Mithu M. Sanyal: "Vulva":Mehr Genitalstolz!

Nackte Frauen können sprechen: Mithu M. Sanyals Buch "Vulva" behandelt ein vergessenes Feuchtgebiet und die überraschende Kulturgeschichte des weiblichen Geschlechts.

Jutta Person

Dita Von Teese eine Feministin? Und Striptease eine antipatriarchale Revolte? Dass die Gleichung so glatt aufgehe, wurde doch bezweifelt, neulich im Berliner Prater. Dort plauderte man im Auftrag der Volksbühne über sexpositiven Feminismus, Bühnenkörper, Subversion, Bitches und Pussypower. Das sind Stichworte eines feministischen Flügels, der darum kämpft, Weiblichkeit vom Objektstatus zu befreien, indem die Frau - wer auch immer das ist, nach all den Transgender-Debatten - als begehrendes Subjekt auftritt.

Mithu M. Sanyal: "Vulva": Überall verdeckte Vulven: Mithu M. Sanyal liefert mit ihrem Buch eine Kulturgeschichte des weiblichen Geschlechts.

Überall verdeckte Vulven: Mithu M. Sanyal liefert mit ihrem Buch eine Kulturgeschichte des weiblichen Geschlechts.

(Foto: Foto: Verlag Wagenbauer)

Zwischen Anschauen und Angeschautwerden verläuft die Geschlechterdifferenz, und deshalb kommt es darauf an, die Blickrichtung zu ändern und sich den Sex anzueignen. Sagen die einen. Die anderen sagen: Wer das zeigt, was die Klientel ohnehin sehen will - einen makellosen Teesekörper zum Beispiel -, hat nichts gewonnen, schon gar nicht den Posten in der Chefetage oder gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Die Stripperin kann sich von schmierigen Stammtischblicken nicht befreien, und wenn die Ware sich einfach nur selber Liebesblicke zuwirft, ändert das auch nichts.

Verkannte Ironie

Das Lustwesen riskiert, dass Ironie und Überbau seiner Performance verkannt werden - wo aber der Unterschied zwischen einer subversiven und einer affirmativen Sex-Geste liegt, konnte auch in der Volksbühnen-Talkshow niemand beantworten. Die Frage selbst allerdings, was die Subversion der Geschlechtergrenzen eigentlich sein soll, führt zurück in die neunziger Jahre, als man in den kulturwissenschaftlichen Seminaren den Poststrukturalismus auseinandernahm.

Lacan wurde kunstvoll als reaktionärer Freud enttarnt, dessen symbolische Ordnung den Phallus nur noch fester einpflanzte. In dieser Tradition steht Mithu M. Sanyals neue Kulturgeschichte der Vulva: Im kollektiven Gedächtnis sei das weibliche Geschlecht nach wie vor eine Leerstelle - ein Loch eben, das von Lacan als Mangel definiert wurde.

Sogar Frauen könnten ihre Geschlechtsorgane oft nicht richtig darstellen, erklärt die Autorin, und das habe nichts damit zu tun, dass ein Penis eben leichter zu zeichnen sei. Anders als die sexuell vermeintlich so informierte Gegenwart hatten frühere Kulturen ein ausgeprägtes Verhältnis zu den weiblichen Genitalien. Die Vulva - der äußere, sichtbare Teil der primären weiblichen Geschlechtsorgane - besteht aus Venushügel, Klitoris, äußeren und inneren Schamlippen, dem Eingang zur Vagina und Damm; dass das nicht nichts ist, scheint offensichtlich, und dennoch wurde sie jahrhundertelang verdrängt.

Das Heben der Röcke

Die Zurschaustellung der Vulva war einmal eine rituelle Geste, die Heilung, Schutz oder Abschreckung bewirkte: Das Heben der Röcke brachte die Saat zum Wachsen, beruhigte das stürmische Meer oder schlug böse Geister in die Flucht.

