Martin Warnke:Verweigerte Erinnerung

Prof. Martin Warnke

Martin Warnke.

(Foto: Gerda Henkel Stiftung)

Erzogen in einem Pfarrhaus in Brasilien: Zum 80. Geburtstag des Kunsthistorikers Martin Warnke. Er etablierte sich schon mit seiner Erstlingsschrift "Kommentare zu Rubens"als produktiver Störenfried seiner Disziplin.

Von Willibald Sauerländer

Er wuchs in einem deutschen Pfarrhaus in Brasilien auf und erhielt dort gründlichen Unterricht in den alten Sprachen. Aber nachdem Martin Warnke in Darmstadt das Abitur abgelegt hatte, wandte er sich der Kunstgeschichte zu. Im Fach dünstete damals die Erbauung durch sprachtrübe Werkimmanenz. Warnke ging dagegen in seiner pathoslosen Dissertation mit dem Titel "Kommentare zu Rubens" analytisch vor. Er fragte nach den Ideen und Kräften, welche Rubens frühe Werke zwischen bürgerlicher Stoa und höfischem Absolutismus formten. "Kunst und Politik" lautete die Überschrift eines zentralen Kapitels; damit war ein Grundthema angeschlagen, das Warnke lebenslang beschäftigen wird.

Aber diese Erstlingsschrift tastet sich noch an ganz andere Facetten des Malers heran. Das Münchner Rubens-Gemälde mit dem sterbenden Seneca, das als Exemplum der stoischen Erstarrung im Augenblick des von Nero befohlenen Freitodes notifiziert war, wird von Warnke als Zeugnis einer von der stoischen Dressur losgelösten humanen Natur wahrgenommen. Ob man dieser Deutung zustimmt oder nicht, sie stellt die Frage nach Rubens Umgang mit den Affekten. Warnke leitet sie weiter zu den Ehebildnissen des Künstlers und spricht von der "Konstituierung der Ehe aus den spontanen Regungen der menschlichen Natur".

Warnkes kritischer Ansatz hatte die Potenz einer intellektuellen Störung des akademischen Alltagsbetriebes. Das blieb zunächst unbemerkt, wuchs sich aber im Stichjahr 1968 zu einem handfesten Skandal aus. Alles schien harmlos zu beginnen. Warnke wurde mit der Leitung einer Kongress-Sektion betraut. Ihr Titel lautete: "Das Kunstwerk zwischen Wissenschaft und Weltanschauung". Warnke selbst hielt ein Referat über "Weltanschauliche Motive in der kunstgeschichtlichen Populärliteratur". Es ging um die kritische Hinterfragung einer volkstümlichen Ekphrasis, welche die kunsthistorischen Objekte mit einem "monumentalen" Jargon aufrüstete. Die wütende Reaktion auf diesen so respektlosen wie erhellenden Vorsatz, welche sich bis zur persönlichen Drohung erhitzte, offenbarte, dass Warnke die Affekte einer in Bezug auf Kunst und Kunstgeschichte besitzständischen Klasse getroffen hatte. Er hatte Manches zu ertragen. Aber mit einem Schlage war er zum führenden Intellektuellen einer sich rasch verändernden Disziplin geworden.

Über einen Zwischenstopp in Marburg kam Warnke auf den kunstgeschichtlichen Lehrstuhl in Hamburg. Er setzte seine Studien "zur Vorgeschichte des modernen Künstlers" fort und schloss sie 1985 mit einem schönen Buche über den Hofkünstler ab, das in seiner epischen Ruhe an den verehrten Jacob Burckhardt erinnert.

Die Auseinandersetzungen von 1968 waren verklungen, aber ein mahnendes Wort war stehen geblieben: "Verweigerte Erinnerung". Es bezog sich auf das Verhalten der Daheimgebliebenen zu jenen zahlreichen kunsthistorischen Kollegen, die 1933 hatten fliehen müssen, in bedrängten Verhältnissen lebten, aber in ihrer neuen Heimat ein für Deutschland verlorenes kunsthistorisches und ästhetisches Erbe hüteten. Hamburg war bald nach dem Triumph der nationalen Banausie kunsthistorisch ein Ort der verbrannten Erde geworden. Die für das Studium der Antiken-Überlieferung weltweit einzigartige Bibliothek Warburg hatte sich nach London gerettet. Panofsky, der an der Universität als inspirierender Lehrer gewirkt hatte, war nach Princeton geflohen.

Warnke hat sich mit einer so bewunderungswürdigen wie selbstbescheidenen Aktivität um dieses verschmähte Erbe gekümmert. Er hat die Hamburger Behörden zum Kauf des Warburg Hauses überredet, so dass dort wieder geistiges Leben pulsiert. Er hat bewirkt, dass die deutschsprachigen Schriften seines Amtsvorgängers Panofsky wieder in Buchform greifbar sind. Und er hat das Erscheinen eines "Biographischen Handbuchs deutschsprachiger Kunsthistoriker im Exil" gefördert. Keiner hat wie er die "verweigerte" Erinnerung zu einer "zurückgerufenen" gemacht.

Warnke war ein gesuchter Lehrer. Er hat sensible Bücher über Rubens und Velázquez geschrieben. Dort lernt man einen Warnke mit Gespür für Farbe und bewegte Figur kennen. Man geht gerne mit ihm in Museen und Ausstellungen. Es war immer ein Glück, sich mit ihm auszutauschen. So sei mit einer Erinnerung geschlossen. 1972 trafen wir uns zur Vorbereitung eines Kongresses. Ich schlug als Sektionstitel den schwer beschuhten Satz "Kunst im Zeitalter der Aufklärung" vor. Warnke replizierte lächelnd: "Kunst ist immer Aufklärung". An diesem Donnerstag wird Martin Warnke 80.

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