Mediaplayer:Liebe im Multiversum

Der interaktive Film "Possibilia" lässt den Zuschauer in seine Liebesgeschichte aktiv eingreifen. Mit der Hoffnung auf ein Happy End - was auch immer das bedeuten mag.

Von Sofia Glasl

"Wir haben doch schon alles im Universum Mögliche versucht", stellt Pollie ernüchtert fest. Ihr Freund Rick kämpft am Frühstückstisch verzweifelt um die gemeinsame Beziehung. "Was wäre, wenn du noch für ein paar Sekunden bleiben würdest?", fragt er, und ein lauter Streit bricht aus. Am Ende sitzen sie wieder am Küchentisch. Eine neue Runde Ziehen und Zerren beginnt, diesmal aber ein bisschen anders als zuvor.

Denn wie sich diese Liebesgeschichte weiterentwickelt, das hängt nicht nur vom streitenden Pärchen ab, sondern auch vom Zuschauer, der sie beobachtet. Der online veröffentlichte Kurzfilm "Possibilia" des amerikanischen Regieduos "Daniels" - der gemeinsame Künstlername von Daniel Kwan und Daniel Scheinert - eröffnet quasi-live Coverversionen der eingangs beschriebenen Szene. Im Vorspann wird der Film als "An interactive love story set in the multiverse . . . whatever that means" betitelt. Also als interaktive Liebesgeschichte im sogenannten Multiversum.

Der selbstironische Zusatz "was auch immer das bedeuten mag" ist vielleicht als Seitenhieb auf die Comic-Blockbuster-Welle mit ihren vielen Nerd-Universen und schrägen Namen gedacht. In jedem Fall zeigt er, dass die beiden Daniels sich selbst und ihre künstlerische Arbeit nicht allzu ernst nehmen. Das ist gut so, verleiht diese Wurstigkeit ihren Filmen doch eine wunderbare Leichtigkeit und hat das Duo in den USA zu den Indie-Shootingstars des Jahres gemacht. In ihrem Spielfilm "Swiss Army Man", der auf dem Sundance-Festival Premiere hatte, wird ein Schiffbrüchiger verrückt und beginnt, mit einer angeschwemmten Leiche zu sprechen. Ironisch gebrochen durch die konstanten Gasabsonderungen des Toten, der von Ex-Harry-Potter Daniel Radcliffe gespielt wird.

Mediaplayer: Wie diese Liebesgeschichte weitergeht, entscheiden die Zuschauer.

Wie diese Liebesgeschichte weitergeht, entscheiden die Zuschauer.

(Foto: Possibilia)

In "Possibilia" wird der Ernst der Beziehungskrise von der interaktiven, spielerischen Struktur des Films abgefedert. Der Titel verrät: Es wird nicht nur eine Version der Szene geben. Wie die Vorstellung von Multiversen nahelegt, kann sich aus jedem Moment eine Vielzahl an alternativen Situationen entwickeln. Gleich nach Ricks Eingangsfrage ploppen am unteren Bildrand Möglichkeitswelten auf, eröffnen dem Zuschauer in einer Menüleiste diverse Optionen, die Szene selbst fortzusetzen. Ein Klick genügt, und das Paar streitet nicht mehr in der Küche, sondern an der Haustür, auf der Veranda, im Garten. Der Dialog bleibt immer gleich, das Drehbuch ist der rote Faden dieses interaktiven Filmexperiments. Eine Welt mit Happy End gibt es hier nicht, lediglich immer und immer wieder dieselbe Diskussion und die Erkenntnis, dass das Schicksal oft nur vorgaukelt, man könne es beeinflussen, wenn man sich nur besonders anstrengt. Doch auch für Romantiker lohnt es sich weiterzuklicken. Denn Stimmung und Ton der Szene ändern sich jeweils mit den Schauplätzen, beinahe wie Improvisationsübungen wirken diese Nuancierungen. Mit Alex Karpovsky und Zoe Jarman haben sich die Daniels zwei in Amerika beliebte Independent-Schauspieler ins Boot geholt, denen die feinen Zwischentöne ihrer Alter Egos fabelhaft gelingen. Ihr präzises Spiel sowie die exakten Schnitte und Kameraperspektiven lassen aus 16 Einzelszenen ein in sich stimmiges Multiversum entstehen. Beim Durchzappen fühlt man sich an Woody Allens "Der Stadtneurotiker" erinnert, der in seiner Vergangenheit hin- und herschaltet, wie es ihm beliebt. Oder auch an Jim Carrey in Michel Gondrys "Eternal Sunshine of the Spotless Mind", dessen Erinnerungen zusammengeschoben werden und schließlich ineinander verschwimmen.

Das ist die Stärke dieses interaktiven Modus: Die Gleichzeitigkeit von Aktualität und Virtualität muss nicht linear aufgelöst werden. Auf dem Höhepunkt der simultanen Welten fließen sämtliche Perspektiven in einem Bild zusammen, das Multiversum wird greifbar: das Paar auf der Veranda, am Blumenbeet, am Gartenzaun. Eine ganze Armada von Ricks und Pollies bevölkert den kleinen Garten, bis das Konstrukt in sich zusammenbricht, sich die Möglichkeiten wieder zusammenschieben und am Frühstückstisch enden. Mit der erneuten Hoffnung auf ein Happy End - was auch immer das bedeuten mag.

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