"Mr. Turner" im Kino:Der Grantler und die Kunst

"Mr. Turner - Meister des Lichts"

Immer grantig, aber kreativ: Timothy Spall als William Turner.

(Foto: © Simon Mein/Thin Man Films)

Zwischen Natur und Genie: Mike Leighs Filmbiografie "Mr. Turner - Meister des Lichts" über den Maler William Turner ist ein Meisterstück der Porträtkunst.

Von Susan Vahabzadeh

Jedes Porträt ist bis zu einem gewissen Grad Phantasterei. Man kann schließlich nicht mal den Menschen, die man gut kennt, tatsächlich in die Seele schauen. Wie also sollte ein Filmemacher wissen, was im Kopf eines Malers vorging, der vor fast zweihundert Jahren gelebt hat?

Indem er, würde Mike Leigh vielleicht sagen, versucht, vom Werk auf den Mann zu schließen. Er stellt sich also vor, dass Joseph Mallord William Turner ein rechter Grobian war, der sich einen Teufel darum scherte, was andere über ihn dachten. Und das ergibt durchaus Sinn.

Timothy Spall spielt den Maler, eine großartige Performance, in Cannes in diesem Jahr mit dem Darsteller-Preis ausgezeichnet. Turner ist schon ein Mann mittleren Alters, als Leighs Erzählung beginnt. In den ersten Bildern sieht man ihn auf Reisen, eine Mühle, ein paar Mägde, Turner macht Skizzen, als wäre er versunken im Abendlicht. Zurück in London sollen aus den Eindrücken Bilder werden, sein Vater hilft ihm, die Farben zu mischen - eine Wissenschaft für sich. Turner war durchaus ein bekannter, arrivierter Künstler damals, und die Spötter in der Londoner Gesellschaft mutmaßten, er würde seine Farben aus Lebensmitteln zusammenrühren - so ungewöhnlich waren sie.

Turner, der Grantler, verträgt sich nur mit seinem Vater, teilt mit ihm das Haus, eine Haushälterin versorgt die beiden. Und gelegentlich bedient sich der jüngere Turner ihrer - es wäre falsch, sie seine Geliebte zu nennen, eher schon gehört es zum Service dazu. Außerdem gibt es eine Verflossene und zwei erwachsene Töchter, und zu allen dreien ist er garstig, und man weiß nicht recht, warum. Wenn er seine Malerkollegen in der Royal Academy mit Verachtung straft, ist der Grund schon eher klar: Er findet ihre Bilder leblos, langweilig, konformistisch, und überhaupt ist er der Ansicht, dass von seiner Arbeit niemand so recht etwas versteht außer er selbst.

Den ganzen Film haben Mike Leigh und sein Kameramann Dick Pope, mit dem er alle seine Filme seit "Life Is Sweet" (1990) gedreht hat, in gelbes Licht getaucht. Es ist ein Kostümfilm geworden, aber nach der Art, wie Leigh und Pope auch die Gegenwart angehen. Da ist kein Hochglanz und kein Pomp zu sehen, jede Einstellung ist ein soziales Konzept. Es ist ein perfektes Kitchen-Sink-Movie im 19. Jahrhundert.

Der Natur und dem Genie verpflichtet

"Mr. Turner" im Kino: Um einen Sturm auf hoher See authentisch malen zu können, fuhr J.M.W. Turner (Timothy Spall) bei schlimmstem Wetter angeblich selbst aufs Meer hinaus.

Um einen Sturm auf hoher See authentisch malen zu können, fuhr J.M.W. Turner (Timothy Spall) bei schlimmstem Wetter angeblich selbst aufs Meer hinaus.

(Foto: Prokino)

In Mike Leighs London geht also die Sonne unter wie in einem Gemälde von Turner. So ist es damals vielleicht nicht gewesen, aber so hat Turner es gesehen. Ganz selten gelingt es einem Filmemacher, einen Künstler so einzufangen - die Gemälde in den Bildern durchschimmern zu lassen, ohne sie nachzustellen, eine Person begreifbar zu machen und dabei nicht die Eckdaten ihrer Biografie abzuklappern. An manchen Stellen hat "Mr. Turner" vielleicht Längen, aber da geht es um Nuancen. Nur bei der Haushälterin wäre das Weglassen eine Tugend gewesen. Sie verhärmt zusehends, während Turner sie immer mehr links liegen lässt, letztlich zieht er aus. Das Elend verändert dann irgendwann seinen Effekt - sie wird von einer tragischen zu einer lächerlichen Figur, und das sollte sie nach Intention der Filmemacher vielleicht gar nicht sein.

Turner reist nach dem Tod des Vaters nach Margate ans Meer und steigt dort in einem Häuschen am Hafen ab. Eine Mrs. Booth vermietet ihm ein Zimmer und hat keine Ahnung, wer er ist - aber sie findet Zugang zu ihm, eine neue Vertraute.

In Margate trägt sich dann die Geschichte zu, von der man nicht so recht weiß, ob sie wirklich je passiert ist: Weil er einen Schneesturm auf See nur malen will, nachdem er selbst einen erlebt hat, sucht Turner sich ein Schiff und läuft damit aus: "Ich ließ mich durch die Matrosen am Mast festbinden . . ."

So steht es in Turners Notizen, ganz so, wie er es aufschrieb, kann es aber wohl nicht gewesen sein. Auf jeden Fall will er eine völlig neue Art finden, einen Sturm zu malen, die Wahrnehmung bestimmt seine Pinselstriche, nicht die messbare Welt. Zu abstrakt, fanden viele Zeitgenossen.

Zwar ist Turner ziemlich berühmt und vermögend geworden mit seinen Bildern, aber er war auch umstritten. Was er machte, war Avantgarde, er war ein Wegbereiter des Impressionismus, nicht aufgehoben in einer Bewegung, sondern ganz für sich allein. Ein sanftmütiger Turner hätte es sich vielleicht leichter gemacht, wäre aber auch langweiliger und konformistischer gewesen - so macht sich Mike Leigh seinen Reim auf den Maler.

Es steckt auch ein wenig von Leigh selbst in diesem Porträt. Ohne viel Hybris, denn Leigh ist tatsächlich einzigartig unter den britischen Filmemachern, ganz für sich allein, es gibt keine Schule, der er angehört. Wie er, immer wieder, in "Secrets and Lies" oder "Vera Drake" oder "Another Year" aus exakter Planung und der legendären Improvisation mit den Schauspielern Authentizität entstehen lässt - das ist meisterlich. Es gibt einen Satz von William Wordsworth, der auf Turner zutrifft und irgendwie auch auf Mike Leigh: Sie sind nichts verpflichtet - außer der Natur und ihrem Genie.

Mr. Turner, GB 2014 - Regie und Buch: Mike Leigh. Kamera: Dick Pope. Schnitt: Jon Gregory. Mit: Timothy Spall, Dorothy Atkinson, Paul Jesson, Ruth Sheen, Leslie Manville, Marion Bailey. Prokino, 149 Minuten.

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