Meryl Streep auf der Berlinale:Schutzpanzer sind Unsinn

Meryl Streep hat zwei Oscars, sieben Golden Globes und mehr Nominierungen für Schauspielkunst als jede andere ihres Fachs. Und doch brauchte sie für den Berlinale-Beitrag "The Iron Lady" eine Menge Mut. Wie es sich anfühlt, Margaret Thatcher zu sein. Eine Begegnung.

Tobias Kniebe

Ihre Aufregung, ihre Aufgelöstheit in diesem Moment, all das darf raus. Es darf ausstrahlen, es darf sogar strahlen. Ein Leuchten ist das, von innen heraus, das dann gespiegelt und reflektiert wird und aus der Umgebung zu ihr zurückkommt. Und dann passiert etwas. Berechenbar ist das nie, aber immer spannend - und es ist wohl das, was die Regisseure den Zauber ihrer Durchlässigkeit nennen.

File photo of actress Meryl Streep at th premiere of her film 'The Iron Lady' in New York

Meryl Streep erhält auf der diesjährigen Berlinale den Ehrenbären.

(Foto: REUTERS)

Gerade in diesem Moment denkt Meryl Streep an den ersten Tag und die erste Probe ihres Films "The Iron Lady". Wie sie ins britische Parlament kam, originalgetreu nachgebaut in den Pinewood Studios, westlich von London. Fast hundert Abgeordnete, Minister, Militärattachés waren schon da, alles Männer natürlich, starke Männer, tolle Charakterdarsteller. Oder wenigstens Statisten mit tollen Gesichtern. Und allesamt waren sie so britisch wie Fish & Chips.

Und mittendrin sie. Die Amerikanerin, die Außenseiterin, der Star. Die Frau, an der nun alles hing, die hier die Macht übernehmen musste. Wenn man ihr glauben kann - und ja, das kann man -, fühlte Meryl Streep in diesem Moment, wie im Boden unter den Studiobrettern von Pinewood ein Loch aufging, und in diesem Loch verschwand ihr komplettes Selbstbewusstsein.

Zwei Oscars verschwanden darin und sieben Golden Globes und Filme wie "Kramer gegen Kramer" und "Sophies Entscheidung" und "Jenseits von Afrika" und "The Hours" und "Der Teufel trägt Prada". Und außerdem mehr Nominierungen für Schauspielkunst, als je ein anderer Schauspieler in so einem Loch verschwinden lassen konnte.

Und Meryl Streeps Herz machte: Babumm, babumm, babumm.

Sie führt das nun regelrecht vor, wie ihr das Herz bis zum Hals geschlagen hat, wie es zuckte in ihrer Brust. Und dann erzählt sie, wie sie sich zusammengerissen hat, wie sie diese neue Stimme entfesselte, deren Klang sie über Monate hinweg studiert hatte, schneidend, durchtragend bis zur letzten Silbe, jeden Zweifel und Widerspruch zerteilend wie ein Skalpell.

Diese Stimme drang nun bis in die letzte Ritze dieser Studiohalle, und die ganzen britischen Männer verstummten. Und seither weiß Meryl Streep, oder sie ahnt es zumindest, wie es sich angefühlt haben muss, Margaret Thatcher zu sein.

Das möchte sie nun gerne der Welt vermitteln, auch an diesem verregneten Wintertag im Londoner Stadtteil Soho, ein paar Stunden vor der Weltpremiere des Films. Drinnen viel Boutiquehotel-Creme und Beige und Wandteppiche hinter Glas und warmes gedämpftes Licht. Draußen Backsteinmauern und Gusseisen und Teerschindeln und ein Flachdach mit Pfützen.

Zwei Ikonen in einem Film

Ganz England diskutiert in diesem Moment schon erregt über den Film, obwohl ihn noch die wenigsten gesehen haben. Und Meryl Streep ist auch jetzt wieder aufgeregt. Am Abend wird ihre Stunde der Wahrheit kommen, ihr Auftritt vor sehr vielen Menschen, die mit Thatcher aufwuchsen oder alt wurden, die an Thatcher erstarkt oder verzweifelt sind, jedenfalls mit definitiven Meinungen über Thatcher. Denen will sie sich jetzt stellen mit dieser Arbeit, die sie als ihre wichtigste überhaupt bezeichnet. Für den Moment stimmt das auf jeden Fall. Ihr Wagnis, ihre Verletzlichkeit in diesen Stunden - auch das darf durchscheinen.

Meryl Streep trägt eine große, relativ wuchtige Brille, die ihre Nase betont. Nur für die Filmkameras setzt sie die ab, und ab und zu auf dem roten Teppich. Ihre Haut ist weiß, beinah durchscheinend leuchtet sie im schmalen tiefen Ausschnitt ihrer Satinbluse, die noch einmal betont: Schutzpanzer gibt es hier nicht, Schutzpanzer sind Unsinn. Um den Hals trägt sie eine lange Goldkette, nach der ihre Finger immer wieder greifen dürfen, um nervös daran zu nesteln.

