Michael Jackson ist tot:Der Peter Pan des Pop

Michael Jackson war der erste Popstar, der das afroamerikanische und das weiße Publikum zugleich begeisterte. Er wurde zur Ikone - und gleichzeitig zur Kunstfigur, der sich selbst und anderen immer fremder wurde.

Jörg Häntzschel, New York

Michael Jackson, der größte Popstar der Welt seit Elvis und den Beatles, ist tot. Unmittelbar nachdem die Nachricht von seinen Ableben bekanntwurde, sammelten sich vor der Klinik in Los Angeles, in die er gebracht worden war, Tausende Fans und sangen bis in die Nacht hinein Michael-Jackson-Hits.

Michael Jackson, dpa

Popstar mit globalem Publikum: Michael Jackson.

(Foto: Foto: dpa)

Auch vor dem Apollo-Theater im New Yorker Stadtteil Harlem stand eine Menschenmenge und gedachte dem Star. Jackson war als Kind zusammen mit seinen Brüdern aufgetreten. Die Band hieß Jackson Five - und machte den kleinen Michael berühmt. Der Ruhm hat den Jungen aus Gray in Indiana seitdem nicht mehr losgelassen. Er war eine Ikone des popkulturellen Lebens der USA, ein Held der Globalisierung des Entertainment, das sich dank Satellitenfernsehen über die Kontinente ausbreitete.

Die amerikanischen Nachrichtensender brachten den ganzen Abend über Sondersendungen, in denen Popgrößen wie Donna Summer, Celine Dion, Quincy Jones und der Motown-Gründer Berry Gordy von ihren Begegnungen mit Jackson erzählten. MTV, dessen größter Star "Jacko" in den achtziger Jahren war, zeigte den ganzen Abend lang Jacksons legendäre Videos wie "Thriller", dem der Sender viel seiner anfänglichen kulturellen Relevanz verdankt.

Jackson, der nur 50 Jahre alt geworden war, stand kurz vor einem gewagten Comebackversuch. Nachdem er im Zuge seines Missbrauchsprozesses 2005 jahrelang weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden war, kündigte er im April einen beispiellosen Marathon von 50 Konzerten an, die er zwischen Juli und März 2010 in London geben wollte. Sämtliche Karten waren innerhalb eines Tages ausverkauft. Rund um die Ankündigung hatte es immer wieder Gerüchte um Gesundheitsprobleme gegeben.

Doch einen rigorosen Test, den der Konzertveranstalter zur Bedingung für das Londoner Engagement gemacht hatte, hatte er offenbar mühelos bestanden.

Zum letzten Mal wurde Jackson am 9. Juni in der Öffentlichkeit gesehen. Ein Paparazzi rief dem aus seiner Limousine winkenden Jackson zu: "Kannst du den Moonwalk noch?" Das bezog sich auf die roboterartige Tanzroutine, die in den achtziger Jahren zu seinem Markenzeichen geworden war. - Jackson entgegnete: "Warum sollte ich ihn nicht können?", machte das Peace-Zeichen und ließ das Fenster hochfahren.

Jackson wurde 1958 in einem Vorort von Chicago als das siebte von neun Kindern geboren. Seine Mutter war Zeugin Jehovas, sein Vater arbeitete in der Stahlindustrie und spielte nebenbei in einer R&B-Band. 1964 begann er in der Band seiner vier älteren Brüder aufzutreten, die durch Nachtklubs in den Städten des Mittleren Westens tingelte. Bald darauf wurden sie als Jackson Five berühmt. Mit gerade einmal zehn Jahren war Michael mit seinem offenen, hübschen Gesicht nicht nur der Publikumsfavorit, er war auch das größte Talent der Band.

Doch die Kombination aus seiner kindlicher Stimme und seinem lasziven Tanzen, die das Publikum so faszinierte, wies schon auf die Tragik hin, die sein ganzes Leben überschattete. In einem Interview mit Oprah Winfrey erzählte er 1993 erstmals von Missbrauch und Gewalt, mit der sein Vater Jackson und die anderen Brüder zu immer neuen Höchstleistungen trieb. Auch Jacksons immer bizarreres Auftreten, das seit 15 Jahren für mehr Gesprächsstoff sorgten als seine Musik, erklärte man mit den Traumata seiner Kindheit.

"Off the Wall" hieß das Album, mit dem Jackson 1979 seine Solokarriere startete, bis zu deren Ende er 750 Millionen Schallplatten verkauft hatte. Wie phänomenal gut Jackson schon damals war, das beweist der größte Hit der Platte, "Don't Stop Til You Get Enough", eine noch heute ständig gespielte Nummer, die von ihrer explosiven Qualität nichts verloren hat.

Auf der nächsten Seite lesen Sie, wie Michael Jackson sich drei Jahre später selbst übertraf und zum Popstar mit globalem Publikum avancierte.

