Meisterwerke aus dem Musée d'Orsay:Adam und Eva statt Darth Vader

Die Schau in der Kunsthalle zeigt Werke, die im 19. Jahrhundert der Unterhaltung dienten. Heute erscheinen sie oft als Kitsch, doch so einfach sollte man sich die Einordnung nicht machen.

Von Gottfried Knapp

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Ein wenig Raffael, ein wenig Michelangelo, und viel Material zum Anschauen - das ist "Das verlorene Paradies" von Alexandre Cabanel. Er stellte es 1867 für das Maximilianeum in München fertig.

(Foto: bpk/RMN - Grand Palais/Patrice Schmidt)

Die Ausstellung "Gut Wahr Schön" zeigt Gemälde, die sich im 19. Jahrhundert größter Beliebtheit erfreut und höchste Preise erzielt haben, Bilder, die ihrer offensichtlichen technischen Perfektion und ihrer erzählerischen Deutlichkeiten wegen wahrscheinlich auch heute noch einen großen Teil des Kunsthallen-Publikums zum Staunen bringen. Doch, von einer bemerkenswerten Ausnahme abgesehen, ist keines dieser Bilder je in Deutschland gezeigt worden. Dafür gibt es Gründe. Die begreift man, wenn man sagt: Diese Ausstellung mit Objekten aus dem Musée d'Orsay in Paris zeigt nicht die Werke, deretwegen dieses wohl bedeutendste Museum des 19. Jahrhunderts von allen konkurrierenden Häusern beneidet wird, nicht die Bilder der Impressionisten und ihrer bedeutenden Nachfahren; sie zeigt Werke aus dem Bestand, die damals zwar von den Massen geschätzt wurden, aber schon bei ihrer Erstpräsentation von Intellektuellen und Kritikern verspottet worden sind. Das sind Gemälde, die dann am Ende des Jahrhunderts, als sezessionistische Gegenbewegungen, wie die der Fauves, immer mehr öffentliche Aufmerksamkeit erregten, und dann vor allem in der Moderne, als der Wettlauf der Avantgardestile begann, als geschmackliche Entgleisungen geschmäht und als Salonkitsch, als peinliche Lustbarkeiten glücklich überwundener Zeiten abgetan worden sind.

Dass wir Modernen uns bei dieser bis heute anhaltenden Ablehnung ziemlich humorlos verhalten, kann die Ausstellung mit saftigen Beispielen beweisen. Wir nehmen mit diesem Urteil unseren Urgroßeltern übel, dass sie sich an sentimentalen Bild-Erzählungen, an schlüpfrigen Salon-Intimitäten, an bombastischen Heldenepen, an exotisch verlockenden Abenteuern ergötzt haben, also an all dem, was wir uns seit der Erfindung des Films im Kino, im Fernseher und im Internet holen. Mit anderen Worten: Die Salonmalerei des 19. Jahrhunderts hat Bedürfnisse gestillt, die es auch heute noch gibt, für die aber jede Epoche eigene Darstellungsformen findet. Unsere Unterhaltungs-Medien sind Film, Fernsehen und Internet; doch es ist gut vorstellbar, dass das, was wir heute für Entertainment halten, in einigen Jahrzehnten schrill verspottet und zu Schund erklärt wird. Das Kino hat Figuren wie Ben Hur, Donald Duck, Barbarella, Tarzan, Dracula, Darth Vader, Angelique oder Django hervorgebracht und historische Größen wie Kleopatra, Sisi oder Feldmarschall Rommel gefeiert. Das Unterhaltungs-Medium des 19. Jahrhunderts hat auf ganz ähnliche Weise historische Stoffe kolportiert, Sagen und Legenden ausgeschlachtet und im Pfuhl der menschlichen Gefühle gewühlt. So wird der Rundgang durch die Münchner Ausstellung zu einem Spaziergang durch die Unterhaltungs-Geschichte des 19. Jahrhunderts: Wir erleben mit, was sich die Menschen jener Jahre erträumt haben, was ihnen Lust bereitet hat, aber auch, was sie als Grusel genossen haben. Wie sich seit den letzten großen Pariser Salon-Ausstellungen um 1900 die Welt gewandelt hat, lässt sich wohl nirgends plastischer darstellen als an dem Gemälde "Das verlorene Paradies" (unser Bild), das der Großmeister der Pariser Salons, Alexandre Cabanel, im Jahr 1867 ein zweites Mal gemalt hat. Er musste dieses Bild kopieren, weil die sehr viel größere erste Version nach München gewandert war. Im Auftrag von König Maximilian II. von Bayern hat Cabanel "Das verlorene Paradies" für das am Isarhang frisch errichtete Maximilianeum gemalt; dort hing das Bild bis zur Zerstörung des Hauses im Zweiten Weltkrieg an der vorgesehenen Wand. Offenbar hat sich damals und auch später niemand daran gestört, dass der Maler auf diesem Gemälde schamlos die Kunstgeschichte geplündert und knallige Schaueffekte gleich massenhaft kombiniert hat.

