Misshandlungsvorwürfe:"Niemand kam auf die Idee, das zu stoppen"

In einem harschen Facebook-Post kritisiert der Regisseur Simon Verhoeven seinen Kollegen Dieter Wedel und schämt sich für die Mechanismen der Filmbranche.

Von Philipp Crone

"Ich habe noch nie so viele Reaktionen auf einen Text bekommen", sagt Simon Verhoeven, 45. Der Regisseur ("Willkommen bei den Hartmanns") hatte sich am Sonntag auf Facebook mit deutlichen Worten zu den Missbrauchsvorwürfen gegen seinen Kollegen Dieter Wedel geäußert. "Jeder, der in der Filmbranche eine Zeit lang mitgearbeitet hat, wusste von den ätzenden Geschichten über Wedel", schrieb er. "Ich schäme mich für die Mechanismen meiner Branche, die es diesem Sadisten und brutalen Gewalttäter erlaubt haben, jahrzehntelang Frauen zu vergewaltigen und Menschen zu quälen." Es sei Zeit, sich von Wedel zu distanzieren und "seine Serien nie wieder auszustrahlen".

Warum äußert sich Verhoeven erst jetzt? Und warum überhaupt? Das erklärt er am Montag in einem Telefongespräch.

"Was ich gehört habe, war das, was die meisten in der Branche über ihn gehört haben, nämlich dass er ein sehr unangenehmer Regisseur sei, der teilweise Psychoterror mit Schauspielern betrieben hat und egomanisch extravagant am Set ist." Erst als er die Veröffentlichung der Zeit vergangene Woche gelesen habe, in der neue konkrete Vorwürfe gegen Wedel erhoben wurden, sei ihm klar geworden, dass er sich äußern müsse. Denn da gehe es möglicherweise um Straftaten. "Meine Kritik richtet sich nicht gegen die Branche, ganz im Gegenteil, sondern gegen die Mechanismen und die Leute, die so jemanden und so ein Verhalten geduldet und verharmlost haben, um die Produktion weiterlaufen zu lassen und um mit Wedel Erfolg zu haben."

Was Wedel vorgeworfen wird, habe absolut nichts zu tun mit leidenschaftlichem Filmemachen

Nach Verhoevens Ansicht hätte den Beteiligten klar sein müssen, was gelaufen sei. Dass, wie ein Vorwurf lautet, Wedel die Schauspielerin Esther Gemsch 1980 körperlich verletzte, sodass sie nicht mehr weiterdrehen konnte. Am Set wurde darüber gesprochen und trotzdem "ging der Dreh weiter, er wurde nicht belangt, es kam aber niemand von der Produktion auf die Idee, das zu stoppen. Und genau das macht mich so wütend." Verhoeven ruft die Branche auf, sich "davon zu distanzieren und sich gegen ein System zu wehren, wie es das offenbar gab". 99 Prozent der Filmschaffenden seien anständige Menschen. Was nun ans Licht komme, müsse aufgearbeitet werden.

Verhoeven hat nie mit Wedel zusammengearbeitet, aber er kennt Künstler, die für Wedel spielten. "Dabei muss man schon auch mal sagen, dass Leidenschaft und harte Worte am Set auch mal dazugehören." Auch ein Wutanfall dürfe mal sein oder dass sich zwei Leute anschreien. Am Set arbeiteten Künstlertypen zusammen und "leben sich auch mal aus". Mitunter komme Erotik ins Spiel, wie an jedem Arbeitsplatz auch. "Nur ist es bei uns sehr aufgeladen. Film ist ein sehr emotionales Gewerbe, wir stehen alle unter Strom. Alle sind angespannt, man hat Zeitdruck, man verbindet sich für drei Monate, da kann alles Mögliche passieren." Es könne auch mal richtig sein, wenn der Regisseur einen Darsteller reize. Doch was Wedel vorgeworfen werde, habe absolut nichts zu tun mit leidenschaftlichem Filmemachen. "Ich habe auch Regisseure erlebt, die mal hart waren und unfair und Leute niedergebrüllt haben, das habe ich nie gemocht, das ist nicht typisch, aber das gibt es. Der Fall Wedel ist aber eine ganz andere Dimension." Hier sei jemand vom "Schutzmantel des Regiekünstlers" behütet worden.

Simon Verhoeven ist der Sohn der Schauspielerin Senta Berger und des Regisseurs Michael Verhoeven. "Meine Eltern kennen ihn nicht von dieser Seite", sagt er. Wedel sei ja auch jemand, der sehr charmant und charismatisch sein könne und sich offenbar bewusst die Frauen ausgesucht habe, die für ihn als Opfer infrage kamen. "Da wäre er bei meiner Mutter an der falschen Adresse gewesen, wenn er sie fertiggemacht hätte. Die hätte ihn zusammengepfiffen." Wenn am Set klar werde, dass hier jemand einfach nur runtergemacht werde, dann "müssen die Leute eben aufstehen, der Kameramann, der Aufnahmeleiter, und sagen: So nicht!"

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