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Vom Heben der Röcke

Die Geschichte dieser umkämpften Körperzone reicht von den antiken Baubo-Mythen über keltische Göttinnen bis zu den steinernen Nonnen des 13. Jahrhunderts, die ihre Vulva hervorstreckten: "Bis ins späte Mittelalter wurden Statuen von nackten Frauen mit gespreizten Beinen an heiligen Stätten, wie Klöstern oder Kirchen, angebracht und bewachten die Stadttore." Auch nichteuropäische Kulturen waren so vulvaversessen, dass die Phallusverehrung ihre Macht verlor.

Wenn das weibliche Geschlecht aber mit seiner Potenz protzt, funktioniert auch die Triebsublimierung nicht mehr, wie sie seit Freud gedacht wird: als Veredelungstaktik eines rein männlichen Genies. Die indische Göttin Kali etwa war dermaßen dominant, dass die britischen Kolonisatoren ihren Augen nicht trauten.

Nackte Frauen können sprechen

Sanyal schlägt in diesem Buch einen Bogen bis zu den Stripteasetänzerinnen der zwanziger und dreißiger Jahre; dort findet sie in Gypsy Rose Lee das Paradebeispiel einer selbstbewussten Sexgöttin. Die Entertainerin, die auch als Autorin des Romans "The G-String Murders" Furore machte, setzte auf Sexappeal und Intelligenz, was gleich mit einem neuen Label bedacht wurde: striptease intellectual - "als wäre es ein Weltwunder, dass eine nackte Frau auch noch sprechen konnte", schreibt Sanyal und belegt, wie schlagfertig sich die Künstlerin über die bornierte Entgegensetzung von Geist und Sex lustig machte, die ihr auf Amerikas Bühnen entgegenschlug.

"Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts" - so der Untertitel des Buchs- fördert überraschende und unterhaltsame Geschichten zutage. Nicht zuletzt über das größtenteils weibliche Publikum bei den frühen Burlesque-Shows hätte man gern mehr gelesen.

Die ewige Natur des Geschlechts

Die Verbindungen allerdings, die Sanyal zwischen antiken Mythen, mittelalterlichen Abwehrriten und moderner Erotik zieht, sind anfechtbar: Dass etwa die griechische Hetäre Phryne im vierten Jahrhundert vor Christus mit ihrer Selbstenthüllung einen "Sieg der selbstbestimmten weiblichen Subjektivität davongetragen" habe, erscheint fragwürdig, weil "Selbstbestimmung" und "Subjektivität" ziemlich junge Vorstellungen sind - ganz abgesehen davon, dass Sex als Ausdrucksform des Individuums überhaupt eine brandneue Erfindung ist, wenn man 2000 Jahre Revue passieren lässt.

All die vorgezeigten und verdrängten Vulven legen ein überzeitliches weibliches Bewusstsein nahe - und das klingt gefährlich nach der Matriarchatsesoterik der siebziger Jahre, die letztlich nur die ewige Natur des Geschlechts zementierte. Sanyal betont, dass sie mit dem Essentialismus früherer feministischer Fraktionen nichts zu schaffen habe - aber manchmal unterliegt ihre Kulturgeschichte dem Versuch, in der geforderten Wertschätzung für die Vulva eine Art Allheilmittel zu sehen. Es ist sicher richtig, dass Sprache unser Denken bestimmt; aber wie viel sich ändert, wenn alle "Vulva" sagen, das ist schwer abzusehen.

Trotz dieser Einwände ist "Vulva" ein spannendes Buch, das im aktuellen "Feuchtgebiete"-Hype ein anderes Selbstbewusstsein fordert: eines, das sich gegen den Sexleistungsdruck mit seinen langweilig normierten Körpern zur Wehr setzt. Wirklich revolutionär sind die freakhaften und bizarren Körper, kann man aus den "Fat Bottom Revues" der Burlesque-Ladys lernen, oder auch: Schafft ein, zwei, viele Teesen.

MITHU M. SANYAL: Vulva. Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts. Wagenbach, Berlin 2009. 240 Seiten, 19,90 Euro.

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