"Me Too" in Hollywood:Sie können nicht anordnen, wieder berühmt zu sein

"Me Too" in Hollywood: Harvey Weinstein vor Gericht in New York - seine Karriere dürfte vorbei sein. Aber es gibt noch genügend andere Fälle.

Harvey Weinstein vor Gericht in New York - seine Karriere dürfte vorbei sein. Aber es gibt noch genügend andere Fälle.

(Foto: AP)

Manche Stars, die über "Me Too" gestolpert sind, planen schon wieder ihr Comeback. Doch Hollywood braucht echte Reue.

Von Susan Vahabzadeh

"Me Too" war ein Gewitter, und jetzt, wo der Sturm etwas nachlässt, kann man klarer sehen. Der Fall, mit dem alles begann, und einer, der nicht unter dem Dach "Me Too" hätte verhandelt werden dürfen, sind in der vergangenen Woche in eine neue Phase eingetreten: Der Ex-Filmmogul Harvey Weinstein wurde verhaftet, und der Komiker Aziz Ansari ist erstmals wieder aufgetreten, als Überraschungsgast in New Yorker Clubs. Die beiden Fälle könnten unterschiedlicher nicht sein.

Weinstein hat jahrelang und immer wieder seine Macht missbraucht. Ansari war nichts vorzuwerfen als ein missglücktes Rendezvous mit einer Bewunderin, die dann enttäuscht war, dass er aus der Nähe betrachtet doch nicht der Mann ihrer Träume war. Das ist kein Grund, jemanden aus seinem Job zu drängen. Ansari war trotzdem ein halbes Jahr lang weg vom Fenster. Er ist nicht mehr öffentlich aufgetreten. Die Menschen sind dann aber manchmal doch recht vernünftig, bei den Überraschungsauftritten soll das Publikum begeistert gewesen sein.

Es gibt kein Gesetz gegen Machtmissbrauch

Weil es bei "Me Too" nicht um eine bestimmte Art von Tat ging, sind natürlich auch die Auflösungen dieser Geschichten unterschiedlich. Die Forderung, nicht über Nuancen zu diskutieren, wie sie manche "Me Too"-Verfechterinnen äußerten - beispielsweise Schauspielerin Minnie Driver oder Senatorin Kirsten Gillibrand -, war von Anfang an absurd. Es hat nicht jeder, dem sexuelle Übergriffe vorgeworfen werden, das gleiche Schicksal verdient wie Weinstein, der nun wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung vor Gericht gestellt wird.

Selbst wenn er nicht verurteilt wird: Die Weinstein-Company ist pleite, Harvey, einst der ungekrönte König von Hollywood, ist lediglich auf Kaution frei, eine Grand Jury in New York hat aber inzwischen die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft gegen ihn bestätigt und wirft ihm Vergewaltigung und erzwungenen Oralsex vor, die Staatsanwaltschaften in Los Angeles und London ermitteln noch. Das hat sich Weinstein selbst zuzuschreiben. Denn er hat systematisch Leute eingeschüchtert, Frauen unter Druck gesetzt, aber vieles ist verjährt. Der Fall von Rose McGowan, die ihre Schweigevereinbarung mit Weinstein brach, wird nicht einmal vor Gericht gehen.

Es gibt ja noch reichlich andere Fälle - und mehrere beschäftigen die Staatsanwaltschaften, die Aussagen prüfen. Kevin Spaceys Fall beispielsweise, gegen den in Los Angeles und London ermittelt wird. Zwanzig Vorwürfe wurden von Mitarbeitern des Londoner Old Vic Theatre erhoben, dessen künstlerischer Leiter Spacey von 2004 bis 2015 war. Er wird allerdings sicher versuchen zurückzukehren. Im Hollywood Reporter beklagt der Regisseur Barry Avrich, der gerade die Dokumentation "The Reckoning" über "Me Too" fertiggestellt hat, die Filmindustrie warte nur darauf, endlich die geschassten Übeltäter wieder heimholen zu können. Disney will beispielsweise John Lasseter, den Pixar-Chef, der ein halbes Jahr lang nach Hause geschickt wurde, wieder einsetzen, vorerst in "eingeschränkter Tätigkeit". Er war Mitarbeiterinnen mit unerwünschten Küssen und Umarmungen zu nahe getreten. Es gibt jetzt schon einen Hashtag: #toosoon - ging leider viel zu schnell.

