Modetrend:Der Nabel missfällt

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Kaum haben die Erwachsenen entdeckt, dass man der Welt den Bauch zeigen kann, sagt die Jugend schon wieder: Zurück ins Hemd damit!

ANDRIAN KREYE

(SZ v. 27.06.2003) Gäbe es einen offiziell notierten Kurswert der Sexsymbole, wäre das Busenwunder Pamela Anderson im laufenden Sommerquartal das Äquivalent zur Aktie der Telekom. Inzwischen erfährt man schon in den Fernsehnachrichten: Die künstlich nach oben gedrückten Werte der kalifornischen Seriendarstellerin rutschten parallel zu den begehrlichen Blicken der Männerwelt nach unten. Denn das weltweit dominierende Objekt der Begierde ist derzeit der Bauch. Doch das wird sich schon bald ändern, denn das Gesetz der Popkultur besagt, dass nichts ewig währen darf.

Dieser in ebenso schweißtreibender wie mühevoller Arbeit angefertigte Torso gehört der Popröhre Shakira. (Foto: N/A)

Noch aber ist es hübsch anzusehen, was da auf den Musik- und Nachrichtensendern als Indikator eines kulturellen Paradigmenwechsels gezeigt wird. Denn der nackte Nabel ist ja nicht nur banales Modephänomen. Die New York Times bat für einen Essay über den "psychokulturellen Impuls" der freigelegten Körperregion einen Evolutionspsychologen, einen Anthropologen und eine Literaturwissenschaftlerin um ihre Mitarbeit. Die interpretierten die nabelfreie Mode wahlweise als Symbol archaischer Fortpflanzungsinstinkte, einer neuen Jungfräulichkeit und einer Abkehr vom käuflichen Statussymbol des großen Busens. Sie alle haben recht. Und doch ist die bauchfreie Mode weniger Indikator als Endpunkt einer Entwicklung in der amerikanischen Popkultur, die vor zehn Jahren begann.

Mitte der neunziger Jahre war der Zyklus, im dem Subkulturen von der Marketingwirtschaft zum Pop-Phänomen erhoben und danach in den riesigen Strom des Massenkonsums eingespeist wurden, an seine Grenzen gestoßen. Kurt Cobains Selbstmord markierte für viele das Ende des Pop als Medium einer jugendlichen Gegenkultur. Was blieb den Jungen noch als der Rückzug auf den eigenen Körper. Da entdeckten sie die Subkulturen, archaische Rituale der Selbstverstümmelung wie das Tätowieren, Piercing oder Branding. Vor allem aber boomten auf einmal merkwürdige Extremsportarten, die in den Traditionen des Aussteigersports Surfen wurzelten. Skate- und Snowboarden, BMX-Radfahren und Wellenreiten war Sport ohne Regeln, ohne Parameter für Wettbewerbe. Vor allem aber entzog sich diese Welt den physischen Möglichkeiten der Älteren. Der Beweis für diese neue Körperlichkeit und die Kraft der Jugend war dann letztendlich ein muskulöser Bauch.

Doch auch der trat seinen Marsch durch die Popinstitutionen an. Britney Spears brachte ihn als erste in die Hitparaden, Christina Aguilera, Gwen Stefanie und Shakira folgten. Immer radikaler wurde die letzte Festung der Jugendlichkeit präsentiert - Hemdsäume stiegen, Hosenbünde fielen. Bis sich die Erwachsenenwelt in diesem Sommer auch dieses letzte Refugium der Jugend eroberte. Wenn auch mit mäßigem Erfolg, denn die im Bayerischen als Wammerl effekt bezeichnete Kehrseite der Nabelmode können Erwachsene nur mit äußerster Disziplin und Entsagung vermeiden.

Trotzdem hat sich die Jugend schon aufgemacht, dem verkauften Phänomen den Rücken zu kehren. Nicht nur das - mit dieser Abkehr behauptet sich eine ganz neue Jugend, die bisher noch als Kind behandelt wurde. Die "Tweens" beweisen in diesem Sommer zum ersten Mal ihre Macht als kulturprägendes Alter. Abgeleitet wird der Begriff von "between", dem englischen Wort für "dazwischen". Dabei geht es um die jungen Menschen zwischen 9 und 14 - nicht mehr Kind und noch kein Teenie. Bisher brauchte es für diese Altersstufe kein eigenes Schlagwort.