Cabanel war der unübertroffene Meister der Venus-Darstellungen. Vor seinen weiblichen Akten schmolzen nicht nur die männlichen Besucher dahin. Seine Venus-Wesen recken ihre Kurven so geschickt ins Licht, dass bei den Betrachtern keine Wünsche offenbleiben. Auch Eva, die Ursünderin, weiß sich in ihrer existenziellen Verzweiflung nach dem Sündenfall so hinzulegen, dass mindestens so viel von ihrem Körper zu sehen ist wie bei einer sich rekelnden Venus. Scham sieht in der Regel anders aus. Adam aber gibt seiner Verzweiflung dadurch Ausdruck, dass er eine von Michelangelo abgeguckte komplizierte Pose präzise einstudiert. Der Satan in der linken unteren Ecke, der Sieger, kann sich mit der Schlange zufrieden davonmachen. Er war es bestimmt nicht, der dem nackten Urelternpaar die grünen Zweiglein in den Schoß wachsen ließ.

Unverschämt bedient sich Cabanel bei Raffael und Michelangelo

Unverschämt deutlich hat sich Cabanel bei dem links in der Luft hängenden Gottvater in der Kunstgeschichte bedient. Die Gruppe mit dem heranschwebenden Gott und den ihn tragenden Engeln ist eine fast detailgetreue Kopie der Gruppe, die Raffael in seiner fantastischen "Vision des Hesekiel", einem sehr kleinen Bild mit allergrößter Wirkung, am Himmel aufziehen lässt. Doch die Illusion des Schwebens über der Landschaft, die Raffael zu erzeugen vermag, geht bei Cabanel im dichten Knäuel unter dem Baum weitgehend verloren. Ja der Engel, der den gemütlich obenauf sitzenden Gottvater von unten abstützen soll, sieht hier eher so aus, als würde er einen Nachttopf in die Höhe halten.

Auf jeden Fall kann man eine Menge Merkwürdiges, Seltsames, aber auch Unterhaltsames aus diesem Bild herauslesen. Cabanel war ein Meister des Kompilierens von bedeutsamen Inhalten für ein Publikum, das auf möglichst direkte Weise emotional bewegt werden wollte. Wie fast alle Maler, die jetzt in der Kunsthalle vereint sind, war er ein virtuoser Erzähler, ein geschickter Arrangeur von vorgefundenen Motiven und ein akademisch perfekt ausgebildeter Könner, der für ein erlebnishungriges Publikum bildnerische Illusionen zu zaubern verstand. Wäre er im Zeitalter des Kinos geboren worden, hätte er in Hollywood in allen möglichen Genres Karriere machen können.

Die Ausstellung entführt uns also in die recht vielfältige Illusionswelt unserer Vorfahren. Sie macht aber auch den Abstand deutlich, der uns heute von den Bild-Sensationen jener Zeit trennt.

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