McKinsey-Reform:Grober Unfug

McKinsey reformiert das Goethe-Institut: Mitarbeiter verlieren ihre Stelle, der Kulturbegriff verändert sich unter scheinbar marktwirtschaftlichem Gequassel. Der Narr als Betriebswirt.

Thomas Steinfeld

Wenn sich an diesem Donnerstag das Präsidium des Goethe-Institutes in München trifft, wird es das in Gesellschaft von Unternehmensberatern tun: Zwei Angestellte der Firma McKinsey werden eine PowerPoint-Präsentation vorführen. Das Logo ,,goethe09'' wird über den Köpfen der Präsidiumsmitglieder aufleuchten, danach wird von einer ,,Neuaufstellung der Zentrale'' die Rede ein.

McKinsey-Reform: undefined
(Foto: Foto: ddp)

Nebenan werden sich die Angestellten zu einer Betriebsversammlung treffen und sich gegen eine Entscheidung zu wehren versuchen, die aller Voraussicht nach etwa hundert Mitarbeiter die Stelle kosten wird. Und wenn sich der Arbeitstag seinem Ende zuneigt, nach Beratung des Programmpunkts ,,Stabsabteilung Institutsentwicklung'', wird eine Entscheidung fallen, die das Goethe-Institut, die größte Organisation zur Vermittlung deutscher Kultur im Ausland, wird sehr verändern können: weg von der Institution, hin zu einem Kulturunternehmen.

Als vor gut einem Jahr das Goethe-Institut in Kopenhagen verkleinert und um Bibliothek und Veranstaltungssaal gebracht wurde - um die beiden Einrichtungen also, die eine Agentur für ausländische Kultur in eine feste Einrichtung der jeweiligen lokalen Kultur verwandeln - , formierte sich auch im Inland heftiger Widerstand gegen diese Entscheidung. Es erschien offensichtlich, dass hier eine überaus erfolgreiche Institution um einer geringen, überdies zweifelhaften Ersparnis willen um die Grundlagen ihrer Existenz gebracht wurde.

Auf dem Weg zur Serviceeinheit

Die öffentliche Debatte zeitigte überraschende Ergebnisse: vor allem das Reformprogramm zur auswärtigen Kulturarbeit, das im Herbst 2006 von allen Parteien des Bundestags verabschiedet wurde und die Arbeit des Goethe-Institutes inhaltlich neu begründete. Nach jahrelangem Gerede über ,,public diplomacy'' und Exportförderung durch Kultur ist nun endlich wieder von der Kultur selbst die Rede, vom Umgang mit der Tradition und von der Bedeutung eines langfristigen Engagements.

Was haben dagegen die beiden jungen Leute von der Firma McKinsey zu bieten, die seit Februar in Hunderten von Gesprächen den Ehrgeiz und die Enttäuschung einzelner Mitarbeiter abschöpften, um die Resultate von unzähligen Indiskretionen jetzt als ,,strategische Ziele'' und ,,Reformkonzepte'' auf die Leinwand projizieren zu können?

Wenig mehr als das übliche, scheinbar marktwirtschaftliche Gequassel von ,,Handlungsfähigkeit'', ,,Zukunftssicherung'' und ,,Aufgabenprofilen'', mit dem ansonsten auch Hersteller von Schaltschränken oder Bäckereiketten traktiert werden. Wobei im Fall des Goethe-Instituts allerdings die Konsequenzen ungleich radikaler ausfallen, weil es sich bei diesem Unternehmen eben nicht um einen Wirtschaftsbetrieb handelt. Denn der Vorsatz, die Zentrale von rund dreihundert auf zweihundertunddreißig Mitarbeiter zu reduzieren und bei den heute 289 Entsandten mindestens fünfzig einzusparen, zielt nicht nur auf mehr Effizienz - dagegen wäre ja nichts einzuwenden. Sondern er wird auch einen anderen, oberflächlich ergebnisorientierten Begriff von Kultur zur Folge haben.

"Projekte"

,,Dezentralisierung'' und ,,Regionalisierung'' lauten die beiden Schlagworte, unter denen das Goethe-Institut einer anderen Kultur dienen will als derjenigen, für die es nun fast sechzig Jahre stand. Sie bedeuten praktisch: Die Zentrale, jetzt ,,Steuerungs- und Serviceeinheit'' genannt, soll sich auf die Koordination, Beratung und Evaluation der Kulturarbeit im Ausland beschränken, während die eigentliche Arbeit an den ausländischen Einsatzorten geleistet wird. Weil aber auch dafür weniger Angestellte, ,,Entsandte'' in der Terminologie des Goethe-Instituts, zur Verfügung stehen, verlagert sich deren Engagement auf das Initiieren und Betreuen von ,,Projekten'', während die kontinuierlich wahrzunehmenden Aufgabe in weit höherem Maße als bisher von Ortskräften wahrgenommen werden. Anders gesagt: Das Goethe-Institut wird fortan, will es tatsächlich diesen Vorgaben folgen, vor allem auf das Ereignis, das ,,event'', als die wichtigste Leistung deutscher Kulturarbeit im Ausland setzen müssen.

