Mode in London:Wie Phoenix aus der Asche

Die Ausstellung "The Golden Age of Couture" dokumentiert den Zwist zwischen Dior und der Konkurrenz - beispielhaft und anschaulich.

Alexander Menden

Das Londoner Victoria & Albert Museum hat in diesem Jahr seinen Ruf als leicht verstaubter Aufbewahrungsort hochwertigen Kunstgewerbes ein für allemal abgestreift. Jüngster Beleg für diese Entpuppung ist seine Herbstschau, zu deren denkbar spektakulärer Eröffnung während der Londoner Fashion Week inklusive Gala-Diner die gesamte Crème der Modewelt erschien.

"The Golden Age of Couture"

Mode als Kunstwerk: In London lässt die Ausstellung "The Golden Age of Couture" alte Zeiten wieder lebendig werden.

(Foto: Foto: Getty Images)

So willkommen der PR-Effekt von Gästen wie John Galliano, Kate Moss, Mario Testino und Anna Wintour sicher war, so passend war ihre Anwesenheit angesichts des Themas der Ausstellung: "The Golden Age of Couture" ist eine Betrachtung der Hohen Mode zwischen 1947 und 1957. Sie schließt zugleich eine Art Glamour-Triptychon des V&A ab, begonnen im Frühjahr mit der Kylie-Minogue-Ausstellung und fortgeführt im Sommer mit der Surrealismusschau.

In der von Claire Wilcox kuratierten Couture-Retrospektive wird zunächst eines deutlich: Dass die titelgebenden "Goldenen Jahre" der gehobenen Schneiderei in die Nachkriegszeit fallen, verleiht der damaligen Mode eine historische und soziale Relevanz, die in diesem Umfang seitdem nicht mehr möglich gewesen ist.

Die Pracht des "New Look"

Das identitätsstiftende Ritual der Haute Couture war im 20. Jahrhundert niemals so wichtig wie in der grauen Nachkriegszeit. Und nie mehr seither ist die Haute Couture so sehr von einer einzigen Figur geprägt worden wie damals von Christian Dior, dessen Kreationen folgerichtig einen Großteil der mehr als 100 ausgestellten Kleider ausmachen; hinzu kommen Modelle von Balenciaga, Balmain, Fath, Schiaparelli und zahlreichen anderen.

Fast alle diese Stücke stammen aus den eigenen Beständen des V&A, das sie seinerseits dem legendären Vogue-Fotografen Cecil Beaton verdankt. Beaton überzeugte 1971 Damen der High Society, darunter die Queen und ihre Schwester, Prinzessin Margaret, dem Museum rund 600 Kleider und Accessoires zu überlassen. Das V&A kann daher die Geschichte jedes einzelnen Stückes genau zurückverfolgen und gibt einen Einblick in die Beziehung zwischen Couturier und Kundin, oft begleitet von einem Foto Beatons, das die Besitzerin im jeweiligen Kleid zeigt.

Schon während des Krieges hatte sich das Festhalten am Stilbewusstsein als der Kriegsmoral förderlich erwiesen, wie Cecil Beatons Bilder aus der britischen Vogue von 1941 zeigen. Der Gegensatz zwischen den zerbombten Londoner Häusern und den nonchalant vor den Ruinen posierenden Models könnte pointierter nicht sein. Der Titel der Fotoreihe, "Mode ist unzerstörbar", ist zugleich Durchhalteparole. Nach Kriegsende war es jedoch keines der überlebenden alten Modehäuser, sondern eine Neugründung, die als Errettung der Hohen Mode gefeiert wurde.

Christian Diors sensationeller Debüt-Kollektion von 1947 heftete die Presse schon bald das Etikett "New Look" an. Paradoxerweise orientierte sich diese "neue" Ästhetik stark an der Mode der Belle Epoque, deren Ausklang der 1905 geborene Dior noch miterlebt hatte - Schleifen und Stoffblumen, angebracht an mit Taft oder Batist gefütterten Kleidern aus Satin oder Wolle. Es war Diors erklärtes Ziel, seine Kreationen "wie Gebäude zu konstruieren" und den weiblichen Körper so vorteilhaft wie möglich zu konturieren.

Diors Ballerina-Röcke und durchmodellierte Jacken verschlangen pro Stück 30 bis 40 Meter Stoff. "Bar", eines der berühmtesten Modelle seiner Kollektion von 1947, kombinierte ein traditionelles Korsett mit einer Art Armatur, auf der eine Seidenjacke mit Wespentaille und stark gepolsterten Hüften aufgebracht wurde. Der dazugehörige Plisseerock aus Wolle fiel locker, wog aber 3,6 Kilo. Zudem kostete ein solches Stück 59000 Franc, was drei Jahreslöhnen eines französischen Fabrikarbeiters entsprach.

