Mit Miami Vice kam die Dekonstruktion:Gigolos in Pastell

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Flamingos, Bikinis und Männer mit hochgekrempelten Sakko-Ärmeln: Die Serie "Miami Vice" brachte den Existenzialismus ins Amerika der Achtziger.

Fritz Göttler

Ein blauer Himmel, ein gleißend weißer Strand, eine Frau und ein Mann. Ein erschreckendes Gefühl von Einsamkeit und Leere. Es gibt andere Strände, sagt die Frau, die noch weißer sind als dieser, so weiß, dass es den Augen weh tut. Ich werde dich dorthin bringen ... Als sie den Blick hebt, sieht sie den Polizeihubschrauber heranschweben, im Sand aufsetzen. Bevor man sie abführt, ein letzter kurzer Kuss. Man liest der Festgenommenen ihre Rechte vor. Der Mann wendet sich ab, geht den Strand entlang.

Der Kleidungsstil der 80er Jahre Kultserie "Miami Vice" prägte eine ganze Generation. (Foto: Foto: dpa)

Das ist das Ende von "Definitely Miami", einer Folge, die "Miami Vice"-Fans eine der besten nennen, die intensiv den Geist der Serie wiedergibt. Wieder hat sich Sonny Crockett (Don Johnson) in die falsche Frau verliebt, gespielt von Arielle Dombasle, eine femme fatale aus Frankreich, die mit Rohmer und Robbe-Grillet drehte und in den Neunzigern Bernard-Henri Lévy geheiratet hat.

Mit "Miami Vice" kam die Dekonstruktion ins amerikanische Serienfernsehen, in den Jahren 1984 bis 1989. Und bis heute rätselt man darüber, wie sehr das dem Genie und dem Zugriff Michael Manns zu verdanken ist, der die künstlerische Leitung hatte. Regisseure hatten es schwer, ihre Episoden individuell zu prägen, das galt für die Verrückten wie Abel Ferrara wie für die Actionprofis wie Rob Cohen, der "Definitely Miami" drehte. Irgendwann gegen Ende des zweiten und zu Beginn des dritten Jahres geriet die Serie ins Trudeln - weil Manns Interesse nachgelassen hatte, vor allem aber, weil diese Entwicklung in der Konstellation, im Material der Serie selbst steckte, die von Anfang an einen Zünder zur Selbstzerstörung eingebaut hatte. Mann selber hat sich schon damals, stärker als man meinen mochte, für den politischen Kontext der Geschichte interessiert, die gesellschaftlichen Veränderungen, die der globale Drogenschmuggel im Innern der USA auslösen sollte.

Der neue Cop trug Armani

Es ist dieses Interesse, das ihn bewogen hat, nach 20 Jahren eine Kinoversion zu schaffen, die diese Woche anläuft, mit Colin Farrell und Jamie Foxx als Sonny und Ricardo Tubbs, den Rollen, die einst Don Johnson und Philip Michael Thomas verkörperten.

Den unerhörten neuen spiritus loci, der damals den klassischen amerikanischen Crime-Städten von Chicago bis New York den Rang streitig machte, fasste der Vorspann cool und präzise in Bilder. Die aufgescheuchten Flamingos. Der Busen des Bikini-Girls, der wippt zum heavy Sound von Jan Hammer. Die Kühler der Luxuskarossen, an denen die Kamera vorbeigleitet. Die Wolkenkratzer am Strand. Pferde- und Hunderennen. Am Ende schließlich noch einmal die Totale aufs Meer, über das die Speedboote ihre weißen Schaumspuren ziehen. Eine Welt der Transparenz, ein grell schimmerndes Nirgendwo. Der Himmel von Miami war unberechenbar, er schillerte in allen Farben, konnte Erregungszustände aller Art suggerieren. Der neue Cop trug Armani und zwar am liebsten mit hochgekrempelten Jackenärmeln, darunter nichts als ein T-Shirt. Auch auf Socken verzichtete er. Das war eine Art Arbeitskleidung, die sich der Hitze verdankte und der Fashion der mondänen Miami-VIPs, aber es wurde atemberaubend schnell Kult in aller Welt. Es war eine geborgte Existenz, Sonny arbeitete undercover, lebte auf einer Segeljacht, gab sich als Drogenhändler aus.

Miami war die allerletzte Grenze des Kontinents. Wo Amerika offen war, nicht nur für die Drogenkartelle aus dem Süden, die den Stoff tonnenweise ins Land brachten und kaum effektiv zu bekämpfen waren. Hier war das Land immer in Gefahr, seine Konturen, seine Identität, seine Prinzipien zu verlieren. Nur wenige Kilometer entfernt lauerte zudem der politische Feind, Castros Kuba - in der neuen Filmversion ein wichtiger Ort, als Fluchtpunkt einer unmöglichen Liebe. Es war die Lebensart der Latinos, die südländische Laisser-faire-Mentalität, die die amerikanische Moral, den traditionellen Puritanismus korrumpierte. Es war noch kein Lifestyle, der hier entstand, aber die Probleme wurden unübersehbar gegen Ende der Achtziger. Das Zeitalter der Globalisierung war da.

1980 hat es in L.A. den American Gigolo gegeben, der erstmals den Armani-Outfit proklamierte und den neuen Mann, der ihn trug - es waren zwei Männer aus dem Norden, die den Style durchsetzten, die neue Männer-Einsamkeit, Paul Schrader aus Grand Rapids, Michigan, und Michael Mann aus Chicago. Sonny Crockett, wie Mann ihn kreierte und Don Johnson ihn verkörperte, ist ein kaputter Typ. Ein Vietnam-Veteran, zweimal gescheitert als Ehemann, und was er an cooler Lässigkeit in seine Affären investierte, konnte er durch Anfälle von Larmoyanz wieder vernichten. Wodurch die Serie heute, beim Wiedersehen, emotional ein wenig trödelig wirkt. In der Kinoversion hat Michael Mann dem abgeholfen, indem er dem neuen Sonny, Colin Farrell, eine echte Liebesgeschichte zuschrieb, mit Gong Li.

Es war eine Rückkehr zum film noir, die die Serie vollzog, der ja auch, bei Howard Hawks zumal, exotisch begonnen hatte - im Treibhaus, in das General Sternwood sich in "The Big Sleep" verkroch, das Humphrey Bogart als Philip Marlowe Schweißströme über den Rücken jagte. Die Fragen der Moral, die den Noir-Helden verstörten, waren in "Miami Vice" irrelevant geworden. Man wusste, dass man für immer Teil des Spiels war, es gab kein Zurück in die alte Welt. (Don Johnsons Abstieg nach dem Ende der Serie, seine künstlerischen und finanziellen Fiaskos, sind ohne Beispiel.) Mit "Miami Vice" war der Existentialismus nach Amerika (zurück)gekommen. Der leichte Existenzialismus, wie Camus ihn verkörperte, der Philosoph, der aus dem Süden kam und so elegant aussah wie ein Model. Man müsste sich Sonny Crockett als glücklichen Menschen vorstellen ...

© SZ vom 21.08.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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