Markus Schächter:"Wir meinen es ernst mit dem Spaß"

"In den nächsten vier Jahren wird sich möglicherweise mehr ändern als in den 40 Jahren vorher": Der ZDF-Intendant über Chancen und Rolle der Öffentlich-Rechtlichen beim Fernsehen der Zukunft.

Hans-Jürgen Jakobs und Christopher Keil

SZ: Herr Schächter, bei der Fußball-WM erzielten ARD und ZDF Rekord-Marktanteile. Wie lange werden die Öffentlich-Rechtlichen angesichts gewaltiger Umbrüche im TV-Markt solche Feste noch feiern können?

Markus Schächter: Ein Mann und seine Marke

Ein Mann und seine Marke

(Foto: Foto: ddp)

Markus Schächter: Solches Eventfernsehen wird es weiter geben, zum Beispiel 2010 bei der WM in Afrika und hoffentlich 2008 bei der EM. Gutes Fernsehen ist live und frei.

SZ: Aber die neuen Konkurrenten könnten die Übertragungsrechte kaufen.

Schächter: Sie werden es schwer haben. Große Sportereignisse müssen frei empfangbar sein. Beim Fußball spielen die Sponsoren der Vereine und Verbände eine wichtige Rolle, und die brauchen ein großes Publikum. Sponsoren wollen nicht im Bezahlfernsehen oder in irgendeinem Test-TV verschwinden.

SZ: In das Fernsehgeschäft drängen jetzt Kabelnetzbetreiber und Telefonfirmen, die von milliardenschweren Private-Equity-Gesellschaften aus Amerika finanziert werden. Wie lange können sich ARD und ZDF auf ihrem Posten halten?

Schächter: In den nächsten vier Jahren wird sich möglicherweise mehr ändern als in den 40 Jahren vorher. Die Entwicklung wird vor allem von der Technik vorangetrieben. Doch die Fundamente des Fernsehens bleiben.

SZ: Was wird sich bis 2010 besonders stark verändern?

Schächter: Es wird neue Verbreitungswege über ganz neue Plattformen und neue Empfangsgeräte geben. Unabhängig von Sendezeiten werden die Zuschauer auf Abruf, on demand, ihre Lieblingssendungen anschauen. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass ein großer Teil des Publikums Fernsehen in der klassischen Form nutzen wird.

SZ: Die BBC will bald 50 Prozent ihrer wirtschaftlichen Erträge über das Internet erzielen.

Schächter: Deutschland ist nicht England. Der Markt ist ein anderer. Dort sind bereits 72 Prozent der Haushalte digitalisiert, hier erst 24 Prozent.

SZ: Trotzdem, wo soll die Marke ZDF in diesem neuen Fernsehen bleiben?

"Wir meinen es ernst mit dem Spaß"

Schächter: Das Hauptprogramm bleibt ein Leuchtturm. Auch in Manhattan schauen 85 Prozent nur sechs von 280 Kanälen. Die etablierten Sendermarken, die im kollektiven Gedächtnis fest verankert sind, bleiben stark.

Markus Schächter: Macht Ernst mit der Unterhaltung: Markus Schächter

Macht Ernst mit der Unterhaltung: Markus Schächter

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Es zeichnet sich ab, dass mit Kabel, Satellit, digitalem Antennenfernsehen und Internet-TV verschiedene Plattformen entstehen und die klassischen Sender zu Inhaltelieferanten werden.

Schächter: Unser Ziel ist es, als unabhängiger Sender auf allen Plattformen vertreten zu sein. Unser Stellenwert wird dabei eher zunehmen. Fernsehen wird von den neuen Playern immer mehr als Geschäftsmodell gesehen, in dem nicht mehr die publizistische Grundidee, sondern ausschließlich Geldverdienen zählt. Wenn großes Geld nur große Kasse machen will, ist öffentlich-rechtliches Fernsehen das attraktive Gegenmodell.

SZ: Kann ein Sender wie das ZDF dabei alleine bleiben, oder sind neue Partnerschaften, neue Allianzen nötig?

Schächter: Es gibt dazu Fragen an die Medienpolitik und die EU-Kommission. Immerhin scheint klar, dass ARD und ZDF die Ermächtigung haben, bei allen neuen Entwicklungen dabei zu sein. Wir sind mit allen Plattformbetreibern im Gespräch. ARD und ZDF sind dabei als Marktführer besonders gefragt. Es geht um Plattformen wie etwa Handy-TV, wo wir bei der DMB-Plattform ebenso dabei sind wie bei dem DVB-H-Projekt der vier großen Mobilfunkbetreiber. Oder beim Fernsehen über DSL, wo wir mit der Telekom kurz vor dem Abschluss einer Vereinbarung stehen und mit anderen wie Telefonica oder Hansenet schon alles klargemacht haben. Dabei ist es uns immer gelungen, unsere Prinzipien zu gewährleisten: also freien und ungehinderten Empfang für alle und ohne zusätzliches programmbezogenes Entgelt.

SZ: Was planen Sie mit den anderen öffentlich-rechtlichen Sendern Europas?

Schächter: Wir sind in sehr enger Kooperation mit der BBC, wo Mark Thompson Suchmaschinen im Internet entwickeln will, weil öffentlich-rechtliches Fernsehen im Netz auffindbar sein muss.

SZ: Das Programm des ZDF ist zum großen Teil über die Rundfunkgebühr finanziert. Wollen Sie, dass Ihre Sendungen deshalb auch im Internet oder bei Handys zum Pflichtangebot werden?