Doch Veränderungen in der menschlichen Biologie und dem kindlichen Konsumverhalten verlangten nach einer neuen Definition dieser Lebensphase. Die biologische Grundlage wird derzeit noch erforscht. In den USA veröffentlichte die Medizinerin Marcia Herman-Giddens vor fünf Jahren eine vieldiskutierte Studie, dass vor allem bei Mädchen die Pubertät heute bis zu fünf Jahren früher einsetzt als noch vor einem Jahrzehnt. Über die Gründe wird gestritten. Hormone in der Ernährung, zunehmende Verfettung, aber auch die moderne Erziehung könnten Gründe dafür sein.

Parallel zu diesem verfrühten Eintritt in die Erwachsenenwelt entwickelten die Tweens ganz neue Konsuminteressen. Während die Alten sich immer angestrengter bemühten, jung zu leben, zieht es die ganz Jungen in die gefestigte Welt der Erwachsenen. Denn eines hat der frühreife Hormonschub schon ausgelöst - eine gehöriges Maß an Verwirrung. Wie soll eine Zehnjährige mit den begehrlichen Blicken erwachsener Männer umgehen, gerade wenn diese glauben, sie sei schon viel älter. Da sträuben sich die Tweens sogar gegen die disneyfizierte Sexualität der erklärten Nabelkönigin Britney Spears. Eine Umfrage auf der Webseite der Zeitschrift Teen ergab neulich, dass über die Hälfte der 10- bis 15jährigen Britney als "sowas von vorbei" einstuften.

Keine Sorge - man lässt die Tweens nicht alleine. Erste Wirtschaftsanalysen schätzen die Kaufkraft der Tweens auf bis zu 300 Milliarden Dollar pro Jahr. Nicht nur als Käufer. Eine weltweite Studie der Marktforschungsagentur Millward Brown hat kürzlich ergeben, dass Tweens selbst den Ankauf von Autos, Handies und den Modeartikeln der Eltern beeinflussen, die versuchen, in den Augen ihrer Kinder "cool" zu bleiben.

Soviel Kaufkraft bedeutet in der freien Marktwirtschaft ein gehöriges Maß an kultureller Macht. Und so rätseln Marktforscher und Analysten, wie man den Tweens begegnen kann. Zunächst bräuchten die Tween neue Idole. Die Zeitschrift Vanity Fair zeigt auf dem Titel ihrer Juliausgabe die ersten Ergebnisse.

Züchtig präsentieren sich die neuen Stars da auf den Fotos. Die 15-jährige Hillary Duff aus der Fernsehserie "Lizzie McGuire", die für ihr Kinodebüt auf dem Tribeca Film Festival gefeiert wurde. Die 17-jährige Mandy Moore, die dieses Jahr mit zwei Kinofilmen und einer CD herauskommt. Die 13- bis 15- jährigen Stars der Harry-Potter-Filme.

Die größten Stars der Tweenwelt sind jedoch die Zwillinge Mary-Kate und Ashley Olsen. Die begannen ihre Karriere mit zwei Jahren in der Fernsehserie "Full House". Heute sind sie 17 Jahre alt und regelrechte Tycoone. Sechzig verschiedene Produktkategorien werden inzwischen mit dem Namen der Olsen-Zwillinge beworben. Die sind sich ihrer Macht und Verantwortung bewusst.

Sie verweigern sich dem Hollywoodglamour, pflegen eine Aura der Normalität an der Grenze zur Langeweile. Auf eine Milliarde Dollar Marktwert wird die Olsenmarke inzwischen geschätzt. Das letzte Wort behalten sie sich vor. Das musste eine Modefirma erfahren, die mit ihnen zusammenarbeitet. Als man den Zwillingen die neue Sommerkollektion vorlegte, flogen als erstes die bauchfreien Leibchen und tiefgeschnittenen Hosen aus dem Programm.

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