Messe Fiac:Krisenkunst

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Letzte Grüße der Kolonialmächte: Flowers for Africa der kanadischen Künstlerin Kapwani Kiwanga. (Foto: Aurélien Mole)

Auf den ersten Blick ist alles wie immer. Doch auf den zweiten: Gewehre, Bomben... Was ist los mit der Pariser Messe Fiac?

Von Jörg Häntzschel

Es ist alles gut, alles normal. Sonst würden sich die Mercedesse und Bentleys mit den dreistelligen Nummernschildern ja nicht bis über die Seine-Brücke stauen. Sonst würden die kunstsinnigen Sheikas nicht in Trauben vor dem VIP-Eingang auf ihre blonden Betreuerinnen warten. Sonst wären nicht Tausende Pariser da, die an einem Mittwochvormittag nichts Dringenderes zu tun haben, als im Grand Palais zwischen Kunst zu flanieren und glamourös auszusehen.

Doch selbst sie, denen Stress sonst zu umelegant ist, wirken dieses Jahr angespannt. Liegt es an den Sprengstoffhunden und Taschenkontrollen? An den ohne ersichtlichen Grund gesperrten Straßen? Es ist einiges passiert seit dem letzten Mal. Der Anschlag auf Charlie Hebdo und der knapp vereitelte auf den TGV, IS-Terror und Flüchtlingskrise. Das sieht man auch der Kunst an.

Was ist zum Beispiel mit Anish Kapoor los? Wie auf jeder Messe ist er auch hier mit seinen Hohlspiegeln vertreten, die in den letzten Jahren dutzendfach direkt vom Kunst-Fließband in die Luxus-Wohnzimmer wanderten. Doch daneben hängt ein anderes, ziemlich verstörendes Werk von ihm: Es sieht so aus, als habe man die Eingeweide eines Elefanten auf einem Operationstisch ausgebreitet.

Oder Takashi Murakami. Der einst himmelhoch gehypte japanische Pop-Populist, der seit der Finanzkrise für den Kunstmarkt gestorben ist, meldet sich hier zurück - als sei er tatsächlich im Reich der Toten gewesen. Von weitem ist auf der bescheidenen Leinwand nur mattes Anthrazit und glänzendes Schwarz zu sehen. Erst aus der Nähe stellt man fest: Die düsteren Flächen sind durchzogen von einem feinen Muster - aus Totenköpfen.

Es herrschen ernste, düstere Töne vor, und groß auftrumpfen will hier niemand. Welche Rolle könnte der Kunst jetzt zukommen? Man windet sich sichtlich, verlegen um eine Antwort. Wie anders war das bei den letzten Ausgaben der Fiac, die mit jeder Ausgabe etwas mehr Boden gutmacht im Kampf gegen die Übermacht von Art Basel und Frieze: Da hatten sich die Galeristen nicht gescheut, riesige Skulpturen nach Paris transportieren zu lassen, weil sie wussten: Nirgends würden sie besser aus als im irisierenden Licht des Grand Palais, nirgends wäre l'art pour l'art so zu Hause wie hier. Und wenn jemand tatsächlich die Chuzpe hatte, Unschönes zu zeigen, dann immer mit Ironie-Garantie. Nur Spaß!

Heute dagegen zeigt man Maschinengewehre. Das "F.A.L." zum Beispiel, der einstige "rechte Arm der freien Welt" und Bestseller der belgischen Fabrique Nationale d'Armes de Guerre, die damit 70 Armeen ausstattete. Sven Augustijnen sammelt seit Jahren alles, was zu der zweifelhaften Erfolgsgeschichte dieser Waffe erscheint. Am Stand von Jan Mot hat er einen Teil seines Archivs, lauter Artikel aus Paris Match, ausgebreitet. Auch Bomben sind ein beliebtes Motiv. Paula Cooper etwa hat eine Collage von Walid Raad mit einigen Exemplaren dabei. Bei Neu hingegen wird man von einem kleinen Panzer von Andreas Slominski begrüßt.

