Massentaugliche Musik:Wann ist ein Hit ein Hit?

Grammys Los Angeles Daft Punk Pharrell Williams

Got Lucky: Pharrell Williams und Daft Punk holen sich ihren Grammy ab.

(Foto: AFP/Kevork Djansezian)

Sommerhit, Wiesnhit, Weihnachtshit und Frühlingshit: Die Musikindustrie wird uns weiterhin keine Auszeit gönnen. Aber was macht einen Song heute eigentlich zum Hit? Melodien? Werbung? Oder gar: Inhalte? Versuch über ein Phänomen.

Von Martin Pfnür

Es ist schon ein Kreuz mit dem Hit. Das englische Verb steht fürs "Treffen", fürs "Schlagen", am besten ließe es sich im musikalischen Fall wohl mit "Einschlagen" übersetzen. Und was so richtig einschlagen soll, das muss natürlich entsprechend viele Menschen ansprechen, ergo: massenkompatibel sein.

Manchmal nimmt das mit der Massenkompabilität recht extreme Formen an - was nicht zwangsläufig immer allen gefällt. Etwa im Fall der Kings Of Leon - eine Band, die ihre Karriere mit zwei höchst erfrischenden, von der Kritik hochgelobten Southern-Rock-Alben einläutete, um dann mit jedem Nachfolgewerk ein wenig breitbeiniger auf den Großbühnen dieser Welt zu stehen.

Sie können kaum behaupten, das nicht genau so gewollt zu haben haben, denn nachdem Frontmann Caleb Followill anfangs noch für ein eher überschaubares Publikum grandioses Liedgut über Eimer schrieb, war die Band spätestens mit dem stadiontauglichen "Sex On Fire" von 2008 im Mainstream bei den Antenne-Bayern-Hörern angekommen. Da kann Followill mit den nach eigener Auskunft "schrecklichen Lyrics" hadern wie er will.

"Sex On Fire" handelt übrigens - genau - von feurigem Sex. Und hat einen Refrain, der sich im Ohr festsaugt wie ein Blutegel auf der Haut. Sex und Eingängigkeit statt Indie und Eimer, so scheint es also beispielsweise zu klappen mit dem Hit. Aber: Wie bauen sich andere in der popmusikalischen Gegenwart einen Hit? Ein Versuch über Strategien und Wege zum Hit - anhand eines deutschen, eines internationalen und eines US-Hits.

Hymnen für alle

"Tage wie dieser" von den Toten Hosen

Seit mehr als 30 Jahren existieren Die Toten Hosen mittlerweile, derart genialisch verdichtet wie mit "Tage wie dieser" (2012) hatten sie ihr dosenbierseliges Mitgröl-Pathos bisher aber noch nie. Im Grunde ist dieses Lied ein einziges ums Ausgehen, Abgehen, kurz: ums Saufen kreisendes Exzess-Panorama, in dem Menschen sogar kollektiv "drauf" sein dürfen.

Den euphorischen Refrain ("An Tagen wie diesen / Wünscht man sich Unendlichkeit / An Tagen wie diesen / Haben wir noch ewig Zeit") bekamen sie jedoch derart universell hin, dass die Union um Angela Merkel, deren Mitglieder tendenziell noch nicht "drauf" gewesen sein dürften, 2013 mit diesen Zeilen ihren Wahlerfolg besang, dass die Fußball-Nationalmannschaft sich dem Vernehmen nach mit "Tage wie dieser" 2012 auf die EM-Spiele einstimmte (hat leider trotzdem nicht zum Titel gereicht), und das Stück laut einer Forsa-Studie zum "beliebtesten Lied bei deutschen Geschäftsreisenden im Jahr 2012" gewählt wurde.

Komasäufer, Druffis, Unions-Politiker, Geschäftsreisende, Fußballspieler, Fußballfans - die Toten Hosen nehmen alle mit, und das ist eine durchaus respektable Leistung. So eine Streuweite muss man erst mal hinbekommen. Umso universeller die Hymnen-Lyrics, umso vielversprechender also die Absatzzahlen. Am besten stellt sich der potenzielle Hymnenhitschreiber beim Hymnenhitschreiben wohl vor, wie der Refrain bei einem Bundesligaspiel in der Stadionkurve klingen würde.

Hitstrategie:

  • maximale textliche Universalität
  • maximale Trinkkompabilität
  • maximales Pathos (Musik & Text!)
  • maximale Refrain-Grölbarkeit

"Get Lucky" von Daft Punk

"Get Lucky", der internationale Hit des Jahres 2013, stammt von zwei Franzosen, die mit ihrem Debüt "Homework" (1997) einen wesentlichen Beitrag zum Fortschritt der elektronischen Spielart House leisteten und sich seit Beginn ihrer Musikkarriere als behelmte Roboterwesen inszenieren. Sie geben sich dabei wirklich Mühe, denn Fotos von den beiden ohne Helm gibt es kaum.

