MTV Video Music Awards:Zungenküsschen für die Damen

Eine Nacht der heißen Bräute: Britney Spears und Christina Aguliera kamen als solche, Madonna im schwarzen Killertop. Dann wurde unilateralgeschlechtlich geherzt, dass es fast schon zuviel der Freude war. Ach so, Preise wurden auch vergeben bei den MTV Video Music Awards.

Am Ende bleibt nur eine einzige kurze Bildersequenz übrig, an die man sich später einmal erinnern wird. Diese Feststellung allein würde schon reichen, um das Scheitern des Musikfernsehens an dem von ihm selbst hervorgebrachten ästhetischen Inventar zu beschreiben.

MTV Video Music Awards: Die Damen kennen Sie: Madonna tauscht Körperflüssigkeit mit Britney Spears - oder umgekehrt. Kann man sich inniger bedanken?

Die Damen kennen Sie: Madonna tauscht Körperflüssigkeit mit Britney Spears - oder umgekehrt. Kann man sich inniger bedanken?

(Foto: Foto: AP)

Es ist die erste Sendeminute der 20. "MTV Video Music Awards", gespielt wird "Like A Virgin", auf der Bühne der Radio City Music Hall erscheinen Britney Spears und Christina Aguilera, gehüllt in knappe Hochzeitskleider, wie Madonna im Originalvideo von 1984. Britney und Christina, einst industriell gefertigte Antipoden namens "Süß" gegen "Versaut" und mittlerweile in der labilen Phase ihrer Selbstbehauptung als Künstlerinnen eigenen Rechts, sie sind vereint in ihrer Hommage an ihr natürliches role model. "Like A Virgin" verstummt, und zu den Klängen ihrer neuen Single "Hollywood" erscheint die Herrin selbst: Madonna, ganz in Schwarz. Sie tanzt mit ihren Wiedergängerinnen, dann geschieht es - sie küsst erst Britney, dann Christina auf den Mund, und hinterher wird die meistdiskutierte Frage sein, ob nun mit oder ohne Zunge. Die größte Bilderschöpferin des Pop hat mal wieder zugeschlagen.

Welch ein Moment, wie grandios seine symbolische Ambiguität: Die zwei Küsse, man könnte sie ebenso als Inaugurationsgeste einer abtretenden Königin an ihre Thronfolgerinnen lesen wie als Zitat des berühmten, Schicksal besiegelnden Bruderkusses aus dem "Paten".

Wie Madonna hier ein weiteres Mal ihre sexuelle Selbstbestimmung dominant inszeniert und zugleich an die notorischste männliche Sex-Fantasie verhökert, den lesbischen Geschlechtsakt - das ist in seiner Unverfrorenheit furios. Von solch einer Eröffnungsszene, man ahnt es, kann sich keine Show der Welt erholen. Auch nicht die "MTV Video Music Awards".

Denn die belegen in den folgenden drei Stunden endgültig, dass das Musikfernsehen nicht mehr in der Lage ist, der selbst geschaffenen Videoästhetik mithilfe eines Live-Events visuell beizukommen. Wie eine einzige Entmystifizierungsmaschine wirkt diese Show: Popstars treten heute dank digitaler Nachbearbeitung in ihren Musikvideos längst als kinetisch und biomechanisch entgrenzte Illusionen ihrer selbst auf - so wie Justin Timberlake, der in seinem zurecht zweifach prämierten Video zu "Cry Me A River" der Schwerkraft enthoben tanzt. An diesem Abend jedoch schlagen sie auf dem New Yorker Bühnenboden zementsackartig auf. Verzweifelt versucht die MTV-Bildregie mit einer Krankamerafahrt nach der anderen Action zu suggerieren, aber ihre Hauptdarsteller wollen als live abgefilmte Musikdarbieter einfach nicht funktionieren: Die Destiny's Child-Frontfrau Beyoncé Knowles zum Beispiel, die drei Trophäen für ihre Solo-Single "Crazy In Love" erhält, stöckelt hilflos durch ihre Playback-Performance - Knowles' Ausstrahlung jenseits bunter Clips entspricht in etwa dem maschinellen Charme der ebenfalls anwesenden Tennisschwestern Williams'. Und auch Christina Aguilera scheitert kläglich bei ihrem Versuch, David LaChapelles schwitziges Faux-Porno-Video zu ihrem Lied "Dirrrty" nachzuspielen.

So verläppern die drei Stunden in der Radio City Music Hall, Missy Elliott, Eminem, 50 Cent und Coldplay bekommen ihre verdienten Auszeichnungen, die White Strips unter Ausschluss der Öffentlichkeit nur einen absurden Nebenpreis für ihr großartiges "Seven Nation Army", und der geplante sentimentale Höhepunkt des Abends muss ausfallen: Der sechs Mal nominierte Johnny Cash kann nicht da sein, er wurde Tage zuvor in ein Krankenhaus eingeliefert - es heißt, sein Zustand sei labil. Wäre der Grund für Cashs Fortbleiben nicht so ernsthaft, müsste man sagen: Gut, dass er diesen Abend nicht durch seine Anwesenheit nobilitiert hat. Er hätte ihm eine unverhältnismäßige Wahrhaftigkeit verliehen.

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