Schon wahr, es gibt wenige Schauspielerinnen auf der Welt, die derzeit weniger Grund zur Nervosität hätten. Gefeiert, hochgeehrt, ausgezeichnet vor allen anderen in ihrem Metier ist Meryl Streep nun schon ein halbes Leben lang. Und wenn ihr das Publikum früher eher Respekt und Bewunderung für ihre niemals nach einfacher Sympathie heischenden Frauenfiguren entgegenbrachte, es an wirklicher Herzenswärme für diese Schauspielmeisterin aber noch fehlen ließ, dann hat sich das spätestens seit "Der Teufel trägt Prada" und "Mamma Mia!" noch einmal gründlich geändert.

Im ersten dieser beiden Hits versöhnte sie sich augenzwinkernd mit ihrer überlebensgroßen Aura von Kompetenz und Unfehlbarkeit; im zweiten aber verband sie die Freuden von Späthippietum und Abba-Musik mit solcher Verve, Überzeugungskraft und singender, latzhosentragender Furchtlosigkeit, dass sie für jüngste, ganz unbelastete Zuschauergenerationen nun nichts anderes ist als eine Art Idealgroßmutter der Herzen.

Und obwohl die Musik natürlich aus Schweden kommt und alles auf einer entlegenen griechischen Insel spielt, wurde "Mamma Mia!" zugleich die kommerziell erfolgreichste Produktion in der Geschichte des britischen Films. Das Ding machte Geld ohne Ende, und macht es immer noch, auf DVD. Was lag da näher für Meryl Streep, als sich noch einmal mit Phyllida Lloyd zusammenzutun, der Regieveteranin der britischen Theater- und Showbühnen, die sie bei "Mamma Mia!" so wunderbar geführt hatte?

Es geht hier also auch um die Wiedervereinigung zweier Schwestern im Geiste, die im großen Weltfilmcasino mal eben ein donnerndes Freispiel gewonnen hatten. Und diesen Gutschein haben sie jetzt eingelöst, typisch für beide, mit der denkbar größten Herausforderung und dem denkbar kontroversesten Thema überhaupt. Nur Phyllida Lloyd gibt allerdings zu, dass Margaret Thatcher und Meryl Streep zwar vollkommen unterschiedliche Figuren der Zeitgeschichte sind - in ihrer medial-mythologischen Raumverdrängung aber doch vergleichbar. Was für ein Spaß, diese beiden Ikonen aufeinander loszulassen.

Doch ein menschliches Wesen

Meryl Streep dagegen weicht solchen Gedanken aus - oder lacht sie weg, mit ihrem aufgelösten, fast mädchenhaften Kichern. Da endet dann auch, ganz plötzlich, ihre Durchlässigkeit. Alle Ideen, die nur mit ihrem eigenen Ego zu tun haben, schaden ihr, das weiß sie, da greift ihr innerer Selbstschutz. Sie hat ja nun auch Jahrzehnte Erfahrung damit. Schon an der Drama School in Yale war sie es, die immer alle Hauptrollen bekam, und ihre Mitstudentinnen bekamen nichts.

Also stürzt sie sich immer auf die Sache. Das ist ihre Art, damit umzugehen. Ein größeres Thema muss her, in diesem Fall: die Gesellschaft und die Rolle der Frau. Auch Margaret Thatcher, man vergisst das leicht, war eine solche und ist es im Übrigen immer noch.

Meryl Streep erinnert also daran, wie sie 1970 ein Semester im traditionsreichen Dartmouth College in Hanover, New Hampshire, studiert hat, bevor sie ernst machte mit der Schauspielerei. Da war sie eine von sechzig Frauen, die dort nach zweihundert Jahren reinster Männerwirtschaft erstmals zum Studium zugelassen wurden, umgeben von 6000 Jungs. Und viele von ihnen betrachteten die neuen Frauen mit feindseligen Augen, als Störenfriede, als Agenten von Auflösung und Zweitklassigkeit.

Und sie erinnert an ihre eigenen Erfahrung mit dem englischen Klassensystem, im Jahr 1980, als Margaret Thatcher gerade schon an der Macht war und Meryl Streep nach England kam, um mit Karel Reisz "Die Geliebte des französischen Leutnants" zu drehen. "Da gab es den Moment nach dem Abendessen", sagt sie, "da wurde von uns Frauen erwartet, rauszugehen und die Männer allein zu lassen, damit sie über Politik und andere interessante Dinge diskutieren konnten. Und wir Frauen sollten nebenan über Kinder und Mode sprechen - oder worüber Frauen eben so reden. Heute kann ich nicht einmal meinen eigenen Töchtern erklären, wie das war. Die haben nicht mehr die leiseste Vorstellung."

