Mediaplayer:Im Griff des Würgeengels

Die spanische Thrillerkomödie "El Bar" von Álex de la Iglesia orientiert sich weniger am Melodram, sondern mehr am hispano-amerikanischen Kino eines Robert Rodriguez.

Von Maximilian Sippenauer

Der spanische Regisseur Álex de la Iglesia macht sehr eigenwillige Filme. In der Endsequenz von "Mad Circus" etwa duellieren sich zwei wahnsinnige Clowns auf dem abstrusen, 155 Meter hohen, faschistischen Ehrenkreuz, das General Franco bis heute als Mausoleum dient. Dieser Filmemacher scheut nicht vor Spaniens Traumata zurück, er inszeniert sie mit viel schwarzem Humor und einer hemmungslosen Lust am Pulp. Denn auch wenn Pedro Almodóvar zu seinen frühen Förderern gehört, orientieren sich seine Filme weniger am Melodram, sondern mehr am hispano-amerikanischen Kino eines Robert Rodriguez. Für "Mad Circus" gewann De la Iglesia 2010 den Regiepreis in Venedig und mit seinem aktuellen Film "El Bar - Frühstück mit Leiche" gastierte er dieses Jahr auf der Berlinale. Diese Horrorkomödie ist nun auf DVD erschienen. Sie bietet einen exzellenten Einblick in die Arbeit eines der spannendsten Regisseure Spaniens.

"El Bar" beginnt fulminant mit einer Plansequenz in der morgendlichen Hektik Madrids. Einer jungen Frau mit Handy zwischen Ohr und Schulter streikt auf dem Weg zur Arbeit plötzlich der Akku; ein Obdachloser wird von Straßenfegern aus Kartons gekehrt; eine abgehalfterte Hausfrau bekommt beim Blick in den Geldbeutel große Augen. Alle drei eilen sie in dieselbe Bar an der Ecke, auf der Suche nach Schnaps, dem Glück am Spielautomaten und einem Ladekabel. In besagtem Lokal hängt bereits ein Hipster im Wlan und ein Ex-Cop diskutiert lauthals mit zwei Geschäftsmännern. Überblickt wird diese Espressoaufgeregtheit von einem treudoofen Barista und seiner bärbeißigen Chefin.

Mediaplayer: Eingeschlossen mitten in Madrid: die Protagonisten von "El Bar".

Eingeschlossen mitten in Madrid: die Protagonisten von "El Bar".

(Foto: Koch)

In einem beeindruckenden Tempo skizziert der Regisseur die Typen dieser heterogenen Runde. Ein Wort, eine Geste, ein Getränk oder Snack reichen ihm, um mitsamt der Figur auch gleich noch eine Handvoll Konfliktlinien zu etablieren. Und das ist notwendig, denn diese überdreht konfuse Ouvertüre endet abrupt, als einer der Gäste die Bar verlässt und direkt vor der Tür niedergeschossen wird. Binnen Sekunden sind die Straßen menschenleer. Das Gewusel weicht einer unheimlichen Stille. Ein Amoklauf? Im Fernsehen gibt es keine Meldungen, die Handys haben keinen Empfang. Mitten in der Stadt, doch völlig von der Außenwelt abgeschnitten, stecken die Fremden in der Bar fest und der Horror stellt sich ein im Kammerspiel.

Als Vorbild für seinen Film nennt De la Iglesia den "Würgelengel" seines Landsmannes Luis Buñuel. Nach einem Abendessen wollte es dort einer pikfeinen Gesellschaft partout nicht gelingen, die Villa des Gastgebers zu verlassen. De la Iglesia überträgt dieses Motiv auf eine Bar. Das dortige Publikum ist nicht exklusiv, sondern ein repräsentativer Querschnitt aller sozialen Schichten. Wie bei Buñuel führt die Situation aber dazu, dass sich die Gefährten wider Willen aneinander aufreiben. Bei "El Bar" bedarf es hierzu keiner surrealen Paradoxien. Wie von selbst greifen die Mechanismen einer heute überall latent lauernden Paranoia. Doch ein Terroranschlag? Ist der Täter noch hier? Die Gefahr schweißt die Leute nicht zusammen, sondern treibt sie auseinander. Plötzlich scheint der Hipsterbart eine Spur zu salafistisch. Ein Islamist mit Bombe im Koffer? Das Eindrückliche an De la Iglesias Filmen ist, dass er für seinen Horror nie Monster braucht.

Es reicht ihm eine diffuse Hysterie, um den abgründigen Schrecken aus seinen Figuren selbst zu schaufeln. So hätte sich aus Ausgangssituation von "El Bar" eine erschreckende Lebensallegorie zeichnen lassen, tauschte der Regisseur nicht plötzlich sein Buñuelsches Pathos gegen den Pulp-Fetisch, indem er einen ekelerregend aufgedunsenen Mann aus dem Barklo auftauchen lässt. Er ist Träger eines hochansteckenden Virus.

Von hier an wird das Kammerspiel zu einem makaberen Abzählreim, an dessen Ende sich die wenigen Überlebenden halbnackt in der Kanalisation gegenüberstehen. Die Selbstverständlichkeit, mit der er diesen Balanceakt aus Kinotradition und Aneignung angeht, macht De la Iglesia zu einer Ausnahmeerscheinung im europäischen Kino.

El Bar - Frühstück mit Leiche ist auf DVD und Blu-ray erschienen (ab 10 Euro) sowie als Video on Demand erhältlich (ab 3,99 Euro).

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