Doch niemand interpretiert die Zeichen der Zeit so konsequent wie Hauser & Wirth. Sein Stand, so teilt man mit, sei eine "Antwort auf den Anschlag auf Charlie Hebdo". Doch die düstere tour d'horizon reicht weiter. Der Tiananmen Square kommt vor und der amerikanische Ex-Präsident George W. Bush, dessen überlebensgroßen, blutig geschossenen Kopf Paul McCarthy bestürzend realistisch dargestellt hat. Ein Plakat der als "Uniferkelei" bekannt gewordenen Aktion "Kunst und Revolution" erinnert an Achtundsechzig und die Wiener Aktionisten. Und Isa Genzken hat eine Guerillera in Armeegrün und Kroko-Sweatpants gekleidet. Radical Chic, der sich für 200 000 Euro sofort verkauft hat.

Die Krisen haben auch die Nebenmesse der Fiac, L'Officielle, unterwandert. Die einen zeigen hier Bemühtes und Harmloses, gehobenes Epigonentum und Kitsch von Künstlern, denen das letzte bisschen Instinkt für den Markt fehlt. Doch sie verblassen neben der Kunst der Wütenden, die sich um den Markt nicht scheren. Adrian Malis gehört zu diesen. Seine Arbeiten bei der Galerie ADN aus Barcelona sind simpel, aber effektiv: Wie sein stummes Video von griechischen Anti-Austeritäts-Demos, zu denen er das Gequengel einer deutschen Touristin am Athener Air-Berlin-Schalter abspielt. Auch sie hat ein schweres Schicksal: Die Airline hat ihren Urlaubskoffer in Düsseldorf vergessen.

Am zeitgemäßesten erscheinen aber die Werke der Verrückten und Verbohrten, deren Obsessionen Rechtfertigung genug sind für das Kunstmachen. Zum ersten mal haben sie in Paris ihre eigene Messe, eine Filiale der New Yorker Outsider Art Fair, wo alle Größen dieses immer wichtiger werdenden Nebenarms des Markts vertreten sind - mit bis zu sechsstelligen Preisen. Dafür gibt es zu jedem obsessiven Kugelschreiber-Gemälde, zu jeder bizarren Strickpuppe auch eine mal haarsträubende, mal anrührende Lebensgeschichte.

An einem Stand sind ausschließlich Blumen zu sehen

Doch um Art Brut zu machen, muss man kein Outsider mehr sein. Was zählen diese Kategorien ohnehin noch? Adrian Villar Rojas Miniaturinstallationen aus zerschnittenen Turnschuhen, zerfaserter Vegetation und halbverdautem Gewölle der Konsumgesellschaft bei Kurimanzutto unterscheiden sich kaum von den Assemblagen des Outsiders A.C.M., bei der Galerie Ritsch-Fisch. Man nennt diese beunruhigenden Objekte, die an die Voodoo-Bastelei aus "True Detective" erinnern, "Archäologien einer unbekannten Zukunft".

Nur der Stand der Pariser Galerie Jérôme Poggi stach aus all dem Händeringen, all der Düsternis heraus. Man roch ihn schon aus der Ferne, genauer: die Blumen, die hier kommentarlos in üppigen, wenn auch seltsam förmlichen Bouquets arrangiert sind. Ein abgezockter Insider-Gag um Schönheit und Vergänglichkeit? Der Sponsorenauftritt eines Pariser Edel-Floristen? Von wegen. Es geht um das Ende der afrikanischen Kolonialzeit. Die Bouquets von "Flowers for Africa" der kanadischen Künstlerin Kapwani Kiwanga sind Nachbildungen des Blumenschmucks von Unabhängigkeitserklärungen und Befreiungsfeiern - merkwürdige letzte Grüße in der kulturellen Sprache der abziehenden Mächte und abstrakte Wünsche an eine Zukunft mit weniger Maschinengewehren.

© SZ vom 24.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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