Mord in Istanbul:Die Stadt als Jagdgebiet

Leseprobe

Sieben Tote an sieben historischen Stätten. Ahmet Ümit erzählt von Istanbuls Kaisern, Sultanen und blutrünstigen Mördern.

Von Michaela Metz

Sieben Tage, sieben Tote an sieben historischen Stätten Istanbuls. Mit chirurgischer Präzision wird den Opfern die Kehle durchtrennt. Das erste findet Hauptkommissar Nevzat auf einem Platz unterhalb der Statue Kemal Atatürks, des Begründers der Türkischen Republik. Blutleer, die Beine gespreizt, die gefesselten Hände auf etwas deutend, gleich einem Pfeil, einem Hinweis auf das, was kommen wird. Auf weitere Tote.

Necdet Denizel, war Kunstprofessor, ein Kenner der Paläste und Kirchen, Moscheen, Denkmäler und Museen der Metropole, die die Herrscher vergangener Epochen als Symbole ihrer Macht hinterließen. In seinen Händen findet der Kommissar eine antike Münze. Sie verweist auf König Byzas, den Gründer der legendären Stadt Byzanz, des heutigen Istanbul. Offenbar war Denizel in Mauscheleien des Baulöwen Adem Yezdan verstrickt - fiel er dem militanten Kampf gegen die Gentrifizierung Istanbuls zum Opfer?

Ein Alptraum: "Töten! Töten!", ruft der Mob im heute längst zerstörten Hippodrom

Jede weitere Leiche hält solch eine antike Münze in ihren Händen, die auf einen der Könige, Kaiser oder Sultane verweist. Auf Konstantin und Konstantinopel, auf Theodosius II., oder auf Justinian, der die Hagia Sophia nicht nur Gott, sondern vor allem seiner machthungrigen Gemahlin Theodora widmete. Sind diese Münzen ein Hinweis auf Korruption oder sollten sie den Toten helfen, über den Acheron in die Unterwelt zu gelangen, gemäß der altgriechischen Mythologie? Immer wieder gleitet Kommissar Nevzat in albtraumhafte Visionen ab. "Töten! Töten!", ruft der Mob im heute längst zerstörten Hippodrom. Ein blutrünstiger Gladiator bedroht ihn mit der Streitaxt. Für Nevzat beginnt ein Wettlauf - wo wohl die Stadt das nächste Opfer mit durchschnittener Kehle preisgeben wird. Im Topkapi-Palast, dessen smarte Direktorin Leyla Barkin die Exfrau des ersten Opfers ist? Doch womöglich geht es gar nicht um die Menschen, sondern um den Mord an der großen Stadt, um die Barbarei, der Istanbul selbst erliegt.

Leylas Geliebter Namik Karaman ist Chirurg - er weiß also mit scharfen Klingen umzugehen - und ein linker Aktivist. Mit seinem Verein kämpft er leidenschaftlich gegen den Ausverkauf der historischen Areale. "Doch sobald wir etwas für die Stadt tun wollen, rückt die Polizei an." Er ist wohl ein Alter Ego des Autors Ahmet Ümit, der Mitglied der Kommunistischen Partei war und sogar in Moskau studierte, was damals illegal war. Während der Militärdiktatur in den Achtzigern ging er in den Untergrund. Später zog sich Ümit von der Politik zurück, seitdem schreibt er Drehbücher für TV-Serien und Krimis. Die sind in der Türkei Bestseller, die teils auch verfilmt wurden. Doch immer gibt es regimekritische Momente: "Ganz Istanbul", erzählt Nevzat Leyla, "machten die Generäle des Kriegsrechts zum Jagdgebiet und uns zu ihren Jagdhunden, wir taten nichts anderes mehr als Jagd auf junge Leute zu machen, die zu Terroristen erklärt worden waren."

Es ist eine melancholische Welt, in der der Kommissar sich bewegt. Nach einer Explosion verlor er Frau und Kind, vergräbt sich nun in der Arbeit. Am Ende ist in dieser Ode an die Geschichte das moderne Istanbul seltsam blass. Die Stadt, wo gerade wieder Geschichte geschrieben wird, kann nicht konkurrieren mit den Kaisern und Sultanen von Konstantinopel und Byzanz.

Ahmet Ümit: Die Gärten von Istanbul. Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe. btb Verlag, München 2017. 733 Seiten, 12 Euro. E-Book 9,99 Euro.

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