Ganz offensichtlich geht es bei Daft Punk also um Geheimniskrämerei. Geheimniskrämerei, die für das Album "Random Access Memories", dem ersten Daft Punk-Studioalbum nach acht Jahren, mit einer mächtigen Werbekampagne perfekt in Szene gesetzt wurde. Die Plattenfirma platzierte Soundschnipsel im begehrten Werbeblock der US-Comedy-Show Saturday Night Live, ließ ein Teaser-Video beim riesigen Coachella-Festival in Kalifornien abspielen und kleisterte die halbe Welt mit Werbeplakaten zu. "Get Lucky" war die erste Single-Auskopplung dieses Albums, und was die Toten Hosen können, das können die Roboter auch, nämlich vom Hedonismus erzählen: "We're up all night for good fun / We're up all night to get lucky." Die ganze Nacht aufbleiben. Spaß haben. So einfach ist das.

Massentauglicher Tabubruch

Um diese Nachricht mitzuteilen, leiht man sich die Stimme von Songwriter, Sänger und Produzent Pharrell Williams, dem derzeit wohl angesagtesten Musiker auf dem Planeten, lässt Nile Rogers, einen der immer noch angesagtesten Gitarristen und Produzenten auf dem Planeten, funky Gitarre spielen, und ordnet die vier Akkorde des ersten großen eigenen Hits "Around the World" in einer großartig groovenden Dauerschleife einfach neu an. (Wiedererkennungswert!) Aber: Um das alles auch so zu machen, muss man als Künstler bereits auf einem mächtig hohen Sockel stehen, sonst würde die Plattenfirma kaum eine solche Multimillionen-Kampagne aufziehen.

Hitstrategie:

  • Geheimnisvolles Image
  • Acht Jahre Pause zwischen zwei Alben
  • Werbung, Werbung, Werbung
  • Große Namen auf der Gästeliste
  • Akkorde aus bekanntem Material neu anordnen
  • Maximale textliche Universalität

"Wecking Ball" von Miley Cyrus

Miley Cyrus, Tochter des christlichen Countrysängers Billy Ray Cyrus, galt als "Hannah Montana" in der gleichnamigen Teenagerserie über ein Mädchen mit Doppelidentität (tagsüber Schülerin/nachts angehimmelter Popstar) einmal als Idealverkörperung des protestantisch-systemerhaltenden Ideals des Disney-Konzerns.

Sie hat durch ihre Zeit als Schauspielerin eigentlich ausgesorgt, doch entweder war ihr dieses Image ein Greul oder sie wollte ganz dringend eine zweite Karriere starten, denn mit ihrem US-Hit "Wrecking Ball" von 2013 hat sie das nach ihrem zweiten Album "Can´t be tamed" ("Bin nicht zu zügeln") von 2010 bereits bröckelnde Hannah-Image vollends zum Einsturz gebracht. Nicht mit dem Song, der eignet sich primär zum Autoscooter-Fahren, vielmehr mit dem dazugehörigen Video.

Miley Cyrus ist dort entweder in leichter Baumwollwäsche oder nur in Stiefeln auf einer Abrissbirne umherschwingend zu bestaunen, ein paar Mal leckt sie auch sehr zärtlich an einem Vorschlaghammer, am Ende räkelt sie sich lasziv auf einem Haufen Bauschutt. Das ist in all seiner liebevoll durchdachten Provokation durchaus unterhaltsam und steht sehr deutlich in der - besonders in den USA mit viel Eifer aufrechterhaltenen - Tradition der Suche nach maximaler Aufmerksamkeit (Vorreiterinnen: u.a. Madonna oder Lady Gaga). Befeuert von der Empörung in konservativen Kreisen, ist diese Strategie dann auch aufgegangen: Mit "Wrecking Ball" und "We can´t stop" war Cyrus 2013 gleich zweimal ganz oben in den US-Charts vertreten.

Hitstrategie:

  • schleichender Imagebruch
  • dezente Provokation durch dezente Nackigkeit
  • maximale Aufmerksamkeit durch dezente Nackigkeit

Ein einnehmender Allgemeinplatz-Text, wie ihn die Toten Hosen bestimmt bald mal wieder unter die Leute bringen werden, eine einnehmende wie omnipräsente Werbekampagne à la Daft Punk, eine einnehmende Hook, wie jene von "Sex On Fire", oder ein einnehmender Nacktauftritt wie jener von Miley Cyrus: Viele Wege führen zum Hit.

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