Menschenrechte:Sogar die Vögel wollen weg aus Homs

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Die internationale Flüchtlingskonferenz in Hamburg versammelt Menschen, die wissen, was Freiheit bedeutet. Dahinter steht die Gruppe Lampedusa in Hamburg.

Von Thomas Hahn

Die Aktivisten der Gruppe "Syrer gegen Sexismus" haben Bilder aus ihrer Heimat mitgebracht. Und die lassen sie nun über die große Leinwand bei der internationalen Flüchtlingskonferenz in Hamburg laufen. Malerische Ansichten fliegen vorbei, schattige Alleen, Plätze mit herrlichen Springbrunnen, Straßen, in denen teure Autos parken. So sehen die Paradiese eines friedlichen Bürgertums aus, die man mit Städten wie München oder Hamburg vergleichen kann. Dann ändern sich die Bilder: zerbombte Häuser, ausgebrannte Autos, Stadtteile, die ihr Leben verloren haben. Die Bilder zeigen Syrien vor und nach dem Krieg. Und als wenig später ein kleiner Film die Kriegsruinen von Homs zeigt, erklärt der Jurist Salah Mustafa auf fast poetische Art, warum er aus seiner Heimat flüchten musste. "Nicht einmal die Vögel wollen noch über Homs fliegen", sagt er, "wenn die Bäume und die Steine die Stadt verlassen könnten, würden sie keine Sekunde länger in Homs bleiben."

Die eigene Vergangenheit ist eigentlich gar nicht das Thema gewesen für die vielen Flüchtlinge, die am Wochenende in der Hamburger Kulturfabrik Kampnagel an einer sehr bunten, sehr bewegten Konferenz teilgenommen haben. Vorwärts wollen sie schauen, sich Perspektiven erkämpfen in einem Land, das sie ohne Krieg und Unterdrückung wahrscheinlich allenfalls im Urlaub besucht hätten. Aber die Vorurteile in Deutschland sind groß, die gewalttätigen Übergriffe auf Frauen in Köln und anderswo durch eine Horde von Männern ausländischen Aussehens haben sie neu angefacht. Deshalb wollen der Syrer Salah Mustafa und seine Landsleute zeigen, welchen dramatischen Absturz ihre Heimat hinter sich hat. Wer sie sind. Wo sie herkommen. Ohne den Blick zurück geht das nicht. Wie sollten die Menschen im kleinen Deutschland sonst verstehen, dass die Neuankömmlinge, die sie Flüchtlinge nennen, in Syrien mal ein genauso normales Leben geführt haben, wie sie das tun?

Flüchtling. Dieser Begriff ist mittlerweile so sehr in den deutschen Alltag hineingewachsen, dass jeder zu wissen glaubt, was sich dahinter verbirgt. Er haftet den Menschen nach ihrer Flucht an wie ein Etikett. Ein Flüchtling ist ein Fremder, der Teil eines großen Problems ist. Wer genau diese Neuankömmlinge sind, was sie für Qualitäten haben, was für politische Ansichten, das geht unter in den ausführlichen Debatten, in denen sich die Europäer vor allem um sich selbst drehen.

Die Hamburger Konferenz mit insgesamt 2000 Teilnehmern hat in dieser Hinsicht einen wichtigen Kontrapunkt gesetzt. Sie hat gezeigt, dass Flüchtlinge nicht nur die Typen sind, denen man helfen muss. Sondern dass sie eine selbstbestimmte Bewegung sein können. Eine politische Gruppierung mit Gesichtern und Stimmen, die weiß, was Freiheit bedeutet und die für diese Freiheit einstehen will. Die Gruppe Lampedusa in Hamburg steht hinter der Konferenz. Jene Gruppe von Protestlern also, die im Frühjahr 2013 aus dem libyschen Bürgerkrieg über Italien nach Hamburg kamen. Nach Asylverfahren und Zusicherungen in Italien wollten sie sich nicht auch noch den Hamburger Behörden stellen. Seither kämpfen sie um ihr Bleiberecht mit Demonstrationen und öffentlichen Auftritten. Ihre Konferenz ist sozusagen der nächste Schritt in ihrer Karriere als Flüchtlingsrechtler. "Das wichtigste ist", sagt Abimbola Odugbesan, einer der Organisatoren, "dass die Konferenz selbstorganisiert ist von und für Geflüchtete."

Die politisch bewegten Flüchtlinge sind mittlerweile gut vernetzt. In der Kulturszene haben sie ohnehin längst eingeschlagen. Gerade in Hamburg, gerade in der Kulturfabrik Kampnagel. Deren künstlerische Leiterin Amelie Deuflhard hatte wegen ihrer Zusammenarbeit mit der Lampedusa-Gruppe schon Ärger mit der AfD und Rechtsradikalen. Und am Hamburger Schauspielhaus läuft die Fellini-Adaption "Schiff der Träume" als Lehrstück über die einnehmende Kraft des Fremden; Flüchtlinge werden von einem Kreuzfahrtschiff gerettet und machen es zur Bühne ihres künstlerischen und politischen Talents.

Aber natürlich hat sich auch Hamburgs linksautonomes Milieu gerne mit der Lampedusa-Gruppe solidarisiert. Die ganze Konferenz wirkte fast wie eine Messe für Weltverbesserer und Aktivisten. Das Catering kam von der mobilen Mitmach-Küche "Le Sabot". Die Dolmetscher waren Ehrenamtliche des Kollektivs "bla", das mit Verständigung Machtstrukturen überwinden will. Die Unterkunft für 100 Flüchtlinge in den Kampnagel-Hallen lief unter dem Titel "Blue Flamingo Resorthotel" und war eine raffinierte Holzinstallation des Architekturbüros "raumlaborberlin".

Politisch bewegte Flüchtlinge sind mittlerweile gut vernetzt

Und die Botschaften der Flüchtlinge passten zur Kulisse der Vielfalt. Das Klischee vom frauenfeindlichen Maghrebiner, den nur der nächste Taschendiebstahl interessiert, musste man hier wegstecken. Die Positionen waren teilweise radikal, sie richteten sich gegen jede einschränkende Flüchtlingspolitik. Aber in den drei Tagen der basisdemokratischen Debatte drehte sich alles um Menschenrechte und Freiheit. Die Konferenz war ein Forum für Frauen, sie warb für die Einheit aller Flüchtlinge - und sie war zu kurz. "Die Konferenz sollte noch nicht zu Ende sein", fand Abimbola Odugbesan in seinem Schlussresümee am Sonntag und empfahl, sie zu einer festen Einrichtung zu machen.

© SZ vom 29.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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