"Morning Phase" von Beck:Willkommen in einer anderen Welt

Sänger Beck

Beck beim Planeta Terra Festival im November 2013 in São Paulo.

(Foto: dpa)

Ist der Popmusiker Beck doch noch erwachsen geworden? Mit seinem großartigen neuen Album "Morning Phase" wagt er sich jetzt ohne die Schwimmflügelchen der Ironie ins Wasser.

Von Max Fellmann

Damit war nicht zu rechnen. Musik für die Dämmerung. Musik, die laufen kann, wenn die Städte ihren ruhigsten Moment erreichen, kurz vor dem Sonnenaufgang. Wenn sich nach harten, kalten Nächten der Himmel ganz langsam rötet. Musik für den Moment, wenn die letzten Feuer brennen und die Welt für ein paar Minuten durchatmet, bevor der Irrsinn wieder ausbricht. Damit war nun wirklich nicht zu rechnen. Beck, so behutsam. Verhalten. Verletzlich. Ausgerechnet er.

Becks Karriere umfasst jetzt mehr als 20 Jahre, der Hit, mit dem ihn noch heute viele verbinden, "Loser", stammt aus dem Jahr 1992. Den größten Teil dieser langen Zeit galt er als übersmarter Zitatmeister, Collagenkönig, Samplequirler. Keiner schaffte es so mühelos wie er, alles zusammenzurühren, Hip-Hop-Beats und Folk-Gitarren, Scratching und Country, Funkbässe und Elektronikspielereien. Und immer wieder gab es dazu: obskure Samples, Fundstücke aus den unendlichen Weiten des Radios, Stimmen, Geräusche, Treibgut. Alles ist Material: Beck war einer der größten Helden des postmodernen Pop, und sein Niveau hat er in diesen gut 20 Jahren fast immer gehalten, was man leider nur über ganz wenige seiner Zeitgenossen sagen kann.

Die Frage ist nur: Wo in all den Versatzstücken steckt der wahre Beck? Ist es der Kerl mit dem Cowboyhut? Nein, jetzt lacht er, das war nur eine Verkleidung. Ist es der Typ mit der schmalen Krawatte und dem Disco-Anzug? Nein, da hat er den Drumcomputer schon wieder ausgeschaltet. Oder hier, der Folksänger mit den langen Haaren, der nasal rumnölt? Ach was, kaum hat man mal weggeschaut, lässt er sich ein Album vom Studiozauberer Danger Mouse produzieren. Katz und Maus. Auch in seinen Texten. Referenzen ohne Ende, Schlagwörter, die ihre Bedeutungen nur ahnen lassen, lässige One-Liner, das ist alles kein Problem. Aber Sätze zu finden, die ihn unverstellt zeigen - schwierig. Je nach Lichteinfall ist Beck ein immer wieder völlig anderer Mann.

Er wollte ungreifbar bleiben

Und jetzt "Morning Phase". Beck geht einen Weg, auf dem er ganz bei sich zu sein scheint. Akustische Gitarren, verhaltenes Schlagzeug, sanfte Chorgesänge, dazu Streicher, kaum Rockinstrumente. Keine Zitate. Postmoderne ausgebremst. Er hat so etwas ja schon einmal probiert, 2002 war das, auf dem schönen Album "Sea Change", aber da steckten dann doch immer wieder die Beck-typischen Widerhaken drin, hier ein Augenzwinkern, da ein schiefes Grinsen. Beck wollte ungreifbar bleiben. Letztes Jahr hat er noch bei Live-Auftritten seinen alten Hit "Sissyneck" mit Michael Jacksons "Billie Jean" zusammengerührt (und dabei sein Publikum gefragt: "Is this really ok?"), jetzt lässt er alle Scherze sein. Mit 43 Jahren traut sich der Mann den Tanz ohne doppelten Boden.

Das Album beginnt mit einer Streicherminiatur, nur 40 Sekunden lang, arrangiert von Becks Vater, dem kanadischen Musiker David Campbell. Keine Gitarren, kein Gesang, nur große Akkorde, Harmonien, die einmal quer durch die Tonarten modulieren. Sie klingen wie das Titelthema eines Films - und so wie im Kino die Eröffnungssequenz das dann Folgende vom echten Leben da draußen trennt, so markieren auch die Geigen auf Becks neuem Album eine Grenze. Das Licht geht aus, in den Ecken flackern nur noch die Notausgangsschilder. Willkommen in einer anderen Welt!

