Mit Hans Weingartner in Cannes:Der Welt wird nichts erspart

Wie ein Hype entsteht, und wie man auf ihn reagiert - wir ziehen mit Hans Weingartner, dem Regisseur des deutschen Beitrags, durch Cannes. Ein Tagebuch.

TOBIAS KNIEBE

Samstag, 8. Mai, 11 Uhr. Café Zebrano, Berlin. Ein schiefergrauer, windiger Morgen, in einem Café im tiefen Osten Berlins, wo Cannes noch unendlich weit weg scheint. Es ist fast zu kühl, um draußen zu sitzen - aber Hans Weingartner braucht frische Luft. Er trägt eine dicke Daunenweste, er lässt seine Haare schützend über die Augen fallen, und manchmal vergräbt er den Kopf an der Schulter einer schönen jungen Frau namens Lara, die ihm Halt gibt. So sehen keine Sieger aus, sondern Menschen, die dringend Ruhe brauchen. Aber das geht jetzt nicht. Weingartner muss an die Cäte d"Azur fahren. Mit einem kleinen, aufregenden Film im Gepäck, für den er das Haus seiner Eltern verpfändet hat. Der Anruf des Festivals ereilte ihn auf der Toilette des Tonstudios, wo niemand seinen Freudenschrei hören konnte. Danach ging er auf die Straße hinaus und fühlte sich merkwürdig. ¸¸Mein Leben hatte sich komplett verändert," sagt er. ¸¸Aber die Welt war einfach die gleiche geblieben."

Mit Hans Weingartner in Cannes: Baby, wir sind jetzt Stars, und da sind die Sterne. Hans Weingartner mit unbekannter Schöner auf dem roten Teppich von Cannes.

Baby, wir sind jetzt Stars, und da sind die Sterne. Hans Weingartner mit unbekannter Schöner auf dem roten Teppich von Cannes.

(Foto: Foto: AP)

Freitag, 14. Mai, 21 Uhr. Restaurant Le Pistou, Cannes. Seit zwei Tagen läuft das Festival, aber noch sind die Deutschen nicht dran. Die Einkäufer des Berliner X-Verleihs beraten ihre Strategie. Die blaue Stunde liegt über dem Hafen. Ein klares Ziel wird ausgegeben: Hans Weingartner muss bei uns unterschreiben. Gemeinsam haben sie Weingartners ersten Film, ¸¸Das weisse Rauschen", in die deutschen Kinos gebracht. Gemeinsam gekämpft, gemeinsam einen ersten Erfolg errungen. So sollte es mit dem zweiten nun weitergehen. ¸¸Wir haben das neue Werk gesehen, als Cannes noch nicht mal in den Sternen stand," sagt Verleihchef Anatol Nitschke. ¸¸Wir wollten es haben, und wir haben unser Angebot abgegeben." Aber dann hat Weingartner, der geniale Zocker, die Rechte erst einmal an eine einflussreiche französische Filmhändlerin verkauft. Das heißt erstens: Man kann sie immer noch haben. Und zweitens: Jetzt könnte es richtig teuer werden.

Samstag, 15. Mai, 14 Uhr, Strandpromenade. Im Gewusel der verschwitzten Leiber plötzlich: Daniel Brühl und Jessica Schwarz. Das junge, jawoll, Traumpaar des deutschen Films. Im zwei Tagen werden sie den roten Teppich beschreiten, aber im Moment haben sie noch frei. Da kann man mal fragen, ob die Brühlsche Glückssträhne nicht langsam unheimlich wird: Weltweiter Erfolg mit ¸¸Good Bye, Lenin!", europäischer Schauspieler des Jahres, ein englischer Film mit Judi Dench schon abgedreht - und jetzt auch noch Cannes. ¸¸Ich nehme halt mit, was geht", grinst er. ¸¸Denn bald kommt sicher der Abstieg." Brühl hat schon im ¸¸Weissen Rauschen" mitgespielt und geholfen, Weingartner groß zu machen. Oder aber: Weingartner hat Brühl erst groß gemacht. Wie auch immer, eigentlich wollten sie danach mal Pause machen. Aber offenbar können sie nicht voneinander lassen - eine Art Hassliebe. ¸¸Das letzte Mal, als ich ihn erwürgen wollte", sagt Brühl, ¸¸war beim Plakatentwurf."