In Deutschland wurde Dieter Wedel zum einzigen großen prominenten Fall. Recherchen der Zeit hatten ergeben, dass beim Saarländischen Rundfunk (SR) Beschwerden in Aktenschränken schlummerten wegen angeblicher Übergriffe bei der Arbeit an der Serie "Bretter, die die Welt bedeuten". Eine Schauspielerin hatte angegeben, Wedel habe sie bei seinem Vergewaltigungsversuch gewürgt, sie hatte Verletzungen, die sie an der weiteren Arbeit hinderten. Man habe damals nicht angemessen reagiert, räumte der SR inzwischen ein - der damalige Programmdirektor habe 1981 von den Vorwürfen erfahren. Auch die Bavaria ging ihre Akten durch und gab dann bekannt, es gebe keine Belege für körperliche Übergriffe von Wedel, als er für die Bavaria arbeitete, allerdings hätten Befragungen ergeben, dass Wedels Verhalten heute bei der Bavaria nicht mehr tolerabel wäre. Das ZDF fand auch nichts, merkte aber an, dass dort viele Akten gar nicht mehr existieren, weil die Lagerfrist abgelaufen ist. Noch einen Film wird er nicht machen, Wedel ist 76 Jahre alt. Beim SR will man sich jetzt eher darauf konzentrieren, künftigen Machtmissbrauch zu unterbinden.

Es gibt kein Gesetz gegen Machtmissbrauch, meist lässt er sich sowieso nicht nachweisen. Die Schauspielerin Ashley Judd, die Harvey Weinstein einst abblitzen ließ, versucht gerade, ihn auf Schadenersatz zu verklagen, weil er ihre Karriere behinderte - um sie zu bestrafen.

Krisen-PR erlebt gerade einen Boom

Ihre Chancen stehen schlecht. Und was wird aus einem wie Brett Ratner, dem Regisseur von "Rush Hour"? Ratner hat von "Kill the Boss" über den Leonardo-DiCaprio-Film "The Revenant" bis zu Clint Eastwoods "Jersey Boys" alle möglichen Filme produziert. Ihm wurde im vergangenen Herbst eine ganze Reihe von Übergriffen auf Mitarbeiterinnen vorgeworfen, Warner Brothers trennte sich von ihm - bleibt es jedoch dabei? Ratner ist 49. Und es wird doch bestimmt eine Filmfirma geben, die seinem Geldbeschaffungstalent nicht widerstehen kann.

Mit der Vorbereitung, wie eine solche Rückkehr ins Rampenlicht ablaufen könnte, befassen sich viele PR-Agenturen, die sich auf Krisenmanagement spezialisiert haben. Es ist eine Branche, die laut The Wrap derzeit einen Boom erlebt. Manche Versuche zurückzukehren wirken trotzdem unbeholfen. Vom geschassten amerikanischen Fernsehkoch Mario Batali heißt es, er wolle eine neue Firma gründen, und habe sich überlegt, diese dann von einer Frau leiten zu lassen. Der 76-jährige Fernsehjournalist Charlie Rose, der junge Kolleginnen und Praktikantinnen bedrängt und begrapscht hat, zeigt keine Einsicht. Er will eine Sendung machen, in der er andere Männer befragt, die wegen "Me Too" gefeuert wurden. Bislang will sie keiner haben.

