Mexikanische Bürosatire:Ein Berater will nach oben

In seinem Roman "Der Schwarze Gürtel" schickt der mexikanische Schriftsteller, Journalist und Übersetzer Eduardo Rabasa einen Schelm durch die Angestelltenwelt.

Von Ralph Hammerthaler

"Als sich der Raum vor ihm auftat, wich er instinktiv einen Schritt zurück. Auf das, was er sah, war er nicht vorbereitet." So endet nicht nur der skrupellose Egotrip des Problemlösungsagenten Fernando Retencio, so endet auch der Roman des Mexikaners Eduardo Rabasa, "Der schwarze Gürtel". Mit diesem cleveren, weil blinden Ausblick stößt einen der Roman vor den Kopf. Man wird nie erfahren, ob sich all die Strapazen, die Ellbogen, die Rücksichtslosigkeit gelohnt haben. Gerade noch hat Retencio geglaubt, am Ziel seiner Wünsche zu sein und den geheimnisumwitterten schwarzen Gürtel zu erhalten, die ultimative Trophäe für seine Leistungen im Unternehmen Soluciones, auf Deutsch: Lösungen. Doch am Gipfel seiner Karriere ist alles ganz anders als erwartet. Schön und angenehm scheint diese Überraschung nicht zu sein.

Ein Mann will nach oben. Jeden Morgen prüft Retencio auf der elektronischen Anzeigetafel im Foyer seine Platzierung. Steigt er auf oder ab? Seine Kollegen, für ihn nichts als Konkurrenten, heißen alle Pérez, weil Pérez in Mexiko ein Dutzendname ist. Individuelle Züge weisen sie nicht auf. Retencio und die beflissenen Pérez-Ameisen erarbeiten Lösungen für alle erdenklichen Probleme. Wenn etwa ein schwerreicher Spekulant mit dem konfrontiert wird, was er anrichtet, dann tüftelt das Unternehmen für ihn Argumente aus, damit er wieder ruhig schlafen kann. Die kalte moderne Welt von Hightech-Soluciones wird, nicht besonders konsequent, mit Aufführungen eines Schmierentheaters verbunden. Dadurch soll der Klient erkennen, wie er die Krise meistert. Schon aus Imagegründen spiegelt das Unternehmen auch ein bisschen Wohltätigkeit vor und lässt Unterprivilegierte etwas Schöpferisches tun. Jeder Arme ist ein Künstler. Als die armen Schlucker rebellieren und sogar Geiseln nehmen, müsste endlich der angeblich ewig lächelnde Chef erscheinen. Aber er erscheint nicht, weil er nie erscheint. Es könnte sein, dass er gar nicht existiert.

FEU

Eduardo Rabasa: Der schwarze Gürtel. Roman. Aus dem Spanischen von Hans-Joachim Hartstein. Verlag Antje Kunstmann, München 2018. 399 Seiten, 24 Euro, E-Book 19,99 Euro.

Eduardo Rabasa, geboren 1978, ist Schriftsteller, Journalist und Übersetzer. Im Jahr 2002 gründete er in Mexiko-Stadt den literarisch ambitionierten Verlag Sexto Piso; inzwischen liegen mehr als 350 Titel vor. Sein zweiter Roman, "Der schwarze Gürtel", hat auf den ersten Blick alles, was ein zeitgenössisches Buch haben muss. Er ist gut gebaut, und er hat eine klare Sprache, die Hans-Joachim Hartstein in seiner Übersetzung ebenso klar wiedergibt. Er spießt Leistungsdruck, Konkurrenz und neoliberales Wirtschaften auf. Und er weiß um die Verheerungen, die diese Praxis national und global, zu Lasten wenig entwickelter Länder, verursacht. "Der schwarze Gürtel" zielt aufs Ganze. Dadurch hebt sich die Story deutlich ab von Mexiko-Romanen, die mit den beliebten Schrecknissen Drogen, Mafia und Gewalt den Weg nach Deutschland finden, als ginge es nur darum, unsere Klischees zu bestätigen.

Der Karrierist Retencio hat einst Systemtheorie studiert - und so erklärt er sich die Welt

Trotzdem löst dieser Roman nicht ein, was er verspricht. Der Argwohn, den man gegen Angestelltenromane hegen mag, lässt sich noch gut verdrängen. Nicht aber die Skepsis gegen das Genre einer aufgeplusterten Satire gegen das, was der Verlag furchteinflößend einen Schelmenroman nennt. Jeder Witz, der hier versucht wird, ist immer nur annähernd witzig, und das ist das Schlimmste, was einem Witz passieren kann. Der Karrierist Retencio hat einst Systemtheorie studiert. Damit erklärt er noch heute die Welt. Wenn er im Stau steckt in Mexiko-Stadt, also so gut wie immer, hört er CDs mit wohlfeilen Anweisungen für einen erfolgreichen Aufstieg. Der Roman ist leider unterkomplex.

Seine Figuren bilden keinen Charakter aus. Man kapiert sofort, wofür sie stehen, und muss ihrem Stillstand dann lange folgen. Retencio hat eine wahnsinnig schöne Frau, mit der er einiges anstellen könnte, aber er ist nur wahnsinnig eifersüchtig; mehr erfährt man über diese Beziehung nicht. Retencio selbst wirkt so eindimensional, dass einem sein Schicksal ziemlich kaltlässt. Sein Arbeitgeber Soluciones muss als Ausgeburt des Bösen herhalten. Diese Zuordnung verstellt den Blick auf das, was wirklich vor sich geht.

Blick ins Buch

Einzig die Rückblenden in Kindheit und Jugend des vom schwarzen Gürtel besessenen Retencio verraten, wie subtil Rabasa erzählen könnte. Widerwillig hört der kleine Retencio seinem lallenden Vater zu. Allabendlich lässt er sich von ihm küssen, mit dem von Whisky feuchten Schnurrbart des Vaters. Am Totenbett schließt er dessen "gallertartige Augen". "In einer Art Reflex legte er seine Wange auf die steifen Schnurrbarthaare, um zum letzten Mal den Kuss zu bekommen."

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