Sonntag, 16. Mai, 2 Uhr morgens, Le Palais Oriental. Eine Villa wie aus Tausendundeiner Nacht in den Bergen von Cannes. Orientalische Rundbögen, rosabestrahlte Palmen, magisch leuchtende Kugeln, die im Pool schwimmen. Elizabeth Taylor und George Clooney haben hier schon gewohnt, im Moment macht der Sender MTV eine Party. Salman Rushdie muss irgendwo in einer Ecke sitzen. Das Model Jodie Kidd springt vollbekleidet in den Pool. Die Hiphop-Legende Grandmaster Flash legt auf, aber nicht etwa legendären Hiphop, sondern All-Time-Partybrummer wie ¸¸Everybody Dance Now". Jessica Schwarz nimmt das sehr ernst, sie zaust ihren Haarschopf und tanzt, als sei der Geist von ¸¸Flashdance" in ihren Körper gefahren. Daniel Brühl sagt, dass ihn schon wildfremde Menschen auf ¸¸The Edukators" ansprechen - so lautet der internationale Titel des Films. Er spürt Erwartungen, die ihm allmählich Sorgen machen. ¸¸Mann, Mann, Mann", sagt er. ¸¸Es ist immer noch ein kleiner Film." Aber offenbar ist etwas passiert, was dem deutschen Film zuletzt mit ¸¸Lola rennt" widerfahren ist: Ein Hype ist entstanden.

Sonntag, 16. Mai, 23 Uhr, Yachthafen von Cannes. Am Kai liegt die luxuriöse ¸¸Bellissima C", gemietet vom Sender Arte. Arte ist finanziell beteiligt, genauso wie der SWR und seine mutige Redakteurin Sabine Holtgreve. Der Empfang wird zum ersten Treffen des Teams. Die Nacht ist warm, ein paar Yachten weiter läuft Sofia Coppola barfuß über den Bootssteg - aber Hans Weingartner trägt immer noch seine Daunenweste. Manche Menschen ändern sich nie, das ist das stolze Motto seines Films, das zieht er jetzt auch in Cannes durch. Außerdem erfährt er, dass man hier nicht nach dem Film auf die Bühne muss. Danach ist er gleich doppelt so gut gelaunt. Außerdem sagt er, dass seine französische Filmhändlerin bereits Angebote aus 50 Ländern hat. Was ironischerweise bedeutet, dass die fetten Jahre für ihn gerade anfangen. Er war mal Hausbesetzer. Am Ende von Cannes könnte er, nach allen Regeln der Branche, Millionär sein.

Montag, 17. Mai, 19 Uhr. Die Stufen des Palais, der Augenblick der Wahrheit. Vor dem Grand Théâtre Lumière, dem größten Kino des Festivals, fährt ein alter blauer VW-Bus vor. Das alte Schrottmobil, selbst ein Star des Films, hat es trotz vieler Pannen nach Cannes geschafft. Hans Weingartner und sein Team steigen aus. Auf dem roten Teppich tanzen sie ein bisschen herum. Schließlich wird es dunkel im Saal, die Melodie aus Saint-Saëns ¸¸Karneval der Tiere" erklingt, dazu läuft der Festivaltrailer. Eine Computeranimation, die den Blick über freischwebende rote Stufen hinweggleiten lässt - in den Himmel hinein und bis hinauf ins Weltall. Für einen Augenblick meint man, die Sterne greifen zu können. Am Ende des Films gibt es fast zehn Minuten Jubel und Ovationen. Die bisher beste Publikumsreaktion in diesem Jahr, sagt Thierry Frémaux zu Daniel Brühl, der Leiter des Festivals.

