Microsofts Xbox 360:Grüß Gott, ich bin der Fortschritt

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Microsoft stellte seine neue Spielekonsole Xbox 360 samt neuen Titeln in Amsterdam vor, zeigt, wo der Bartl die Pixel holt - jedenfalls, bis Sonys neue Playstation kommt - und sieht sich wieder einmal an der Schwelle zu einer neuen Ära in der digital aufbereiteten Unterhaltung.

BERND GRAFF

Die Moderne wird als die Epoche in die Geschichte eingehen, die niemals bei sich selber war. Ein eiliges Äon, das zudem im Komparativ unterwegs war. Denn darin war das Neue nicht einfach nur neu, sondern immer auch besser als das Überwundene, war schneller, schöner - eben moderner als das zuletzt Erreichte. Und glaubte der atemlose Zeitgenosse, endlich den Stand der Dinge erreicht zu haben und auch modern zu sein, da war die Epochal-Karawane immer schon wieder weiter gezogen. Im Fortschritt steckte Flucht. Die Flucht der Epoche vor sich selber.

Egal, welche digitalen Filme, Bilder, Songs und Spiele ab jetzt klingen, rummsen und blinken, ganz gleich, ob die Bits auf dem iPod oder auf dem Computer oder in der Xbox selber wackeln, die neue Konsole soll sie präsentieren können wie nie zuvor. (Foto: Foto: Microsoft)

Nach dem Kollaps dieses Fortschrittsmythos' um die späte Mitte des 20. Jahrhunderts und dem Klimakterium der Postmoderne konnte sich der Überbietungs-Gestus der Moderne lediglich in zwei Biotopen nahezu unversehrt halten: Einmal in der Werbung und zum zweiten in den Gefilden des Technischen, vor allem im Computerbau. In beiden Bereichen gilt "neu" immer noch als Gütesiegel. Hier ist, wie in der guten alten Zeit, das Neue auch gleich das Bessere. Und zu voller alter Größe läuft diese Rest-Moderne noch einmal auf, wenn die beiden Bereiche fusionieren, wenn also Werbung für Technologie gemacht wird.

Amsterdam, die niederländische Metropole. Ein Ort, der zwei Tage lang zum Dorado von Technik-Experten und -Enthusiasten aus aller Welt wurde. Die Firma Microsoft will Anfang Dezember einen neuen Computer für Spiele, eine so genannte Konsole, auf den Markt bringen. Xbox 360 wird das schlanke, konkav geformte weiße Ding heißen, das man schon vor zwei Monaten annonciert hat und das Microsoft hier, wiederum zwei Monate vor der Markteinführung, en détail vorstellt. Dazu hat man ein Set an neuen Spielen mitgebracht, die exklusiv für dieses Hightech-Gerät produziert wurden.

Diese Xbox, das meint die beigefügte Zahl 360, will alles umfassen: Sie will Rundum-Eindrücke vermitteln, sie will alle Sinne ansprechen, wenn nicht rauben, also gewissermaßen 360 Grad Lebenswelt umspannen, sofern sie mit Freizeit und Unterhaltung zu tun hat. Dazu "kann" die neue Xbox denn auch mehr als nur spielen. Man wird sie mit Computer und Fernseher zugleich verbinden und als Schaltzentrale für jeden Digitalspaß einsetzen können. Egal, welche Filme, Bilder, Songs und Spiele ab jetzt digital erklingen, rummsen und blinken, ganz gleich, ob die Bits auf dem iPod oder auf dem Computer oder in der Xbox selber wackeln, die neue Konsole soll sie präsentieren können wie nie zuvor. Selbstverständlich mit neuer und verbesserter Formel für den Internet-Anschluss. Microsoft spricht vom Zentrum im Digital Lifestyle und - das ist jetzt das Wort der Stunde - man spricht von Next Generation. Wie etwa Gerhard Florin, Europa-Chef des Spieleproduzenten Electronic Arts, der bereits die Morgenröte "einer neuen Ära des interaktiven Entertainment" heraufziehen sieht.

Neu. Und selbstverständlich mit verbesserter Formel für den Internet-Anschluss (Foto: Foto: Microsoft)

Moderne pur also - ein Eindruck, der sich auch deswegen einstellt, weil man zu diesem Boxenstopp in ein Industriegebäude des 19. Jahrhunderts gebeten hatte: in die "Westergasfabriek" im Nordwesten Amsterdams, die in aller Ziegelheimeligkeit so schmuck aussieht wie ein auf Wirklichkeitsformat aufgepumptes Märklinmodell.

Allerdings ist auch dies der neuen Xbox in die Wiege gelegt: Sie ist das Nachfolgemodell eines fünf Jahre alten Vorläufers, der sich - nun ja - seit seiner Geburt im Krieg befindet. In einem Verdrängungs-Kampf mit dem Platzhirschen aus Japan, der Sony Playstation, die ihrerseits, allerdings später als die angekündigte Microsoft-Konsole, in einer neuen Version erwartet wird. Und da man schon Einiges von dieser "Playstation 3" gehört hat, tritt Microsoft in Amsterdam nicht nur an, mit der X-Box 360 alle real existierenden Konsolen an die Wand zu spielen, sondern das Phantom des Ostens gleich mit. Doch was bieten die beiden wirklich?

Tatsächlich wird eines der hervorstechendsten Merkmale beider kommenden Konsolen eine wesentlich verbesserte Grafik sein - wenn der Kunde sie denn wahrnehmen kann. Das etwa auf der Berliner Funkausstellung gefeierte neue Fernsehformat HDTV wird auch hier zum Einsatz kommen und Digital-Bilder in Hochauflösung präsentieren. Dazu aber, und ab hier wird das Stück Zukunft endgültig auch zur Kostenfrage, benötigt man eben einen solchen HDTV-fähigen Fernseher - und der ist teuer. Zum anderen erfährt man etwa von Danny Isaac, dem Chef-Programmierer der Fifa-Fußball-Serie der Spielefirma EA, dass die aufwendigen Darstellungen den Programmieraufwand gewaltig ansteigen lassen. Zwischen 90 und 110 Tage dauert die Umsetzung eines einzigen Fußballstadions, jeder der insgesamt 330 vorhandenen Spielerköpfe schlägt mit fünf bis zehn Tagen zu Buche, dazu kommen Stunt-Men und Studios, in denen Spieler-Bewegungen per Motion Capturing auf den Computer übertragen werden. Alles für ein einziges Spiel. Es ist daher zu befürchten, dass sich solche Mühen demnächst in den Preisen für neue Spiele niederschlagen.

Wenn man dann aber auf das "Line Up" der in Amsterdam vorgestellten Spiele schaut, also das Gesamtangebot, so entdeckt man sehr viele hohe Versionsnummern - und das wird bei der Sony-Konkurrenz nicht anders sein. Die neue Technik soll also oft nur bekannte und längst etablierte Spielkonzepte aufhübschen. Soll man also eine neue Konsole, einen neuen Fernseher und neue Spiele kaufen, um damit genau das zu tun, was man zuvor schon tat? Nur jetzt mit der Version 4 statt 3?

Wem da Zweifel kommen, sei an die Geschichte verwiesen. Die echte Moderne hätte die Frage: Ist der Fortschritt das wert? nicht einmal zugelasssen.

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