Margaret Thatcher, da ist Meryl Streep sich sicher, hat eine definitive Vorstellung davon. Eine Frau aus der unteren Mittelklasse, die all das durchgemacht und überwunden hat, die all den von Geburt an privilegierten Männern um sie herum schließlich die Macht entwand und dann freiwillig nicht wieder hergab - das ist einer der Ansätze, mit denen sich Streep diesem Leben genähert hat. Und auf die Frage, ob man so eine Figur nicht eher parteipolitisch sehen müsse, ob man in so einen Film hineingehen könne ohne klare Wertungen, welche Politik eine Gesellschaft voranbringen oder zerstören wird, schaut Meryl Streep nachsichtig und versonnen. Richtig. Hat sie ja auch mal gedacht.

Ich bin dann allerdings von der Annahme ausgegangen, dass sie ein menschliches Wesen ist", sagt sie schließlich. "Auf diese Idee war ich vorher noch gar nicht gekommen."

Feministin ja, aber nicht in Amerika

Zudem sei "The Iron Lady" nur einerseits ein Film über Margaret Thatcher. Genauso sei es ein Film über drei Tage mit einer alten Frau, die sich an die wichtigsten Momente ihres Lebens erinnert, die zugleich ihre einsamsten waren, und die ihre geistigen Kräfte schwinden fühlt. "Irgendwann betreten wir diesen dunklen Korridor, irgendwann gehen wir ab, und dann sind wir wieder alle gleich: allein und mit den Entscheidungen konfrontiert, aus denen sich unser Leben zusammensetzt."

Und wer, fragt Meryl Streep dann, rhetorisch aber trotzdem von echter Empörung getrieben, lasse in Hollywood schon mal wirklich eine alte Frau auf ihr Leben zurückschauen, in aller Konsequenz? "Die alte Frau ist das Wesen, über das unsere Gesellschaft am wenigsten nachdenkt. Sie hat den geringsten Wert, sie wird am wenigsten beachtet, man versucht nicht einmal mehr wirklich, ihr irgendwas zu verkaufen. Wer einen Film über eine wirklich alte Frau drehen will, muss ihn schon über die erste Premierministerin drehen. Sonst schaut eh niemand zu." Da lacht sie dann wieder ihr helles, scheinbar so unbeschwertes Lachen.

Weil das alles zwar wahr ist, aber eben doch nur die halbe Wahrheit. Meryl Streep war zum Beispiel gerade erst, mit 62 Jahren, das bisher älteste "Covergirl" der amerikanischen Vogue. Und wie sie nun Margaret Thatcher spielt, das wird Anlass für viele weitere Preise werden, auch den Goldenen Bären der Berlinale bekommt sie jetzt, offiziell für ihr Lebenswerk, aber zugleich natürlich auch für diesen Coup.

Die Aufmerksamkeit könnte in diesem Moment gar nicht größer sein. Meryl Streep will das auch gar nicht leugnen. Und auf ihre eigene Art, umgelenkt auf die Sache, genießt sie es sogar. Was sie sagen will, ist: Der Kampf muss weitergehen.

Sind Sie eigentlich, ganz platt gefragt, eine Feministin, Mrs. Streep?"

Die Antwort kommt ohne zu zögern. "Natürlich. Nur nicht in Amerika. In Amerika ist es nicht mehr erlaubt, dieses Wort zu sagen. Feministin ist dort ein schmutziges Wort."

Und so vermischt sich nun der Kampf, den jede denkende Frau kämpft, immer mehr mit den Kämpfen der Margaret Thatcher. Die doch zum Teil völlig anders waren - so anders, dass Thatcher selbst das Wort Feminismus nie in den Mund genommen hätte. Und all die Engländer und Kritiker, die da draußen nun auf Meryl Streep warten, haben sich längst auf eine Linie eingeschossen: "The Iron Lady" sei kein gültiges Porträt der Eisernen Lady - wohl aber eine gültige Performance von Meryl Streep.

Aber geht das überhaupt? Brillant eine Figur darzustellen, die nicht auch im Drehbuch schon wahr und lebendig gezeichnet ist, dazu flach inszeniert? Es geht natürlich überhaupt nicht.

Für Meryl Streep hat diese Spaltung der Wahrnehmung mit Hass zu tun. "Der Hass, der sich auf Margaret Thatcher konzentriert, war und ist unvorstellbar. Er hat mit diesem unglaublichen Panzer zu tun, den sie aufgebaut hat - um als erste Frau in dieser Position nicht schwach zu erscheinen. Dieses Gefängnis, in das sie sich hineinbegeben hat, um Margaret Thatcher zu werden - das hat mich vor allem interessiert."

Auch Meryl Streep hat da ein Gefängnis, in das sie sich hineinbegeben könnte. "Größte lebende Schauspielerin" steht in gusseisernen Lettern über der Zelle. Ein paar Mal hat sie hineingesehen, aber betreten hat sie es nie. Lieber zieht sie weiter, aufgeregt, halb aufgelöst, strahlend, durchlässig, schutzlos, interessiert. Und am Ende dieses verregneten Tags in London würde man schwören, dass sie dabei mit jedem Jahr noch ein Stückchen Freiheit dazugewinnt.

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