Medien-Kritik:Populisten lassen googeln

Die polnische Regierung führt eine Kampagne gegen internationale Medien, die Polen vermeintlich den Holocaust zuschreiben. Eine bedenkliche Politik der Wortspalterei.

Thomas Urban

Der Chefredakteur der Tageszeitung Welt, Thomas Schmid, hat sich für die Formulierung "das ehemalige polnische Konzentrationslager Majdanek" in der Montagsausgabe seiner Zeitung bei der Regierung in Warschau entschuldigt. Die Formulierung in einer Reportage über die Familie eines bei einem Terroranschlag umgekommenen jungen Israeli hatte in Polen einen Proteststurm hervorgerufen.

Gedenkstätte Majdanek des ehemaligen KZ Majdanek in Polen

Das ehemalige KZ Majdanek liegt zwar geografisch in Polen, darf nach Willen der polnischen Regierung aber nicht als "polnisches Konzentrationslager" bezeichnet werden.

(Foto: Foto: ap)

Vizeaußenminister Ryszard Schnepf drohte der Welt mit einem Prozess wegen Verleumdung der polnischen Nation. Nahezu alle Zeitungen und Sender befanden, die Formulierung sei ein weiterer Beleg dafür, dass die Deutschen die Geschichte zu Lasten der Polen umschreiben, gar den Polen den Holocaust zuschreiben wollten. Die Warschauer Tageszeitung Dziennik, wie die Welt vom Axel-Springer-Verlag herausgegeben, befand, die Formulierung solle die Version vermitteln, "nicht die Deutschen haben die Menschen in den Lagern vergast".

Mit Befriedigung vermerkten die polnischen Medien am Mittwoch die Klarstellung Schmids. Dieser schrieb, dass Majdanek selbstverständlich ein von den Deutschen im besetzten Polen eingerichtetes KZ gewesen sei, in dem Deutsche ungeheuerliche Verbrechen begangen hätten.

"Wider die Lüge"

Die seit mehreren Jahren immer wieder anschwellende Aufregung um die Formulierung "polnisches Lager" hat mit der Prozessandrohung durch das Außenministerium in Warschau einen neuen Höhepunkt erreicht. Seit vier Jahren führt das Ministerium die "Aktion 'Gegen polnische Lager'" durch. Die polnischen Botschaften in der ganzen Welt haben den Auftrag, jeden Tag die Medien des jeweiligen Landes nach der Formulierung durchzugoogeln und entsprechende Protestschreiben zu verschicken.

Die nationalkonservative Tageszeitung Rzeczpospolita, an der die Regierung 49 Prozent der Anteile hält, hat eine Kampagne "Wider die Lüge" ins Leben gerufen, bei der internationale Blätter als "Holocaust-Leugner" angeprangert werden, wenn sie die Formulierung "polnische Lager" gebrauchen. An den Pranger wurden von Rzeczpospolita bereits die New York Times, die Washington Post, Le Monde, El Pais, Haaretz, der Spiegel und auch die Süddeutsche Zeitung gestellt.

In Wirklichkeit aber wurde kein einziges Mal behauptet, die Polen hätten die KZ eingerichtet. Im Gegenteil: Sämtliche Texte handelten von deutschen Tätern und von jüdischen sowie osteuropäischen Opfern. In jedem dieser Fälle unterstrichen überdies Überschriften und Fotos noch einmal diese Aussage.

Doch dies erfahren die polnischen Leser nicht, Klarstellungen der Chefredakteure angegriffener Blätter werden nicht abgedruckt. Seit Beginn der Kampagne gegen die angebliche Geschichtsrevision wurde in deutschsprachigen Publikationen ein halbes Dutzend Mal die Formulierung "polnische Lager" moniert, doch ausnahmslos in Berichten oder Essays über deutsche Schuld und Verantwortung.

Populäre Version

Die angegriffenen Verfasser entschuldigen sich in der Regel, führen aber an, dass der Begriff "polnische Lager" durchweg geografisch gemeint war. Da dies aber in der Tat missverständlich ist und auch zu den Protesten in Polen führt, haben die meisten deutschen Chefredakteure ihre Redaktionen angewiesen, den Begriff zu vermeiden.

Doch an der Weichsel ist die Version, dass die Deutschen die Polen des Holocaust beschuldigen, während sie sich gleichzeitig als Kriegsopfer darstellen wollen, überaus populär. Es finden sich allerdings kaum polnische Journalisten und Publizisten, die ihren Landsleuten klarmachen, dass diese Version nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat, dass sie in der Bundesrepublik sogar als völlig grotesk angesehen wird. Der polnische Leser erfährt nicht, dass in der Bundesrepublik selbstverständlich nicht nur Tausende von Presseberichten, sondern auch die Verlags-, Fernseh- und Schulprogramme sehr wohl die deutsche Schuld herausstreichen.

Zwar gibt es in den polnischen Medien erfahrene Deutschland-Experten, die wissen, dass die Reaktionen ihrer Landsleute bis hin zur Regierung in der Bundesrepublik als überzogen angesehen werden, weil nämlich der eigentliche Vorwurf, die Geschichte würde von den Deutschen umgeschrieben, unhaltbar ist. Doch keiner von ihnen bringt den Mut auf, in der "Schlacht um die Geschichte", die die Nationalkonservativen mit dem Sprachrohr Rzeczpospolita gegen die Deutschen führen wollen, gegen die allgemeine Welle anzuschreiben.

Einer der Gründe für die Zurückhaltung einiger dieser langgedienten Experten ist offenbar darin zu sehen, dass sie zu der Zeit der Volksrepublik als Reisekader dem Staatssicherheitsdienst oder unmittelbar dem Zentralkomitee zuarbeiteten. Wegen ihrer alten Akten sind sie leicht von der jungen, national orientierten Generation, die in den Medien seit mehreren Jahren den Ton angibt, unter Beschuss zu nehmen.

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