Popstar mit globalem Publikum

Doch drei Jahre später übertraf sich Jackson bei weitem. Seine epochale Platte "Thriller" mit weltweiten Hits wie "Billie Jean" und "Beat It" wurde zum meistverkauften Popalbum aller Zeiten. Jackson spielte im Weißen Haus, er sang als primus inter pares die von ihm und Lionel Richie geschriebene Benefiz-Hymne "We Are The World", er drehte mit "Thriller" das aufwendigste und bekannteste Video aller Zeiten.

Jackson war damit der erste Popstar mit einem globalen Publikum geworden. Die bis dato gültigen rassenspezifischen Genregrenzen von Rock und R&B waren Geschichte. Und er war der erste Schwarze, der das afroamerikanische und das weiße Publikum gleichermaßen begeisterte. Damit legte er den Grundstein für die Entwicklung des Pop und seiner Rezeption in den achtziger und neunziger Jahren.

Trotz seiner jüngsten Geldprobleme war Jackson auch ein immens erfolgreicher Geschäftsmann. Schon 1984 kaufte er Northern Songs, einen Katalog von Tausenden Musiktiteln, zu dem auch das gesamte Beatles-Werk gehört. 2007 kamen die Rechte an der Musik von Stars wie Beck und Eminem hinzu. Ein Teilverkauf an Sony linderte finanzielle Schwierigkeiten.

Doch schon vor "Bad" (1987), seinem zweiten großen Albumerfolg, begann Jackson mit der Transformation seiner selbst in eine Kunstfigur, die später immer gespenstischere Züge annahm. Schon die goldbetressten Phantasieuniformen, die Lederhosen, der Nietenzierat, die weißen Socken und die ins Gesicht baumelnden nassen Locken, mit denen er in den frühen achtziger Jahren auftrat, waren merkwürdige stilistische Statements: nicht schön, nicht männlich und nicht sexy, obwohl sie behaupteten, all das zu sein. Doch sie passten zu seinen exaltierten Tanzbewegungen, dem Falsett-Gekiekse und den gepressten Atemstößen, die zu seinen Markenzeichen wurden.

Als Jacksons Haut jedoch zusehends heller wurde, als sich seine Nase in das Näschen einer Comic-Figur zu verwandeln begann, als sein Kinn plötzlich einen 90-Grad-Winkel beschrieb, gesellte sich zu Jacksons Musikkarriere eine zweite Existenz hinzu: die des "Wacko Jacko", dem Liebling der Klatsch- und Sensationspresse. Jackson hatte viel davon selbst verschuldet, als er fälschlich behauptete, er schlafe in einem Sauerstoff-Zelt, um langsamer zu altern. Doch schon seine Freundschaft zum Affen Bubbles, war nicht mehr erfunden.

Ebensowenig wie die zu dem 13-jährigen Jordan Chandlers, der aussagte, Jackson habe ihn auf der Neverland-Ranch, Jacksons Kindertraum von einem Haus, sexuell missbraucht. Nachdem die Geschichte monatelang durch die Presse gezogen worden war, einigten sich Chandlers Vater und Jackson 1994 außergerichtlich. Jacksons Heirat mit Elvis Presleys Tochter Lisa Marie im selben Jahr musste vor diesem Hintergrund erscheinen wie ein PR-Manöver.

Zwei Jahre später ließen sie sich scheiden. Auch seine zweite Ehe, mit der Krankenschwester Deborah Rowe, bot der Yellow Press reichlich Stoff. Nach der Scheidung 1999 erhielt Jackson das Sorgerecht für die Kinder, die seitdem, oft mit Tüchern verhüllt oder in anderer Maskerade, immer wieder mit ihm auftauchten. 2002 folgte ein drittes Kind, das von einer Leihmutter ausgetragen wurde. Doch Jacksons Image als Vater war für immer ruiniert, seit er den Säugling im selben Jahr mit dem ausgestreckten Arm im vierten Stock des Berliner Hotel Adlon über den Balkon hielt.

Der letzte Schlag kam mit der britischen TV-Doku "Living with Michael Jackson", in der Jackson gänzlich unbefangen von seinen Nächten mit dem 13-jährigen Gavin Arvizo erzählt. Der fünfmonatige Missbrauchsprozess "The People vs. Michael Jackson" Anfang 2005 wurde zu einem der größten Medienspektakel der letzten Jahre. Dass Jackson am Ende freigesprochen wurde, war letztlich nicht mehr als eine Fußnote. Seine Karriere galt als beendet.

Nur selten machte Jackson nun noch Schlagzeilen: Mal sah man ihn in einer Buchhandlung in Las Vegas, dann tauchte er in Dubai auf. Die Konzerte in London, die eine Million Menschen besucht hätten, sollte die jahrelange Durststrecke beenden - und nebenbei helfen, ausstehende Rechnungen zu begleichen.

Doch niemand hatte sich wirklich vorstellen können, wie der Peter Pan des Pop würdig altern könnte.

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