Medien:Mexikos bekanntester Welterklärer

Medien: Chumel Torres, ausgebildeter Ingenieur, repräsentiert den neuen Mittelstand Lateinamerikas.

Chumel Torres, ausgebildeter Ingenieur, repräsentiert den neuen Mittelstand Lateinamerikas.

(Foto: oh)

Kabarettist Chumel Torres hat mit seiner Internetsendung großen Erfolg - weil er schmerzhaft direkt ist

Von Sebastian Schoepp

Die Karriere von Chumel Torres begann mit einem Tweet. Das hatte seine Logik, denn Mexikos neuer Internet- und Medienstar betrachtet den Kurznachrichtendienst als beste Schule, eine Geschichte zu erzählen - wenn auch eine sehr kurze. Als im letzten Präsidentschaftswahlkampf der Kandidat Andres Manuel Lopez Obrador, genannt AMLO, seinen Wählern im Falle des Sieges eine "Secretaría de la Honestidad" versprach, ein "Ministerium für Ehrlichkeit", twitterte Chumel Torres: "AMLO will ein Sekretariat für Ehrlichkeit. Wie wär es mit einem Sekretariat zur Beendigung des Schleimertums?"

Der Tweet machte Karriere und beendete den Wahlkampf eines weiteren Präsidentschaftskandidaten. Der fand Torres' Kurznachricht lustig, tweetete sie weiter, woraufhin er von den Medien der vermeintlich Gesitteten nach allen Regeln der Kunst auseinandergenommen wurde. Wie man so etwas Unanständiges weiterverbreiten könne? Dazu muss man wissen, dass Torres' Tweet im Original sehr viel drastischer und sexueller klingt, als in der deutschen Übertragung. Nach der Tweet-Affäre kannte den Urheber jedenfalls halb Mexiko. Und Chumel Torres formuliert einen Rat an künftige Kandidaten für politische Ämter: "Lieber Freund, ich wünsche dir viel Erfolg, aber retweete mich nie nie nie!"

Chumel Torres ist nicht nur Twitterer, er ist inzwischen Mexikos bekanntester Welterklärer. Wer wissen will, wie das junge Mexiko tickt, der muss seinen Youtube-Kanal "El Pulso de la República" anklicken. Es ist eine Art Nachrichtensendung, ganz im Stil des US-Satiriker Jon Stewart. "El Pulso de la República" startete 2012 und hat heute eine Million Abonnenten. In Deutschland könnte man Torres mit dem Star-Comedian Jan Böhmermann vergleichen, wo Kabarettisten ja zwischenzeitlich auch den Job investigativer Journalisten übernommen haben, die Nachrichten bis auf ihren Kern entkleiden. Der Unterschied ist, dass Torres Plattform das Internet ist - und nur das Internet.

Seine Botschaft lautet: "Mach's wie ich, mach's allein, lade es hoch."

Er ist zwar so erfolgreich, dass der größte Fernsehsender des Landes, Televisa, der 70 Prozent aller Mexikaner erreicht und dadurch indirekt bestimmt, wer Präsident wird, den Satiriker gerne in seinem Programm hätte. Doch Torres winkt ab: "Televisa? - ihr seid der Feind!" Inzwischen ist es so weit gekommen, dass journalistische Größen sich freuen, wenn sie bei Torres auftreten dürfen. Von der Werbung in seinem Kanal lebt er.

Torres findet, das Internet ist demokratischer als das Fernsehen: "Internet es: we the people", sagt er in einem Interview mit CNN Español in seinem typischen Spanglish, das allmählich zur Umgangsprache ganz Nordamerikas wird - diesseits und jenseits des Rio Grande. Das Wesen der Sendung ist die Zuspitzung realer Sachverhalte, wobei er auf Verlässlichkeit der Informationen größten Wert legt. Allerdings hat er zur Recherche kein Riesenteam, er trägt alles mit nur einem Kollegen zusammen, dem Twitterkollegen Durden.

