Medien:Trüffelschweine

Es gibt tatsächlich noch Überlebende aus New Economy-Zeiten - die Internetfirma Netzpiloten.

Von Silja Schriever

Dieses Lachen ist sein Markenzeichen. Natürlich, ansteckend. Es zeigt viele weiße und große Zähne. Thomas Hermanns ist nun mal Optimist und hat es im Fernsehen zu Ruhm gebracht. Er erfand auf Pro Sieben den Quatsch Comedy Club und moderiert dort das Spaß-Quiz Popclub. Hermanns ist auch Regisseur, Theaterintendant - und außerdem im Internet aktiv, wo ihm sein offenbar angeborener Optimismus helfen muss.

Der Medienmann ist "Web-Guide" und Aufsichtsrat eines Online-Unternehmens, der Hamburger Netzpiloten AG. In dieser Position ist selbst der Frohnatur Hermanns manchmal das Lachen vergangen.

Geführte Touren durchs Netz

Die Netzpiloten bieten "geführte Touren" durch die weiten Welten des Internets an, insgesamt mehr als 120 Audio-Führungen zu Themen wie Reise, Computer, Shopping oder Comedy. Die Nutzer werden durch Millionen von Websites zu den oft wenigen empfehlenswerten Angeboten gelenkt. Ein Team aus sieben Mitarbeitern recherchiert die besten Seiten. "Wir hangeln uns von Link zu Link", sagt Redaktionsleiterin Petra Toppat. Die Netzpiloten arbeiten als "Trüffelschweine im Internet".

Mit dieser Idee ließ sich aber kaum Geld verdienen. Trotz steigender Nutzerzahlen (derzeit 1,2 Millionen im Monat) ist das Projekt gerade rentabel. "Content is King" rufe heute keiner mehr, sagt Wolfgang Macht, Gründer und Vorstand der Netzpiloten. "Nur noch verlagsgestützte Portale wie Spiegel-Online oder Telepolis halten tapfer die Fahne hoch für journalistische Inhalte im Netz."

Ausgeträumt sei "der große Traum aus der digitalen Goldrauschzeit, mit redaktionellen Inhalten viel Geld zu verdienen", so der Ex-Redakteur der Woche.

Zum Dauer-Höhenflug reichte auch der Werbe-Einsatz von Aufsichtsrat Hermanns nicht. Seit den Anfängen der Firma im Jahr 1999 ist der Stand-Up-Comedian der Lockvogel des Portals. Auch heute noch navigiert er mit tonunterlegten Comedy-Touren durchs Web. Hermanns glaubt weiterhin an die Idee der Netzpiloten-Gründer: "Ich habe als Internet-Depp immer darauf gehofft, dass jemand mich an die Hand nimmt."

Anfangs schien die Rechnung aufzugehen. Dank TV-Spots und bundesweiten Plakat-Kampagnen wurden die Netzpiloten rasch bekannt. Während des Web-Hypes waren die Hamburger vorn dabei: mehr als 150 Angestellte, bis zu 17 Millionen Nutzer im Monat, Auslandsfilialen, das obligatorische Büro in San Francisco und mehrere Millionen Mark von einem Investor als Spielgeld.

Umso härter der Aufprall im Jahr 2001: Gelder gestrichen, Geschäftsmodell gescheitert. Der allergrößte Teil der Belegschaft musste entlassen werden. Plötzlich gehörten sie nicht mehr zu den Helden der New Economy, sondern fühlten sich "wie die letzten Versager", sagt Macht.

Sieben Mitarbeiter blieben. Über Wasser konnte sich die Firma nur halten, weil Macht und Mitgründer Matthias Dentler bereits 1996, damals mehr als Nebengeschäft, in das Geschäft mit Online-Gewinnspielen eingestiegen waren. Heute haben wieder 40 Mitarbeiter einen Job bei den Netzpiloten. Seiten wie gewinnspiele.de, superwin.net und lotty.de bringen einen Großteil des Geldes ein, das die AG zum Überleben braucht. Zusätzlich beliefern die Netzpiloten nun Großkunden wie T-Online, Freenet, Pro Sieben und Lycos mit Gewinnspielen.

Mit Gewinnspielen überleben

Das redaktionelle Kerngeschäft dagegen hängt noch am Tropf. Die Werbeeinnahmen reichen nicht, um die aufwändigen Recherchen zu bezahlen. "Wir haben einfach noch nicht das durchschlagende Geschäftsmodell gefunden", gibt Macht freimütig zu. Auch darum wird hausintern die Diskussion darüber, ob man sich die Touren demnächst nicht bezahlen lassen sollte, im Moment wieder geführt. ´

Der "möglichst schmerzfreie Deal" (Macht) mit der Kundschaft wäre ein riskantes Unterfangen und womöglich ein neues Beispiel dafür, wie schwer es ist, Netz-Inhalte zu verkaufen.

Immerhin: Der Verkauf der Netzpilot-Software zieht an. Die Lust, das immer unübersichtlicher werdende Internet selbst zu erkunden, sei vorbei, sagt Macht. Ein "Tour-Guide" sei für viele Portale sinnvoll. So lässt die SPD bereits ihre Internet-Besucher mit Hilfe der Netzpiloten-Software durch Politik-Seiten touren; auch Arte und Bertelsmann sind Lizenznehmer.

Zudem betreuen die Netzpiloten die Website des Quatsch Comedy Clubs und helfen bei der Suche nach kuriosen Internetangeboten, die in der Sendung präsentiert werden.

Die Netzpiloten Macht, Dentler und Hermanns wissen, dass all das nur ein erster Schritt sein kann. Wohl nirgendwo ist die Fähigkeit, Geschäftsmodelle schnell an neue Bedürfnisse der Kundschaft anzupassen, so ausgeprägt und überlebensnotwendig wie in der Web-Branche.

So steht der Relaunch des Portals, mit dem die Netzpiloten in diesen Tagen ihr fünfjähriges Bestehen feiern, vor allem unter einem Motto: "Hurra, wir leben noch!" Und Thomas Hermanns, der Komiker, sagt: "Die Netzpiloten sind auf dem besten Weg ein Independent-Klassiker zu werden."

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