Moderne Städte:Leben zwischen Traum und Albtraum

Die einen versüßen sich das Stadtleben mit kitschiger Naturtapete, die anderen sind froh, eine Wäscheleine zu besitzen: Wie das Leben in der Stadt die Menschen prägt, versucht die Ausstellung "Dreams and Disappointments" in Berlin zu ergründen.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

11 Bilder

Ausstellung über Städte in berlin

Quelle: Jyrki Parantainen, courtesy WAGNER + PARTNER

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Die Menschen, nicht die Häuser, machen die Stadt - lautet ein englisches Sprichwort. Wie diese Menschen ihre Stadt und auch ihre Häuser prägen und wie umgekehrt auch die Stadt ihre Menschen prägt, versucht derzeit eine Ausstellung in Berlin zu ergründen: "Dreams and Diasappointments" zeigt Positionen von fünf Künstlern in Fotografie, Malerei und Skulptur.

Titelgebend ist das gleichnamige Foto des finnischen Fotografen Jyrki Parantainen (im Bild), der ein so typisches wie gesichtsloses Hochhaus mit Koordinaten wie "Hoffnung", "Geheimnis", "Geburt", aber auch "Selbstmord" versehen hat. Menschliche Regungen wie diese sind in Hochhäusern auf der ganzen Welt zu finden - doch das Haus selbst trägt davon keine Spuren, zumindest nicht optisch. Stattdessen ragt es ungerührt wie ein Monolith in den Himmel. Wären nicht Parantainens Koordinaten und das Licht - es würde absolut leblos wirken. Alles Menschliche erscheint architektonisch ausgeblendet.

Ausstellung über Städte in berlin

Quelle: Thomas Wrede, courtesy WAGNER + PARTNER

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Um der Anonymität der Stadt zu entfliehen und in ihre teils gesichtslosen Wohnungen ein wenig Privatheit, Individualität und Gemütlichkeit einziehen zu lassen, geben sich manche Stadtbewohner ganz besondere Mühe. Der Fotokünstler Thomas Wrede hat einige von ihnen besucht. So auch Helmuth und Rita aus Dortmund, die sich ein Bergpanorama ins Schlafzimmer geholt haben. Zuvor hatten sie schon jahrzehntelang den Wald im Haus, per Fototapete, zwischendurch Rosa an der Wand, aber das sei zu langweilig gewesen, erzählten sie dem Fotografen. Nun also Bergblick im Ruhrpott.

Ausstellung über Städte in berlin

Quelle: Thomas Wrede, courtesy WAGNER + PARTNER

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"Domestic Landscapes" heißt die Fotoserie, und diese domestizierten Landschaften hat der Münsteraner Künstler um die Jahrtausendwende in ganz Deutschland gesammelt. Darunter amüsante Motive wie die Nordseemöwe vor Manhattan. Sie erzählt von der Sehnsucht der Bewohner, gleichzeitig zuhause verortet wie einer Wunschwelt nahe zu sein, zugleich fern und daheim. Und immer schön: viel Deko drumherum.

Thomas Wrede hat sich nach dieser Fotoreihe weiter mit Landschaften beschäftigt, mit der Serie "Real Landscapes" wurde er berühmt. Dafür platzierte er Miniaturhäuser und Spielzeugautos in der Natur, inszenierte und fotografierte und sie - der Betrachter kann kaum noch zwischen Realität und Fiktion unterscheiden.

Ausstellung über Städte in berlin

Quelle: Thomas Wrede, courtesy WAGNER + PARTNER

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Mal erzählt also die Fototapete davon, wo die Bewohner lieber wären (im Bild: im Wald), oder was ihnen im Alltag fehlt: Natur zum Beispiel, und Ruhe. Da wird tatkräftig das Basement in einen romantischen Herbstwald verwandelt. Hier geht man nicht zum Lachen in den Keller, sondern zum Durchatmen.

Ausstellung über Städte in berlin

Quelle: Thomas Wrede, courtesy WAGNER + PARTNER

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Andere Bilder zeugen davon, dass die häuslichen Betrachter dieser entzückenden Fototapeten mitunter viele Betäubungsmittel konsumieren, um zu verdrängen, wie weit sie von ihrem Sehnsuchtsort tatsächlich entfernt sind.

Ausstellung über Städte in berlin

Quelle: Peter Bialobrzeski; courtesy WAGNER + PARTNER

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Andere Sorgen haben die Bewohner der Behausungen, die Peter Bialobrzeski fotografiert hat. Der Fotograf und Kunstprofessor aus Bremen hat Unterkünfte in Manila besucht, die sich am Rande der philippinischen Hauptstadt zwischen zwei Endbahnhöfe drängen. Kinder in windschiefen Hütten, ...

