Literatur-Nobelpreisträger 2011 Tranströmer:Schwedens wahrer König

Wer ist Tomas Tranströmer, jener Poet, der den diesjährigen Literatur-Nobelpreis gewonnen hat? Sein Verleger, der Münchner Hanser-Chef Michael Krüger, erinnert sich an seine Begegnungen mit dem "Dichter des Augenblicks".

Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich die ersten Gedichte von Tomas Tranströmer las. Das Literarische Colloquium in Berlin hatte eine winzige Broschüre mit circa fünfzehn Gedichten von ihm veröffentlicht, auf dem Cover saß der junge Tomas, ein schlaksiger Herr, der mit offenen Augen in die Welt schaute. Das war 1968, als alle Welt mit anderen Dingen beschäftigt war, nur nicht mit Gedichten. Aber wer auch nur fünf Zeilen eines seiner Gedichte gelesen hat, kann nicht mehr von ihm loskommen.

Kurze Zeit darauf traf ich ihn in Rotterdam bei Poetry International, und eine bis heute andauernde Freundschaft begann. 1981 verliehen wir Tomas Tranströmer den Petrarca-Preis, Lars Gustafsson hielt die Laudatio und sprach von der Utopie des Augenblicks, die sich in diesem schmalen, intensiven Gedichtwerk verkörpere. In der Folgezeit saßen wir jedes Jahr einmal in Italien zusammen, Peter Handke, Zbigniew Herbert, Urs Widmer, Peter Hamm, Hubert Burda, Alfred Kolleritsch, Inger Christensen, Philippe Jaccottet und viele andere Dichter aus Ost und West. Tomas las immer zwei neue Gedichte, mehr oder weniger seine Jahresproduktion. In der Zwischenzeit hat Hanns Grössel das gesamte Werk übersetzt, die Gedichte und die kurzen Prosastücke "Die Erinnerungen sehen mich".

Wir haben ihn oft gerühmt

Seit einigen Jahren tauchte sein Name im Vorfeld der Nobel-Preisverleihung bei den Buchmachern auf, aber in den letzten Jahren wurden die Dichter dann doch immer wieder geflissentlich übersehen, Les Murray oder Inger Christensen, Philippe Jaccottet oder Yves Bonnefoy. Zu seinem achtzigsten Geburtstag in diesem Frühjahr hatten wir uns alle im Stockholmer Stadttheater versammelt, um Tomas zu gratulieren. Tomas und seiner Frau Monica, um genau zu sein, die ihn seit Jahren pflegt, seit er nach einem bösen Schlaganfall nicht mehr ordentlich gehen und nicht mehr deutlich sprechen kann.

Der scheue, liebenswerte Mann saß in seinem Krankenstuhl und schaute mit einer Mischung aus Scham und Belustigung uns zu, die wir ihn rühmten. Jetzt muss sich der König von Schweden bei der Zeremonie am 10. Dezember zum ersten Mal zu einem Dichter hinabbeugen, so wie es sich eigentlich gehört.

Michael Krüger, geboren 1943, leitet den Carl Hanser Verlag in München, in dem die Werke Tomas Tranströmers auf Deutsch erscheinen.

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