Mosambik:Tanzschritte in die Freiheit

Was hilft die Demokratie, wenn ein Land arm und korrupt ist? In Mosambik besinnt sich der Choreograph Panaibra Gabriel Canda auf den Tanz. Denn der Körper kann in Afrika eine Waffe sein.

Arnd Wesemann

Einbrecher im Haus. Augusto Cuvilas ruft die Polizei. Sie stürmt sein Anwesen und erschießt ihn. Aus Versehen. Das war im vergangenen Dezember. Augusto Cuvilas, Choreograph in Mosambik, hatte soeben sein letztes Werk geschaffen. Es trug den Titel "Fin" (Ende). Als hätte er es geahnt.

Mosambik: Szene aus dem Tanzstück "Cut!" von Boyzie Cekwana, dem südafrikanischen Mitstreiter von Panaibra Gabriel Canda.

Szene aus dem Tanzstück "Cut!" von Boyzie Cekwana, dem südafrikanischen Mitstreiter von Panaibra Gabriel Canda.

(Foto: Screenshot: sueddeutsche.de)

Noch vier Monate später ist in Maputo die Trauer unüberhörbar. Im Teatro Avenida in der Hauptstadt von Mosambik gehen Schluchzer wie ein Lauffeuer durch die Reihen der Zuschauer. Das Stück wird für die Freunde gezeigt. Eine Generalprobe, bevor es zu einem Gastspiel nach Harare in Simbabwe reist.

Auf die Bühne projiziert man eine schnell geschnittene Fotoserie. Sie zeigt Augusto Cuvilas, den Leichnam, die Obduktion. Schusswunden. Sein fahles Gesicht. Die Bahre. Sekunden nur: obszön, direkt, kaum zu ertragen für die, die ihn kannten. Radikalität in einem Land maßloser Schönheit am Indischen Ozean.

Radikalität inmitten maßloser Armut als Folge von 500 Jahren Kolonialismus und Korruption. Dazwischen die Künstler. Und ihre Unbeugsamkeit.

Panaibra Gabriel Canda ist der heute bekannteste Choreograph in Maputo. Er spricht mit weicher Stimme, langsam, den Ton gesenkt. Aber seine Worte sind so klar wie die Sterne, die über der weiten Bucht an der Mündung des Tembe-Flusses am Himmel stehen.

Helden des Marxismus

Bekannt ist Panaibra, weil er eine kleine Tanzorganisation betreibt, "CulturArte", ein Büro im ersten Stock an der Avenida Mao Tse Tung. Alle Straßennamen feiern die Helden des Marxismus, der in Mosambik 1989 offiziell abgelegt wurde. Aber die Mentalität lebt weiter.

Die Politik soll im Großen richten, was sie dem Einzelnen verwehrt: Mikrokredite, Selbstständigkeit und Wettbewerb. Panaibra Gabriel Canda ist deshalb ein Künstler ohne Raum, der von einer kleinen Bühne träumt, einer Kompanie.

"Meine Schaltung nach Europa"

"Dieses Büro", sagt er, "ist meine Schaltung nach Europa". Ohne Europa, ohne die Brüsseler Schule für zeitgenössischen Tanz, P.A.R.T.S, ohne das portugiesische Tanzfestival Alkantara, ohne das französische Kulturzentrum in Maputo gäbe es den Choreographen Panaibra Gabriel Canda nicht.

"Ja", gibt er zu, "ohne Europa wüsste ich nicht, was ich wirklich will: meine eigene Freiheit des Ausdrucks". Aber das war's auch. Mit dem Arm zieht der gelernte Buchhalter einen Strich in die Luft, wie um eine Summe zu errechnen: "Europa sorgt für die Freiheit der Kunst, aber immer nur zum Preis, den Europäern gefallen zu müssen."

In seiner Stimme klingt Hohn. Einen Proberaum mietet er von Fall zu Fall, Tänzer gewinnt er, indem er Workshops gibt. Seine Mitstreiter sind Solitäre wie er, verstreut über den halben Kontinent: Ariri Adriamoretsiresy aus Madagaskar, Boyzie Cekwana aus Südafrika und Faustin Linyekula aus Kongo. Tausende Kilometer liegen zwischen ihnen, die man auch in Europa kennt - Panaibra gastierte zuletzt in Bielefeld, Hamburg, Lyon. Diese Gastspiele reichen ihm. Bloß nicht in Europa bleiben.

Kein Interesse am Einfluss des Tanzes

"Schwarze Tänzer werden nach Frankreich importiert wie Fußballspieler. Wenn sie gut sind, dürfen sie französische Staatsbürger werden." Dann leben sie nur noch sporadisch in Afrika, "und wollen gegen irgendwelche Konventionen sein. Denn in Europa wollen oder müssen sie den Tanz intellektualisieren und merken gar nicht, wie wirkungslos sie dabei werden. Ihr Geld kommt von der Politik, die kein Interesse daran hat, dass der Tanz einen Einfluss hat".