Das Gericht der öffentlichen Meinung

Einen Weg zurück in die Normalität muss es ja trotzdem geben, es hat ja nicht jeder dieser Männer reihenweise anderer Leute Leben ruiniert - so wie Weinstein. Der demokratische Senator Al Franken musste im November zurückgetreten, wegen eines geschmacklosen, demütigenden Fotos, das er von einer schlafenden Radiomoderatorin gemacht hatte, als er noch Komiker war, ihrem nachweislich nicht ganz korrekten Bericht über einen gemeinsamen Auftritt und einer Reihe weiterer, überwiegend anonymer Anschuldigungen, von denen eine lautet, er habe eine Taille begrapscht, was immer das sein mag. Zumindest das Foto ist ein Grund für einen Rücktritt. Aber eine Rechtfertigung für ein Berufsverbot?

Berufsfreiheit ist eigentlich ein Grundrecht, zumindest in Deutschland, das nur bei schweren Straftaten entzogen wird. In den USA werden Straftätern oft bestimmte Berufe untersagt, so kann jemandem aufgrund einer Verurteilung wegen Körperverletzung in manchen Staaten jeder Job verboten werden, der Körperkontakt erfordert. Die Frage ist, ob das richtig ist - eigentlich sind ja weite Teile der westlichen Gesellschaften für die Reintegration von Straftätern. Bei "Me Too" geht es aber in vielen Fällen gar nicht um Straftaten, sondern um Übergriffe, die gerichtlich nicht zu ahnden sind.

Es gibt, so schrieb es beispielsweise Jill Filipovic im Time Magazine vor zwei Wochen, das Argument, gerade deswegen müssten manche Fälle mit besonderer gesellschaftlicher Ächtung geahndet werden - weil es ja keine andere Strafe gibt. Und daraus folgt dann eben, dass ein Komiker wie Louis C. K., der vor jungen Kolleginnen masturbiert hat, für seine Versuche, wieder öffentlich aufzutreten, in der Presse kritisiert wurde, sobald es sich rumsprach. Der Guardian zitiert eine von Weinsteins Anwältinnen, Blair Berk, die meint, der "court of public opinion", das Gericht der öffentlichen Meinung, sei darum härter als ein Justizverfahren.

Die Juristin hat beachtliche Erfolge vorzuweisen, darum wird Weinstein sie vielleicht im Team gewollt haben. Berk hat Mel Gibson durch die Stromschnellen manövriert, als er vor zehn Jahren bei einer Alkoholkontrolle abwechselnd antisemitisch und frauenfeindlich herumbrüllte, während die Polizisten ein Band mitlaufen ließen. Gibson tauchte ab, gab sich dann kleinlaut - und ist längst wieder da, im Frühjahr war er für seinen Film "Hacksaw Ridge" für den Regie-Oscar nominiert.

Ist es also nur eine Frage der Zeit, bis alle, die "Me Too" unter Rechtfertigungszwang brachte, wieder genau da sind, wo sie ihre Macht missbraucht haben? Filipovic führt an, dass die meisten der Hollywood- und Fernsehstars, die über "Me Too" gestolpert sind, ohnehin viel mehr Geld in teure Anwälte und PR-Strategen investieren können als ihre Opfer, sie also sogar da am längeren Hebel sitzen. Nun verlangt auch sie nicht nach Berufsverboten und Social-Media-Pranger. Aber sie will echte Reue sehen.

Da ist vielleicht was dran: Einsehen, dass man das Rampenlicht nicht mehr verdient hat, das wäre Reue. Der Hollywood-Teil von "Me Too" richtete sich gegen Männer, die fanden, sie hätten einen Anspruch, auf Macht, auf Frauen, auf Ruhm. Sie werden sich schwertun zu verstehen, dass sie nicht anordnen können, wieder berühmt zu sein. Ruhm wird einem geschenkt als Ausdruck der Bewunderung. Und ist er weg, gibt es keinerlei Anspruch auf Rückerstattung.

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