Ausstellung über Städte in berlin

Quelle: Peter Bialobrzeski; courtesy WAGNER + PARTNER

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... notdürftig verbarrikadiertes Hab und Gut, das eigene Heim auf Sand gebaut: Bilder wie diese bekommt der durchschnittliche Tourist auf den Philippinen eher nicht zu sehen. Der Fotograf hat vor seiner Künstlerlaufbahn Politik und Soziologie studiert und wurde 2004 mit den "Neon Tigers" bekannt, einer Fotoserie über aufstrebende Metropolen in Asien.

Ausstellung über Städte in berlin

Quelle: Peter Bialobrzeski, courtesy WAGNER + PARTNER

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Seine Fotos aus Shanghai, Bangkok oder Hongkong wirken wie glitzernde Science-Fiction-Aufnahmen einer noch sehr fernen Welt oder wie Erfindungen eines exzentrischen Computerspieldesigners. Doch dem Dokumentarfotografen geht es hier um etwas anderes: Der Blick auf diese erstaunlichen Bauten aus Abfallmaterialien soll dem Betrachter das Auge öffnen für die Kreativität, mit der Menschen sich ein Heim schaffen - selbst unter widrigsten Umständen. Peter Bialobrzeski stellt die Bewohner nicht bloß, er bewundert ihre Architektur.

Ausstellung über Städte in berlin

Quelle: Simone Vogel, courtesy WAGNER + PARTNER und Galerie Hammelehle und Ahrens

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Auch Bildhauerin Ina Weber aus Berlin, eine Schülerin von Martin Kippenberger, zog es 15 Jahre lang durch diverse Metropolen. Auf ihren Streifzügen hat sie Hochhäuser, Bushaltestellen oder Kioske fotografiert, anschließend baut sie das Mobiliar einer Fußgängerzone oder eine Tankstelle aus Beton nach, in unterschiedlichen Größen. Im Bild: eine Minigolfbahn. Die Künstlerin will damit die Vergänglichkeit architektonischer Moden thematisieren und lässt den Betrachter darüber sinnieren, was Besitz, Konsum, Nachhaltigkeit, Zeit und Veränderung für uns bedeuten. Sowie den Blick dafür schärfen, wo überall in unseren Städten in Beton gemeißelte Grabmale von dem Versuch zeugen, eine bessere Welt zu schaffen. Indem Weber Architekturutopien nachbaut und aus ihrem Zusammenhang reißt, macht sie dem Betrachter deutlich, dass diese, wenn überhaupt, nur im Kontext von Zeit und Raum funktionieren. Die Berliner Plattenbauten etwa zeugen heute ebenfalls davon.

Ausstellung über Städte in berlin

Quelle: Stefan Kürten, courtesy WAGNER + PARTNER und Robert Morat Galerie

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Ähnliche Themen, wenn auch mit anderen Mitteln, thematisiert der Düsseldorfer Maler Stefan Kürten in seinen architektonischen Fantasien. Seine Bilder sind anziehend und abstoßend zugleich. Ähnlich wie auch ihr Gegenstand: das gepflegte Eigenheim.

Ausstellung über Stadtleben in berlin

Quelle: Stefan Kürten, courtesy WAGNER + PARTNER und Robert Morat Galerie

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Auf den ersten Blick: pittoreske Zeichnungen von Bungalows und Pools, wie sie in den 50er und 60er Jahren Mode waren. Gepflegte und exklusive Anlagen. Auf den zweiten Blick bemerkt man: keine Menschen. Niemand wohnt in diesen Luxushäusern, hier spielen keine Kinder, stattdessen bestimmt eine eher unpassende Natur die Szenerie. Düstere Farben, in denen eine bedrohliche Weltuntergangsstimmung mitschwingt, der Himmel changiert zwischen Traumwelt und Thriller. Für Kürten ist das Haus ein Symbol für die Grenzlinie, die zwischen Innen und Außen verläuft, zwischen dem Ich und den Anderen, der Sicherheit und der Ausgesetztheit des Menschen, zwischen Öffentlichkeit und Privatheit.

Oder, um es mit Ambrose Bierce auszudrücken, dem US-Journalisten, Satiriker und Erfinder der modernen Horrorliteratur, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts sagte: "Die Metropole ist das Bollwerk des Provinzialismus."

Prägt nun also die Stadt den Menschen oder der Mensch die Stadt? Fünf Künstler, zwei konträre Meinungen - und eine Ausstellung, die beide Positionen stärkt und zusammenbringt: sehenswert.

Die Ausstellung "Dreams and Disappointments" in der Galerie Wagner und Partner am Strausberger Platz in Berlin läuft noch bis zum 21. Februar, weitere Infos hier.

© SZ.de/rus/cag/kjan
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