Melodram:Sozialstudie

Bruno Ganz Iffeldorfer Meisterkonzerte

Meisterhaftes Understatement - der Schauspieler Bruno Ganz.

(Foto: Manfred Neubauer)

Bruno Ganz liest in München Tennysons "Enoch Arden". Zu den Höhepunkten dieses Langgedichts hat Richard Strauss Musik erfunden. Ein Melodram, bei dem sich Bruno Ganz und der Pianist Kirill Gerstein im Understatement treffen.

Von Reinhard J. Brembeck

"Und selten sah ein stattlicher Begräbnis, das kleine Dorf, als da man ihn begrub." Bruno Ganz beerdigt im Münchner Prinzregententheater ohne jede Larmoyanz den Sozialverlierer Enoch Arden. Dabei lässt Alfred Tennysons einst europaweit gerühmtes Langgedicht von 1864 kein melodramatisches Moment aus, es versetzt eine im Sandkasten beginnende Dreiecksgeschichte ins Hartz-IV-Milieu eines öden britischen Fischerdorfs, thematisiert Bildungsferne, Ehekritik, Fortschrittsgläubigkeit. All diese durchaus modernen Themen aber werden grundiert mit einem vorromantischen Gefühlshaushalt, der immer noch eine schnuckelige kleine Familien- und Dorfwelt zum Ideal erhebt. Diese Diskrepanz konnte im 19. Jahrhundert als zeitgemäß empfunden werden, sie kam nach dem Ersten Weltkrieg aus der Mode. Aber Bruno Ganz ist eben ein ganz großer Meister, und deshalb kann er dem heutigen Publikum Tennysons Einstünder durch Understatement und die Verachtung aller hier naheliegender Outrage als leicht nachvollziehbare Sozialstudie erlesen. Mehr Kunst ist hier aber nicht zu haben. Auch wenn sich das Melodramatische bei Ganz völlig verflüchtigt hat.

"Melodramatisch" wird längst nur noch als ein abfälliger Begriff gebraucht, verweist aber auf eine noble Kunstform, die bis zur griechischen Tragödie zurückführt: Rezitation mit Musikbegleitung. Schönbergs "Pierrot lunaire" ist das einzige noch lebendige Exemplar der Gattung, in manchen Opern finden sich Spurenelemente. Auch der "Enoch Arden" wurde vermelodramt, immerhin von Richard Strauss, der dem Schauspieler und Theaterchef Ernst von Possart damit 1897 einen Herzenswunsch erfüllte. Beide tourten erfolgreich mit dem in München uraufgeführten Stück.

Strauss hat jedoch nur sehr sparsam und vorwiegend zu den emotionalen Höhepunkten Musik geliefert. Ein wenig muten die Klavierklänge an wie die ersten noch nicht ausgereiften Skizzen zu einer nie geschriebenen Oper. Kirill Gerstein spielt wie zuvor die Auswahl aus Franz Liszts "Transzendentalen Etüden" unangestrengt formbewusst. Er meidet also die Teufelstänze des Virtuosen, er domestiziert Diabolisches. Erstaunlicherweise kann er dadurch zeigen, dass diese für ihre aberwitzigen Technikexzesse berühmten Etüden kompositorisch deutlich solider sind als ihr Ruf.

Der Klaviersatz von Strauss ist deutlich weniger spektakulär. Auch wenn er das Rauschen und Schäumen genauso liebt wie Liszt, sind sie doch beide Motivbastler in der Nachfolge von Bach & Beethoven. Das führt Gerstein vor, er bändigt deshalb Atmosphärisches, und in diesem Punkt entspricht sein Ansatz dem von Bruno Ganz - die beiden finden sich im Understatement. Deshalb darf die Musik im "Enoch Arden" dann auch ganz gelassen Girlande bleiben zur Vortragskunst des Bruno Ganz.

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