Panaibra Gabriel Canda ist 32 Jahre alt. Ein Jahr nach der Unabhängigkeit Mosambiks 1975 wurde er geboren, mitten in den Bürgerkrieg hinein.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, warum Panaibra Gabriel Candra der Demokratie misstraut.

Tanzschritte in die Freiheit

So einer weiß, dass es Geld nur gibt, wenn man bestimmte Interessen befriedigt. "Europa", sagt er, interessiert sich ja nicht für den Tanz in Afrika, sondern für Tanz aus Afrika". Europa ist das Trainingscamp für alle, die in Afrika "zeitgenössische" Kunst kreieren.

Das gilt auch für Panaibra. "Aber zu glauben, wenn Europa in deinem Lebenslauf steht, dann wärst du ein geachteter Künstler in Afrika - das ist eine der schlimmsten Mystifizierungen. Weil in Wahrheit der Kreis derjenigen, die in Afrika tanzen, immer kleiner wird. Im Publikum findest du immer mehr Weiße, immer weniger Schwarze, und der alte Traum, mit Tanz die Stärke Afrikas zu zeigen, ist so gut wie tot."

Konzerngesteuerte Gleichmacherei

Panaibra schweigt eine Weile, sagt dann: "Wir Tänzer sind nicht mehr klug genug, unseren Körper als eine Waffe zu begreifen." Waffe wozu? Er stiert auf die Straße.

Unsere Blicke weichen denen der Hundertschaften von Händlern aus, die mit selbstgemalten Gemälden, afrikanischem Schnitzernippes, hartgekochten Eiern, Besen und Schwämmchen um ihr Leben kämpfen. Nach einer kleinen Ewigkeit fügt er hinzu: "Was ich wirklich denke? Die Leute sollen glauben, sie seien schon frei, wenn sie ihren künftigen Boss wählen dürfen. Man nennt das Demokratie. Aber vielleicht wollen sie gar keinen Boss wählen. Sie wollen nicht entscheiden, wer ihnen das Geld aus der Tasche zieht."

Der Demokratie misstraut Panaibra, dem elitären Kunstverständnis, auch seinem ehemaligen Stipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung, "die doch sonst nur die Politiker rechter Parteien im Ausland trainiert". Er findet: "Man muss sich der Kontrolle entziehen, gerade in Gesellschaften, die sich demokratisch nennen. Denn deren weiße, konzerngesteuerte Gleichmacherei kontrolliert die Menschen am stärksten. Sie kontrolliert, welche du Arbeit hast, wie gesund du bist, ob du mitmachst in einem Konsum, den niemand braucht."

Ausgestellter Reichtum der Oberschicht

Es fällt ihm schwer, in Maputo nicht von Politik zu reden, inmitten offener Armut und dem ausgestellten Reichtum der meist weißen Oberschicht. Das schürt Misstrauen. Die Regierung, mit nur einem Viertel der Wahlberechtigten gewählt, gibt die Losung aus: "Seht die Zukunft mit Hoffnung!" Mit ihrer Werbung aber steht sie allein auf einem schmalen Flur zwischen Korruption und Schweigen. "Das Land ist still geworden", sagt Panaibra.

Man beschweigt die Probleme. Übt stattdessen grausame Selbstjustiz, weil man auch der Polizei nicht traut. Verdächtige werden an Autoreifen gefesselt, mit Benzin übergossen und angezündet. Da tanzt keiner mehr. Was hülfe auch der Tanz?

"Viel", sagt er, wie aus der Pistole geschossen: "Der Tanz bezeichnet die Stärke der Menschen. In einem Land mit 64 indigenen Sprachen ist der Körper stark, nicht das Wort, dem wir nicht mehr glauben.

"Für unseren Stolz und unsere Freiheit"

Es ist wie in den Musikclubs hier in Maputo - da sagst du zu einem Mädchen auch nicht wie ein Polizist ,Wie heißt du?', um sie anzumachen, sondern du tanzt mit ihr. An diese Wurzeln will ich ran." An die der Tradition? "Nein, keine Stammestänze. Wir sind doch kein menschliches Museum, kein Reservat, wir sind mitten drin in wirklichen Problemen, die von Europa kommen. Wozu der Tanz hilft, ist, endlich zu verstehen, dass jeder Schritt ein politischer ist, jeder Schritt unser eigener Schritt ist - für uns, für unseren Stolz und für unsere Freiheit."

Wir fahren zum alten, noch von Gustave Eiffel erbauten Bahnhof. Daneben, auf einem Brachfeld, steht eine Ruine - ohne Dach, ohne Strom, ohne Wasser. Dies soll seine Bühne werden. Eines Tages. Mit einem Pachtvertrag für zwanzig Jahre. Dann wird er 52 Jahre alt und Mosambik, so hofft Panaibra Gagriel Canda, ein selbstbewusstes Land sein.

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