Medien:Rücktritt oder was?

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Nur eine Frage der Perspektive? "Spiegel"-Politikchef Hans-Joachim Noack hat sein Amt zurückgegeben. Die Umstände des "Rücktritts" bleiben unklar.

Von Kai-Hinrich Renner

Womöglich ist ja alles eine Frage der Perspektive. Fest steht nur: Beim Spiegel ist vorletzten Freitag etwas Ungewöhnliches vorgefallen. Was genau, lässt sich schwer sagen.

Chefredakteur Stefan Aust dementiert den Rücktritt Noacks. (Foto: Foto: ddp)

Das liegt daran, dass sich von den drei Hauptpersonen dieser Geschichte nur einer äußert. Hans-Joachim Noack, Ressortleiter Deutsche Politik und trauriger Held des kleinen Dramoletts, lehnt jede Stellungnahme ab. Gabor Steingart, Leiter des Berliner Büros, der in dem Stück als Noacks Widersacher auftritt, weilt im Urlaub und ist nicht zu erreichen. Einzig Chefredakteur Stefan Aust hat auf Nachfrage ein erläuterndes (oder verschleierndes?) Fax geschickt.

Hier beginnen die Probleme, denn Austs Stellungnahme unterscheidet sich fundamental von den Berichten leitender Redakteure, die Zeuge der Vorgänge vom 10. Juni wurden.

Nach ihren Angaben ging das Stück so: Bei der Ressortleiterkonferenz kritisiert Noack, dass zum wiederholten Mal Gerhard Schröder als glückloser Kanzler - diesmal zum Thema Vertrauensfrage - den Spiegel-Titel zieren soll.

Der Politikchef regt statt dessen eine Geschichte über die Konzeptlosigkeit von Angela Merkels Union an. Aust signalisiert Zustimmung, Noacks Titel scheint beschlossen. Steingart, der per Videokonferenz zugeschaltet ist, schweigt. Stunden später erfährt Noack zufällig, dass Steingart seine Titelgeschichte "Eine Frage des Vertrauens" durchgesetzt hat.

Vertrauensfrage gestellt

Nun stellt der Deutschland-Ressortleiter die Vertrauensfrage: Er bietet Aust an, ihn von seinem Amt zu entbinden. Der Chefredakteur akzeptiert, unter der Bedingung, dass Noack bis Jahresende im Impressum als Ressortleiter firmiert. Man will die Sache nicht an die große Glocke hängen.

Folgt man Aust, kann es so aber gar nicht gewesen sein: "Eine solche Meldung entspricht nicht den Tatsachen." Demnach hat Noack den Chefredakteur nicht gebeten, "ihn von seinen Aufgaben zu entbinden, weil er mit der Berichterstattung im Zusammenhang mit der geplanten Vertrauensfrage des Bundeskanzlers nicht einverstanden sei".

Folglich "wird Herr Noack seine Funktion als Ressortleiter beim Spiegel bis zum Ablauf seines (von mir erst jüngst verlängerten) Vertrages ausfüllen".

Der Vertrag läuft noch bis Ende des Jahres. Und das macht die Sache erst richtig kompliziert, denn Aust schreibt auch, dass man "aufgrund der vorgezogenen Neuwahlen... die ohnehin geplante Nachfolge auf den 1. Juli vorziehen" werde.

Neuer Ressortleiter wird Noacks Stellvertreter Dietmar Pieper, neue Nummer zwei im Ressort Spiegel-Sprecher Hans-Ulrich Stoldt. Doch warum bekommt Noack zum 1. Juli einen Nachfolger, wenn er seinen Vertrag bis Jahresende erfüllt?

Weil die politische Linie des Blattes, wie Redakteure sagen, eh von Aust und seinem Berliner Büroleiter Steingart bestimmt wird - den nicht wenige für neoliberal halten?

Steingarts politisches Urteil wiederum schwankt: Er hat zunächst Hartz IV als Jahrhundert-Reform gefeiert und dann als Jahrhundert-Unglück verdammt. Das passt zu Äußerungen leitender Spiegel-Redakteure gegenüber Sozialdemokraten, die von der Absicht der Redaktionsspitze künden, die rot-grüne Regierung publizistisch bekämpfen zu wollen.

Ein Spiegel-Mann, der die Ablösung der Schröder-Regierung als Blattlinie ausgegeben haben soll, sagt dazu, seine flapsig gemeinte Bemerkung sei aus dem Zusammenhang gerissen. Und in der aktuellen Ausgabe findet sich auch eine Geschichte über die zögerliche Haltung der Kanzlerkandidatin Merkel - man kann ja nie wissen.

© SZ vom 23.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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