Ihre Sendung ist witzig, sarkastisch, schmerzhaft direkt. "Klar, wenn du nicht mit deinem Nachbarn kannst, überschütte ihn halt mir Benzin", kommentiert Torres eine der täglichen Horrormeldungen. Dazu liefert er dann aber auch die Moral: "Ehrlich, wir könnten besser werden als das Mexiko von 1910." Zum Muttertag mahnt er prügelnde Männer: "Lass deine Frau in Frieden, wenigstens heute!" Und er berichtet über Leute, die andere Medien unerwähnt lassen: Frauen etwa, die mittelamerikanischen Migranten an der Todeszugstrecke La Bestia Essen zustecken. Dabei entlarvt er die Heuchelei des Migrations-Transitlands Mexiko, das sich bei dem Thema selbst gerne als Opfer darstellt: "Wir sind wie die feinen Damen, die auf der Straße über knutschende Pärchen meckern, aber Zuhause Fesselsex praktizieren".

Torres geht es nicht darum, mit Zoten zu punkten. Er zitiert Gossensprache mehr, als dass er sie sich zu eigen macht. Er hat daraus ein Kunstwerk geschaffen, indem er komplexe politische Inhalte im sexuellen, schmutzigen, drastischen Jargon der Cantinas vermittelt. In Fernsehen und Parlament wird hingegen eher teigige Salon-Rhetorik des 19. Jahrhunderts gepflegt. Diesen Kontrast zwischen Realität und vermittelter Realität macht Torres sichtbar. "Ich formuliere, was du denkst", ist sein Leitspruch an die Zuschauer. Man könnte sagen: Er formuliert, wie diese Zu Hause sprechen, mit Chips und Bier vor dem Bildschirm. Und auch der brave Heraldo de Chihuahua, die Lokalzeitung seiner Heimatstadt, gesteht Torres zu: "Für keusche Ohren klingt er offensiv, während er für andere Teil der Evolution der gesprochenen Sprache des 21. Jahrhunderts ist."

Mutig ist er in vielerlei Hinsicht: Torres tritt im Macholand Mexiko gerne in Frauenkleidern auf - ein klarer Angriff auf die verbreitete Homophobie. Er greift die Mächtigen an, und das in einem Land, in dem Journalisten ähnlich gefährlich leben wie im Irak. Nur bei einem Thema übt er Selbstzensur, das sagt er offen: keine Witze über Drogenkartelle, das ist selbst ihm zu gefährlich.

Torres ist 32, gelernter Ingenieur, ein typischer neuer Mittelständler Lateinamerikas, gebildet, frech, flink, er guckt lieber Breaking Bad als Telenovela. Er steht für einen gesellschaftlichen Wandel in einem Land, das Jahrzehnte von einer angestaubten spießigen Revolutionspartei dominiert wurde, die auch heute wieder den Präsidenten stellt. Enrique Peña Nieto hat sich nur in sofern modernisiert, als dass er auftritt, als wäre er selbst die Hauptfigur einer Telenovela. Der Präsident ist das Lieblingsziel von Torres, doch die Opposition nimmt er sich genauso vor. Er ist ideologiefrei und damit Vorbild der kritischen Post-Subcomandante-Marcos-Generation, die keine Waffen und Fahnen mehr schwenkt, sondern das Smartphone.

Ein Smartphone und seine Intelligenz seien die Basis seines Erfolgs, schrieb El Heraldo de Chihuahua. Dort, im Norden, hat Torres lange in einer Maquiladora gearbeitet, einer jener Textilfabriken, die billig für den US-Markt produzieren. Eine Schule des Lebens, wie er sagt: "Du lernst, wie man mit dem Super-Mega-Konzernchef umgeht, während du andererseits siehst, unter welch extremen Bedingungen die Arbeiter schuften." Solche Realitäten macht er seinem Publikum zugänglich.

Manchmal kriegt Torres entsetzte Reaktionen von Eltern: "Mein Sohn sieht Ihre Sendung und jetzt fordert er mich in politischen Diskussionen heraus!" Ein besseres Lob kann sich Torres gar nicht vorstellen. Seine Botschaft an die Jugend lautet: Wenn du etwas zu sagen hast, kümmer' dich nicht um die sterbenden alten Medien. Mach's wie ich, mach's allein, lade es hoch. Die einzige, was zählt, ist, was du im Kopf hast."

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