"Marley" im Kino:Eure Zeit wird kommen

Entspannter Rastafari oder unermüdlicher Irrwisch der Bühnen? Kevin Macdonalds faszinierendes Filmporträt des Reggae-Propheten Bob Marley begibt sich auf die Suche nach der Person jenseits von Image und Mythen.

Rainer Gansera

Die Botschaft ist okay, "Peace - Love - Unity", und der Lebensstil Bob Marleys beinhaltet schon die entscheidenden Dinge, Musik, Frauen, Marihuana, Fußball. Vor allem diese Musik mit dem unglaublich lässigen, zurückgelehnten, marihuanakompatiblen Sound: Reggae! So sahen wir Superstar Marley, als er Mitte der siebziger Jahre mit den Wailers seine triumphale Europatournee absolvierte.

Kinostarts - 'Marley'

Unermüdlich, auf der Bühne und privat: Reggae-Ikone Bob Marley.

(Foto: Studiocanal)

Seine Auftritte waren aufgebaut wie schamanistische Mysterien. Es konnte schon mal eine Stunde dauern, bis der erste Musiker, meist der Bassist, die Bühne betrat. Nach weiteren fünfzehn Minuten folgte der Drummer, dann die Chorsängerinnen, schließlich der Zeremonienmeister, tanzend, die Rastalocken wirbelnd, mit seiner heiser-beschwörenden Stimme. Die Musik schwang sich stetig intensiver in langwellige, kosmische Vibrationen ein, das "Let's get together and feel alright" war kein falsches Versprechen. Nach dem Konzert fühlte man sich mindestens so beglückt und erleuchtet wie die Besucher des Hochamts in Gottfried Kellers "Der grüne Heinrich".

In Dokumentationen gibt es oft nur kümmerliche Musikschnipsel, die zudem als Beleg für Kommentarthesen missbraucht werden. Kevin Macdonald, erfahren als Spielfilmregisseur ("Der letzte König von Schottland") und Dokumentarist ("Ein Tag im September") versucht etwas anderes in seinem zweieinhalbstündigen "Marley", er macht Atmosphärisches spürbar - auch in den biografischen Passagen. Er geht in einem schier unerschöpflichen Fundus von Archivaufnahmen auf Entdeckungsreise und findet den Interviewpartner, der die treffende Anekdote beisteuern kann.

So schildert er bilderstark die Mischlings-Jugend Bob Marleys in jamaikanischen Blechhütten-Vierteln - Bobs Vorfahren mütterlicherseits waren aus Afrika herbeigeholte Sklaven, sein Vater ein weißer britischer Armeeangehöriger. "Die meisten Europäer und Amerikaner können kaum nachvollziehen, was für ein Stigma damit verbunden war und wie er unter diesem Stigma litt", erläuterte Macdonald bei der Uraufführung auf der Berlinale. Das Musikmachen war die Chance zur Ausflucht, die Rasta-Religion auch.

1962 wird Jamaika unabhängig und der siebzehnjährige Bob nimmt seinen ersten Song auf. Besonders schön erzählt Macdonald, wie der Reggae Inspirationen von Ska, Funk, Rhythm&Blues und Jazz aufnimmt und eigene Kontur gewinnt: der Bass liefert das "Rückgrat" der Songs, das Schlagzeug den "Herzschlag", dazu die scharfkantigen Chaka-Chaka-Riffs der Rhythmusgitarre und Texte, die sich mit politisch-religiöser Emphase aufladen. Bob Marley gerät zwischen die Fronten der politischen Auseinandersetzungen in Jamaika. Er entkommt einem Attentatsversuch, emigriert nach London und schafft es dann doch, bei einem "Friedenskonzert" in Kingston 1978 die Anführer der verfeindeten Parteien zu einer Geste der Versöhnung zu bewegen.

Marley entwirft kein Heiligenbild, sondern will der Person jenseits von Image und Mythos nahekommen. Bob war offenkundig schüchtern und doch ein unermüdlicher Womanizer. Offiziell verzeichnet sind elf Kinder von sieben Frauen. Vor allem nach dem Zeugnis seiner Kinder hatte er nichts von einem herumhängenden Kiffer. Das Marihuana gehörte zum Ritus der Religion. Er gönnte sich nur vier Stunden Schlaf, bastelte unermüdlich an neuen Songs, war selbst beim heißgeliebten Fußballspiel auf vollen Einsatz und Sieg bedacht.

Als ein Arzt an einer Zehe Krebs diagnostizierte, wollte er das nicht wahrhaben. Er fürchtete die Amputation, tanzte weiter wie ein Irrwisch über die Bühnen. Zu spät ging er in Behandlung, starb 1981, mit 36 Jahren. Macdonald: "Ich denke, einer der Gründe, warum Bob heute noch so allgegenwärtig ist, liegt darin, dass er die Unterdrückten auf der ganzen Welt anspricht. Seine Stimme sagt: Eure Zeit wird kommen!"

MARLEY, USA/GB 2012 - Regie: Kevin Macdonald. Mitwirkende: Bob Marley, Ziggy Marley, Jimmy Cliff, Cedelia Marley, Rita Marley. Studiocanal, 144 Min.

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