Als drittes zentrales Element kommt in der Entscheidungsvorlage der Firma McKinsey die ,,Budgetierung'' hinzu: die Institute im Ausland sollen über das ihnen zur Verfügung gestellte Geld nach eigenem Gutdünken verfügen können. Das sieht nach mehr Freiheit aus - und ist es auch, am Anfang wenigstens. Doch ist mit der Budgetierung auch eine substantiell erweiterte Pflicht zur Rechenschaft verbunden: Der Erfolg jeder einzelnen Maßnahme muss streng betriebswirtschaftlich nachgewiesen werden. Das bedeutet nicht nur mehr Bürokratie, sondern liefert die Kulturarbeit kulturfernen Kriterien aus. Und im Zweifelsfall werden Zeitungsartikel, Radiosendung oder Publikationen beweisen müssen, dass eine Veranstaltung ein Erfolg gewesen ist.

Vorgeschmack

Einen Vorgeschmack auf die Zukunft gaben Festival und Kongreß ,,Die Macht der Sprache'' Anfang Juni in Berlin: Dutzende von Vorträgen, Darbietungen, Ausstellungen zu einem diffus bleibenden, viel zu groß gefassten Gegenstand, über den wenig Neues gesagt, der allenfalls in einzelnen Momenten illustriert wurde. Mehr als fünfhunderttausend Euro wurden hier für eine Veranstaltung ausgegeben, die allenfalls der Selbstinszenierung des Goethe-Instituts diente sowie der Publikation ewig ungelesen bleibender Sammelbände.

Als das Goethe-Institut nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurde, gab man ihm die Rechtsform eines Vereins, um - in Entgegensetzung zur Staatskultur des ,,Dritten Reiches'' wie der DDR - die Unabhängigkeit einer tolerant, weltläufig und demokratisch gewordenen deutschen Kultur von der Macht Gestalt zu verleihen. Realisiert aber wurde diese Selbständigkeit in Analogie zu den Einrichtungen des Auswärtigen Amtes: Jedes Goethe-Institut im Ausland ist auch eine Botschaft, und so wenig wie eine Botschaft kann man die auswärtige Kulturarbeit auf ,,Projekte'' umstellen. Denn sie setzt Beständigkeit voraus, Kontinuität, Berechenbarkeit, Verlässlichkeit und, nicht zuletzt, Großzügigkeit.

Ein Goethe-Institut im Ausland ist eine Bildungseinrichtung, eine Art Schule, und es braucht nicht nur Zeit, sie in der Umgebung einer anderen Kultur zu verankern, man benötigt dafür auch eine Bibliothek und eine Saal. Aus denselben Gründen bedarf es einer Zentrale, die weit mehr ist als eine ,,Service-Einheit'' - denn die Zentrale ist nicht die Putzfrau, sondern die Mutter aller Institute. Sie schafft und pflegt die enge Bindung an die einheimische Kultur, die eine erfolgreiche Arbeit im Ausland erst möglich macht.

Einladung an den Narren

Das Gegenteil von Beständigkeit ist die permanente Bewegung. Ihr dient das ,,Projekt''. Das Gesetz der permanenten Bewegung ist eine offene Einladung an den Narren, sich mit seinen Einfällen in einer Einrichtung breitzumachen, die bis zu seinem Eintreffen eine Institution allenfalls war, sich jetzt aber in seine Bühne verwandelt - und wenn er wieder gegangen, wenn der Vorhang gefallen und der Kongress vorbei ist, dann findet, wo vordem weiter gelesen, gesehen und geredet wurde, nichts mehr statt.

Was sich die Firma McKinsey und ihre Auftraggeber zur ,,Zukunftssicherung'' des Goethe-Instituts ausgedacht haben, von der ,,operativen Autonomie'' bis zur ,,Kundenorientierung'' läuft auf eine Art Mimikry mit dem Schmock der allgemeinen Antragsprosa, wenn nicht gleich auf die Übergabe der auswärtigen Kulturarbeit an die Herrschaft des Narren hinaus - und man müsste wahrlich selber einer sein, um sich von ihm die Salvierung einer Kulturinstitution zu erwarten.

Dabei sieht es gegenwärtig so aus, als hätte das Außenministern, allen voran Frank-Walter Steinmeier selbst, ein neues Interesse an der auswärtigen Kulturarbeit gefasst. Das Reformprogramm aus dem vergangenen Herbst ist eine inhaltliche Definition der auswärtigen Kulturarbeit, mit der sich arbeiten lässt.

Zum ersten Mal seit über zehn Jahren ist nicht nur vom Sparen die Rede, zum ersten Mal steht eine Erweiterung des Budgets von gegenwärtig knapp dreihundert Millionen Euro in Aussicht - nachdem noch im vergangenen Herbst damit kalkuliert werden musste, bis zu einem Drittel der gut 120 Institute im Ausland des fehlenden Geldes wegen zu schließen. Wenn man allerdings so weit ist - und das Goethe-Institut nicht ruinieren, sondern fördern will -, dann sollte man auch den zweiten Schritt tun und über die innere Organisation des Goethe-Instituts nicht nur in Form einer trivialisierten Betriebswirtschaft, sondern auch in kulturellen Kategorien nachdenken.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: