Mediaplayer-Kolumne:Bandenkrieg in Glasgow

Mediaplayer-Kolumne: Auch die Jüngsten schließen sich den rivalisierenden Gangs an.

Auch die Jüngsten schließen sich den rivalisierenden Gangs an.

(Foto: Schröder Media)

Nach 1996 standen viele Filme des britischen Kinos im Schatten von "Trainspotting". Gillies MacKinnons "Small Faces" zeigt, warum das ein Verlust ist.

Von David Steinitz

Als 1996 der Film "Trainspotting" ins Kino kam, war das fürs britische Kino Segen und Fluch zugleich. Einerseits befreite der Regisseur Danny Boyle das englische Kino mit seinem hedonistischen Heroin-Pop-Trip im MTV-Look von einer ordentlichen Staubschicht. "Trainspotting" wurde zu einem der wichtigsten Kunstwerke der Cool-Britannia-Jahre, der Soundtrack ein Bestseller. Andererseits überdeckte Boyle damit gleich einen ganzen Jahrgang an starken anderen Filmen. Denn Mitte der Neunzigerjahre kam eine richtige Britische Welle ins Kino, von Regisseuren, die gegen die brave Behäbigkeit von Hugh-Grant-Komödien wie "Vier Hochzeiten und ein Todesfall" anfilmten, was aber in der allgemeinen "Trainspotting"-Euphorie etwas unterging.

Einer der wichtigsten Filme dieser Zeit erscheint nun erstmals in Deutschland auf DVD, das Coming-of-Age-Drama "Small Faces". Der Verleih hat dieser Version leider den etwas obskuren neuen Titel "Glasgow Trainspotting" verpasst, was wohl Fans des Kultfilms zum Kauf animieren soll. Der Name führt aber in die Irre, denn der Regisseur Gillies MacKinnon verfolgte mit "Small Faces" genau den gegenteiligen künstlerischen Ansatz von "Trainspotting". Sein Film, der leicht autobiografisch geprägt ist und den er gemeinsam mit seinem Bruder Billy MacKinnon geschrieben hat, spielt im Jahr 1968. Aber von Hipness, Musik, politischen Umbrüchen, also überhaupt von jenem "Swinging London"-Gefühl, das zum Vorreiter des Britpop wurde, ist hier überhaupt nichts zu spüren. Weder im Soundtrack noch in den Bildern oder den Klamotten.

Die Geschichte spielt in den grauen Hochhauslandschaften der Suburbs von Glasgow, Sozialsiedlungssilos, die man sich trostloser nicht vorstellen könnte. In einer winzigen Wohnung lebt hier der 13-jährige Lex mit seinen beiden großen Teenager-Brüdern und der alleinerziehenden Mutter. Der Vater ist schon vor längerer Zeit gestorben. Lex befindet sich an der Schwelle zur Pubertät, seine Stimme schwankt zwischen hoch und tief, sein Verhalten zwischen kindlich und präpotent. Ziellos streunt er durch die Vorortviertel, hin- und hergerissen, an welchem der Brüder er sich orientieren soll.

Der eine, Alan, gibt sich große Mühe, seine raue Umwelt und die brutalen Bandenkriege in den Hinterhöfen zu ignorieren. Er zeichnet leidenschaftlich gern, möchte unbedingt an die Kunsthochschule und hat einen leicht ödipalen Spleen für die Wiener Moderne: Er malt seine Mutter im Egon-Schiele-Look. Der andere Bruder wiederum, Bobby, wird Nacht für Nacht von brutalen Albträumen geplagt. Er trägt eine enorme Wut und Aggression in sich und beteiligt sich durchaus an den blutigen Bandenschlägereien in der Nachbarschaft.

Der kleine Lex pendelt zwischen diesen beiden Polen. Er erkennt das Potenzial seines Künstlerbruders, diese Ecke des Landes endlich verlassen zu können, fühlt sich aber gleichzeitig von der rauen Schlägererotik des anderen angezogen.

Der Film folgt ihm die erste halbe Stunde einfach durch seinen Alltag, erkundet das Arbeiterklassemilieu und den Trabantenstadt-Blues der Jugendlichen, ihre Machtspielchen und Balzversuche. Dann bringt Lex sich eines Tages in eine gefährliche Situation. Mit der Luftpistole des Bruders irrt er gelangweilt durch den Park, gewillt, dem nächstbesten Passanten einen bösen Streich zu spielen. Im Affekt schießt er aber ausgerechnet in eine Gruppe Jungs, die auf einem Feld Rugby spielen, und erwischt den Anführer einer besonders gnadenlosen Gang im Auge. Woraufhin seine Brüder und er auf die Abschussliste gesetzt werden und er die Familie in Lebensgefahr bringt.

"Small Faces" ist ein Abgesang auf das alte Glasgow, das tatsächlich jahrzehntelang unter brutalen Bandenherrschaften gelitten hat, die sich Straßenschlachten lieferten. Der Regisseur und sein Co-Autor-Bruder sind selbst hier aufgewachsen und brauchten für diesen Anti-"Trainspotting"-Film über ihre Kindheit nicht einmal etwas nachzustellen: Einige Teile der Stadt sahen auch 1996 bei den Dreharbeiten noch so trostlos und heruntergekommen aus wie 1968.

Glasgow Trainspotting - Small Faces ist auf DVD erschienen (ab 7,99 Euro).

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