Dann steigt Beck ein mit einem ganz langsamen, schweren Lied, das sich fast im Hall verliert, es heißt "Morning". Er singt Kopfstimme, was er nur selten tut, wagt lange dünne, fast weinerliche Töne. Und er sagt klar, dass es ab hier ohne Maske gehen muss, ohne Verkleidung, ohne Waffen: "Can we start it all over again? / This morning / I lost all my defenses".

Diesmal meint er es ernst

Beck wird auf den 13 Stücken dieses Albums nie zu konkret, dazu ist er zu sehr Lyriker, aber er schafft Stimmungen, er riskiert Pathos, ohne es sofort zu brechen. Auch im Song "Wave", dem Höhepunkt des ganzen Albums. Keine Popinstrumente, nur große Streicher, Becks Stimme, phantastisch düstere Atmosphäre, und dazu die Zeilen "If I surrender and I don't fight this wave, / I won't go under/ I'll only be carried away." Wenn ich die Welle nicht bekämpfe, gehe ich nicht unter, ich werde nur davongetragen. Das Mantra eines Mannes, der sich zum ersten Mal ohne die Schwimmflügelchen der Ironie ins Wasser wagt.

In den selbstbewussten Momenten klingt "Morning Phase" nach Westcoast, nach Crosby, Stills & Nash oder nach neueren Epigonen wie Midlake, eher sonnig also. Aber in vielen dieser Lieder wirkt der Sänger auch schrecklich allein. Das Abschiedslamento "Say Goodbye" treibt einem fast die Tränen in die Augen. Und gleich im nächsten Lied, dem wehmütigen "Blue Moon" singt er, "I'm so tired of being alone", und die Folk-Gitarren und Kopfstimmen fließen im Hintergrund zusammen zu einem endlosen Strom aus Schmerz.

Ganz wunderbar auch "Turn Away". Stoische Achtel auf der Gitarre, dazu noch einmal die Kopfstimme, als wär's ein Lied von Paul Simon. Art Garfunkel hätte das vor 40 Jahren bestimmt großartig singen können. Beck kann es jedenfalls, aber spätestens da wird klar: Es ist gar nicht so leicht, all die ironisch gebrochenen Sachen aus dem Ohr zu kriegen, die er schon gemacht hat. Man braucht bei diesem Album immer wieder einen Moment, um sich auf den Ernst der Songs einzulassen. Erst, wenn man "Morning Phase" mehrmals gehört hat, kann man es langsam glauben: Diesmal meint er es ernst. Kein Augenzwinkern. Keine Zitate. Keine Metaebene.

Das birgt natürlich auch Gefahren. Stellenweise macht er hier Dinge, die andere genauso gut können oder besser. Der Zitate-Beck war in den vergangenen 20 Jahren auf seinem Feld eine ziemlich einsame Größe, so ein langsames Redneck-Ding wie "Country Down" dagegen, das er hier mit Lap-Steel-Gitarre und Cowboy-Mundharmonika runterdudelt, nun ja, das gab es von anderen schon inspirierter. Aber vielleicht muss das jetzt mal so sein. Kein Hase-und-Igel-Spiel, Beck bleibt einfach stehen, singt seine Lieder mit der größtmöglichen Ernsthaftigkeit und nimmt in Kauf, dass er dabei auch straucheln kann.

Wenn Beck bislang ein Problem hatte, dann das, dass er sich zu viele Hintertüren offen ließ. Er wollte sich nie entscheiden müssen. Wollte zugleich Folksänger und Hip-Hopper spielen und noch 23 andere Rollen. In diesem Sinne könnte man "Morning Phase" als ein Midlife-Crisis-Album verstehen. Es gibt nun mal diesen Punkt, an dem die meisten Menschen das Gefühl haben, sie müssten sich langsam auf irgendwas festlegen. Jetzt, mit 43, ist es offenbar bei Beck so weit. Für den Moment zumindest. Aber man darf ziemlich sicher sein: Beim nächsten Album wird er schon wieder alles ganz anders machen.

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