschauspiel: der Uraufführung von Botho Strauß' "Leichtes Spiel".

Christopher Schmidt

Die Uraufführung des neuen Stücks von Botho Strauß gleicht einer Großoffensive. Fast sein gesamtes Ensemble hat Dieter Dorn aufgeboten für das Ereignis der Saison am Bayerischen Staatsschauspiel. Neben einer Live-Band, welche die Schwellen zwischen den Szenen mit einem etwas staubfreien Groove polstert, bevölkert ein Heer dienstbarer Hausgeister Bühne und Programmheft.

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Und die Spezialeffekte von Jürgen Rose lassen Bauklötze staunen: Da schwebt ein voll bestuhlter Konferenztisch aus dem Himmel herab, als wär's ein Konfettischnipsel, Spiegelwände wirbeln à la Cirque du Soleil durch die Lüfte, und kubische Kulissen kugeln sich ballettös in Grundstellung, um Podesterien zu weichen, die wie Luftkissenboote geisterhaft durch den Raum flutschen. Jedes Bild puzzelt sich aus herbeifliegenden Teilen zusammen, um hernach wieder in seine Pixel zu zerfallen. Trompe-l'Œil-Effekte narren den Betrachter, schwerstes Gerät verleugnet sein Gewicht, alles ist zaubrischer Augentrug und Luftspiegelung. Und wenn dann eine Eiskunstläuferin spukhaft ihre Bahnen zieht, dürfte niemand mehr Jürgen Rose den Rang als Magus seines Fachs streitig machen.

Zum zehnten Mal lassen Dorn und Rose ein Stück von Botho Strauß steigen, vereinen sich die alten Meister, um dem schäbigen Rest der Theaterwelt zu zeigen, was fliegen ist. Geschlagen wird eine puristische Materialschlacht, jedes Bild ist eine glasklare Setzung, austrainiert wirken die Szenen, sehnig, von jeder Stegreif-Schlabbrigkeit entschlackt. Dass der Abend darüber nie seine Lockerheit verliert, dass er Zug hat und doch phantasieoffen bleibt wie lange keine Dorn-Inszenierung, ist eine seiner Tugenden. Eine andere ist, wie der Regisseur seine Spieler - Frauen und Männer, Junge und Alte - zusammenführt und glänzen lässt. Denn diese inszenatorische Generalmobilmachung ist auch eine Demonstration gemeinsamer Stärke, ein großer Ruck, mit dem sich das Ensemble neuerlich aufeinander einschwört.

Dorn wäre nicht er selbst, erschiene ihm dafür nicht das Schwerste gerade leicht genug. Botho Strauß' "Leichtes Spiel" ist ein Brocken, an dem sich mehrere Generationen die Zähne ausbeißen können. Angesichts des immensen Aufwands an Menschen und Material, der für die dreieinhalbstündige Münchner Äquilibristik getrieben wird, muss man sagen, dass ein simpler Rotstift es vielleicht auch schon getan hätte.

Denn es ist ein sehr geschwätziger Text, den Botho Strauß in die Form eines Szenenreigens gegossen hat. "Leichtes Spiel", das sind "Neun Personen einer Frau", so der Untertitel, die sich von Szene zu Szene häutet und transfiguriert. Katharina heißt sie, und der hoheitsvolle Name deutet an, dass hier der Staffelstab des ewig Weiblichen durchgereicht werden soll. Als moderne Inkarnation der Frau Welt aus der mittelalterlichen Epik verkörpert sie die sieben Todsünden, die Strauß in poetisch veredelten, surreal verrätselten Miniaturen und mit erlesen-belesenen Anspielungen zur Allegorie hochtrommelt - weshalb das männerfressende Katharinen-Rudel, das zu Beginn in Schockrot fürs Gruppenbild posiert, später über eine Treppe dorthin absteigt, wo es hingehört: in die Hölle.

Gelehrte Camouflage hat der Text bitter nötig, der - zum Teil läppisch, zum Teil albern, mal schlüpfrig, mal einfach nur verspult - aus sämtlichen Poren ranzige Altmännerphantasien ausschwitzt. Dorn bedient diese zumindest in der ersten Szene, in der Kattrin, eine der K-Ausfaltungen und ganz dummes Frauchen, den Zeigefinger zum Mundwinkel führt, während ihre männliche Supermarktbekannschaft den seinen anzüglich in den Münzschlitz des Einkaufswagens bohrt. In ihren Digressionen und Wiederholungen haben die Dialoge, in denen eine zutiefst verunsicherte Männlichkeit über die Schlachtfelder des Geschlechterkampfes nur noch clownesk stolpert, etwas von Resteverwertung; es wirkt, als seien lose szenische und essayistische Skizzen gewaltsam zum Passepartout zusammengekehrt worden.

Gravierender aber ist, dass Strauß sein feines Gehör für den Alltagsjargon verloren hat. Wörter wie "Matchsack" oder "Sperrdifferential" hat er so kunstvoll eingearbeitet in sein Textgespinst wie der Tischler den Wurmstich ins fabrikneue Stilmöbel. Liegen die Sprach-Parodien haarscharf daneben, so zeugen auch Jürgen Roses Kostüme von einem etwas verschwommenen Blick auf die Dresscodes der Milieus. In der soziologischen Genauigkeit läge freilich eine Komik, die zu billig erkauft ist, wenn man einen kuriosen Namen nur möglichst lustig betont. Oder auf Ressentiment-Lacher spekuliert, indem eine mannstolle Rivalin als vertrocknete Emanze denunziert wird. In den guten Momenten aber sind die Schauspieler so wach und präzise, dass sie zu anmutigeren Pointen kommen. Viele sind mehrfach besetzt und können wie Felix Rech und Stephanie Leue, Stefan Wilkening und Thomas Loibl, ihre Wandlungsfähigkeit zeigen.

"Ihr bekleckert mich mit Hirngespinsten", heißt es einmal treffend im Stück, das eine feinstoffliche Komödie sein will, und doch eine pompöse Petitesse ist. Dorn aber geht mit Botho Strauß durch dick und dünn - und dass er den Text unangetastet lässt und inszenatorische Lösungen sucht, statt den Autor zu schlachten, ist ehrenwert. Dort, wo es eben dünn und länglich wird, setzt der Regisseur seine tollsten Schauspieler dagegen: Lisa Wagner und Jens Harzer als aneinander vorbei flirtendes Kollegen-, Sibylle Canonica und Gerd Anthoff als aufeinander einstichelndes Ehepaar.

Den langen Schlussmonolog hält Cornelia Froboess als "spätes Mädchen". Wenn diese rote Ballerina auf Liebesentzug ihren ariösen Schwanengesang anstimmt, ist das auch ein Wiedersehen mit der gealterten Lotte aus Botho Strauß' "Groß und klein", welche die Froboess vor dreißig Jahren bei Dorn spielte. Damals war sie es, die als aus der Welt gefallenes Irrlicht eine schnöde Wirklichkeit poetisierte. Im neuen Stück verhält es sich umgekehrt: Die Wirklichkeit ist poetisch entrückt und schnöde nur die neunfache Frau.

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