Montag, 17. Mai, 22 Uhr, Villa Babylone. Wieder einmal keuchen Shuttlebusse die Straßen in den Bergen über Cannes empor, wieder einmal breitet sich der Garten einer großen Villa aus. Diesmal feiert die Export-Union des Deutschen Films - und wirklich alles, was in der heimischen Filmszene Rang und Namen hat, drängt sich gefährlich nah am Swimmingpool. Die Stimmung ist euphorisch. Christina Weiss, die Kulturstaatsministerin, wirkt vor allem erleichtert. Den ganzen Tag über hat sie mit zwanzig europäischen Ministerkollegen konferiert. Am Abend gab es kleine Frotzeleien, weil sie laut Protokoll gezwungen waren, gemeinsam in den deutschen Film zu gehen. Nach dem Film frotzelte keiner mehr - und das, sagt Frau Weiss, ¸¸hat schon mal richtig gut getan." Burghart Klaußner, ein Mittvierziger mit runder Brille, steht in der Nähe und verdaut eine spezielle Art von Schock - er ist zum Publikumsliebling avanciert. Eigentlich beginnt seine Figur, der Topmanager Hardenberg, als Bösewicht des Films - am Ende hat er alle Lacher auf seiner Seite. ¸¸Das Irre ist", sagt er, ¸¸dass nicht alle Dialoge im Drehbuch vorgegeben waren. Ein paar dieser Texte stammen sogar von mir."

Montag, 17. Mai, 24 Uhr, Villa Mai. Die schönste aller Partyvillen steht auf einem Bergrücken zwischen Cannes und Vallauris. Hier lebten einst Jean Marais und sein Lover Cocteau, und hier hält jetzt die Pariser Filmhändlerin Hof, die den Film in alle Welt verkauft. Ihr Name ist Hengameh Panahi, eine kleine, persischstämmige Frau mit einem großen Lachen. ¸¸Als ich Hans" Film zum ersten Mal gesehen habe, fühlte mich wie ein sechzehnjähriges Mädchen", sagt sie. ¸¸All diese Träume, all der Idealismus dieser Zeit. Ich musste ihn haben, und es war mir egal, was er kosten würde." Diese instinktive Entscheidung ist nun eine ziemlich lukrative. Besonders die deutschen Verleiher umschwärmen sie wie die Motten das Licht, man spürt, Minute für Minute, wie die Preise steigen. ¸¸Hätten wir doch in Berlin alles klar gemacht", seufzt Anatol Nitschke, der sein Angebot ebenfalls massiv erhöht hat. Ansonsten ist die Stimmung phantastisch, nur der Chef der Filmförderung Nordrhein-Westfalen schaut eher grimmig: ¸¸Ein Wettbewerbsbeitrag in elf Jahren", poltert er. ¸¸Wer sich darüber freut, läuft ins das offene Messer der Franzosen."

Dienstag, 18. Mai, 15 Uhr, Grand Hotel. Ein sehr heißer, wolkenloser Tag. Allgemeiner Kater. Zeitungen liegen herum, erste Kritiken. Der Hollywood-Reporter ist euphorisch. Variety sieht Mängel, bleibt eher indifferent. Le Monde ist kurz, böse, und verständnislos. Libération verständnislos, kurz, und böse. Ein Liebling der Kritiker wird der Film nicht werden, aber das trübt die Stimmung kaum. Daniel Brühl sitzt im Palmengarten und gibt Interviews. Hans Weingartner kommt mit seinem Rucksack vorbei, in Gedanken versunken. Zu den Kritiken sagt er nur, dass er nicht gut genug Französisch kann, um etwas dazu zu sagen.

Donnerstag, 20. Mai, 12 Uhr. Noch drei Tage bis zur Verleihung der Goldenen Palmen. Daniel Brühl hat noch einen Tag in Cannes drangehängt. Es gibt Gespräche mit einer amerikanischen Agentur, die ihn in Hollywood vertreten soll. Hoffnungen auf irgendwelche Preise, sagt er, mache er sich eher nicht. Das macht er allerdings nie, und dann gewinnt er doch immer. Hans Weingartner sagt, er werde die Stimmung am Freitag abschätzen und dann entscheiden, ob er heimfährt oder bleibt, in der Hoffnung auf eine Palme. ¸¸Ein Nebenpreis könnte drin sein", sagt er, aber eigentlich misst er den Erfolg auf andere Weise. ¸¸Beim nächsten Film muss ich nicht mehr das Haus meiner Eltern verpfänden. Das ist doch was."

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