Dieser in jeder Hinsicht verschwenderische Umgang mit Materialien schockierte und begeisterte eine Öffentlichkeit, deren Versorgung mit dem Lebensnotwendigen in den vierziger Jahren noch immer streng rationiert war. Cecil Beaton erlebte zu jener Zeit ein Vogue-Foto-Shooting bei Balenciaga, bei dem "das Gemüse, um das ich als Requisiten für diese Bilder gebeten hatte, bei jenen im Studio auf großes Interesse stieß, die noch immer hungerten". Vor diesem Hintergrund wird es verständlicher, dass die britische Regierung zu verhindern versuchte, dass der "New Look" auf der Insel populär wurde. Das britische Handelsministerium verbot der nationalen Presse, Diors neuen Stil auch nur zu erwähnen.

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Wie Phoenix aus der Asche

Alles Totschweigen half nichts. Der opulente Optimismus des "New Look" war nach dem finstersten Abschnitt europäischer Geschichte ein nicht unterdrückbares, lebens- und luxusbejahendes Statement. Zwar wurde eine Vorführung von Dior-Modellen für die Prinzessinnen Elisabeth und Margaret noch in aller Stille in der Französischen Botschaft organisiert. Doch war es gerade Margaret, die sich schon bald öffentlich als große Freundin der Pariser Mode erwies.

Auch englische Schneider wie Hardy Amies ließen sich von den Formen Diors anregen, wenn sie auch einstweilen noch auf erheblich beschränktere materielle Mittel zurückgreifen mussten. Vielfach wurden bereits vorhandene Kleidungsstücke einfach umgeschneidert, die Röcke wurden ausgelassen, die Taillen enger gemacht.

Neben den Dior-Kreationen wirken die englischen Kleider jener Jahre ein wenig wie ärmliche Halbgeschwister. Doch auch im Laufe der Fünfziger, als Stoffe und Applikationen wieder zur Verfügung standen, erreichten die britischen Designer selten den großen schöpferischen Gestus, den ihre Kollegen in Paris so hinreißend beherrschten. So wichtig London in späteren Jahrzehnten auch für die Mode werden sollte, in jenen Jahren blickte alles nach Frankreich.

"The Golden Age of Couture" vollzieht beispielhaft den Richtungsstreit nach, welcher vor allem zwischen der aufsehenerregenden Mode Diors und der stets nach natürlicher Eleganz strebenden seines schärfsten Konkurrenten Cristóbal Balenciaga ausgetragen wurde. Im direkten Vergleich erweist sich Dior als charmanter Zitierer des Pompadour-Stils, als Wiederhersteller einer Körpersprache vergangener Epochen. Balenciaga suchte hingegen weniger die Transformation seiner Kundinnen durch seine Kleider, sondern verpflichtete sie vielmehr auf ein unbedingtes, ernstes Stilempfinden. Im Gegensatz zu Dior wandte sich Balenciaga mit den Jahren auch immer mehr von der Öffentlichkeitsarbeit ab, ließ die Presse nicht mehr an seinen Haute-Couture-Schauen teilnehmen.

Aber wehe, Kate Moss ist da!

Die Londoner Ausstellung hingegen trägt der wichtigen Rolle Rechnung, welche vor allem die amerikanischen Modemagazine bei der Verbreitung des ,,New Look'' und bei der Überführung der Haute-Couture-Prinzipien in die jeweiligen Prêt-à-porter-Kollektionen spielten. Der Arbeit Cecil Beatons und Richard Avedons ist eine eigene Abteilung gewidmet. Insgesamt zeichnet ,,The Golden Age of Couture'' ein wohltuend analytischer Zugang aus. Ausführlich werden die Bedeutung der Modehäuser für die französische Wirtschaft und die strengen Regeln und Produktionsquoten beleuchtet, welche die französische Regierung den Couturiers auferlegte. Das V&A beweist zudem - wie immer - seine Stärke in kundigen Anmerkungen zu den Materialien und dem immensen handwerklichen Knowhow, das in die aufwendigen Kreationen floss.

Im Jahre 1964 erklärte das Queen Magazine die Haute Couture für tot und druckte Nachrufe auf Balenciaga und Givenchy. De facto waren die ,,Goldenen Jahre'' bereits mit dem frühen Tod Christian Diors im Jahre 1957 zu Ende gegangen. Die statuarische Pracht, mit der er den weiblichen Körper gefeiert hatte, verschwand jedoch nie ganz aus der Mode, wie einige ebenso extravagante wie üppige Modelle des derzeitigen Dior-Designers John Galliano zum Abschluss beweisen.

Dior selbst hätte darin womöglich die Fortführung seiner eigenen Ästhetik mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts erkannt und gebilligt. Was der Couturier hingegen zu Kate Moss gesagt hätte, die bei der Ausstellungseröffnung im trunkenen Zustand ein Dior-Kleid aus den frühen Fünfzigern zerriss, kann man nur ahnen.

"The Golden Age of Couture - Paris and London 1947 - 1957". Victoria & Albert Museum London, bis 6. Januar 2008. Info: 0044(0)2079422000, Katalog 24,99 Pfund.

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