Schächter: Überall da, wo klassisches TV verbreitet wird, ja. Plattformbetreiber neigen dazu, ihre eigenen Angebote zu Lasten Dritter durchzusetzen. Es muss sichergestellt werden, dass öffentlich-rechtliches Fernsehen nicht auf Nebenkanälen verschwindet. Wir haben die medienpolitische Unterstützung, dass die Programme von ARD und ZDF für neue TV-Verbreitungswege gesetzt sind.

SZ: Im Kabel und im Satelliten-TV werden Programme nun verschlüsselt und müssen, gegen Gebühr, über einen Decoder entschlüsselt werden. Das ist die Voraussetzung für neue Pay-TV-Angebote. Werden ARD und ZDF nicht von dieser Entwicklung überrollt?

Schächter: Bislang war noch keine private Sendergruppe so mutig, ihre frei empfangbaren Programme einfach abzuschalten. Die propagierte Grundverschlüsselung zeigt aber die Tendenz vom Free-TV zum Fee-TV. Fernsehen wird teurer. Auch das künftige Abruf-Fernsehen kostet ...

SZ: ... was Sie nicht anbieten können.

Schächter: Derzeit nicht gegen Entgelt. Aber vieles ist im Fluss. Das zeigt ein Blick nach Frankreich.

"Wir meinen es ernst mit dem Spaß"

Unser Partnerkanal Arte etwa kann dort Dokumentationen nach der TV-Ausstrahlung online vertreiben. Für 1,99 bis 2,99 Euro, um die Kosten zu decken. Ich kann mir vorstellen, dass man künftig in der ersten Woche nach dem Sendetermin eigene Angebote kostenlos zur Verfügung stellt und bei späteren Abrufen einen Kostenbeitrag erhebt. Bisher wird die gleiche Dokumentation als DVD für 19,99 Euro angeboten. Hier stellt sich nachdrücklich die Frage, ob nicht ein Abruf mehr im Zuschauerinteresse liegt.

SZ: Bisher ist nur erlaubt, dass ARD und ZDF ein programmbegleitendes Online-Angebot machen.

Schächter: Wir haben diese Regelung akzeptiert und uns mit anderen Interessengruppen wie dem Bund Deutscher Zeitungsverleger verständigt. Aber das Internet und andere Medien verschmelzen. Die klassische Trennung von TV, Hörfunk und Online wird immer mehr aufgehoben. Vor allem junge Menschen verändern ihre Mediennutzung zurzeit.

SZ: Das Durchschnittsalter der ZDF-Zuschauer liegt weiter bei 59 Jahren.

Schächter: Im Netz können wir jüngere Zuschauer erreichen und mit unserem Programm in Berührung bringen. Wir haben vor 20 Jahren im ZDF mit logo die Nachrichtensendung für Kinder gestartet. Warum soll es so etwas nicht für junge Erwachsene geben? Wir reden gerade in Anbindung an unsere Flaggschiffe heute und heute-journal über eine solche News-Sendung für den Digitalkanal zdf.info, die auch online angeboten wird.

SZ: Der Privatsender-Verband VPRT wird dies als ungebührliche Programmexpansion kritisieren.

Schächter: Keine Rede. Die Sendung entsteht wie logo aus unserer TV-Nachrichtenredaktion. Im Übrigen achten wir strikt darauf, die für Online-Aktivitäten vorgeschriebenen Normen einzuhalten.

SZ: Die Telekom will in einigen Monaten ihr Internet-TV starten. Da sollen ganz viele Fernsehsender zu sehen sein. Auch das ZDF?

Schächter: Das wird so sein.

SZ: Die Telekom hat, genau wie der Kabelnetzriese Unity Media und seine TV-Tochter Arena, Senderechte an der Fußball-Bundesliga gekauft. Große Infrastrukturkonzerne werden somit zu Medienfirmen mit eigenen Inhalten: Eine gefährliche Entwicklung?

"Wir meinen es ernst mit dem Spaß"

Schächter: Eine beträchtliche Verschiebung bisher gültiger Maßstäbe. Im sensibelsten Bereich öffentlicher Güter, dem der Meinungsbildung, werden grundsätzliche Regeln nicht beachtet. So frei können sich Netzanbieter etwa im Strom- und Gasmarkt nicht bewegen.

Es liegt nahe, dass Firmen wie Unity eigene Inhalte aus ökonomischem Eigeninteresse höher schätzen und bevorzugt den Kunden anbieten, und die anderen finden sich dann unter "ferner liefen". Ich sehe hier Gefahren für das Vielfaltgebot, das sich aus Artikel 5 des Grundgesetzes ableitet. Die kommunikative Chancengleichheit droht auf der Strecke zu bleiben. Das ist alarmierend.

SZ: Also war die Vergabe der Bundesliga-Rechte eine Art Sündenfall?

Schächter: Bei Gas und Strom würde es als Sündenfall angesehen. Bei den Medien gibt es kaum einmal eine öffentliche Debatte darüber.

SZ: Bisher galt das Leitbild vom dualen System, vom geordneten Nebeneinander des öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunks. Ist es nicht längst ersetzt vom triple play großer Kommunikationskonzerne, die Fernsehen, Telefon und Internet aus einer Hand anbieten?

Schächter: Man wird die Uhr nicht einfach zurückdrehen. Aber die Medienpolitik sollte sehr genau hinschauen, was da geschieht. Es wird Zeit für einen neuen Ordnungsrahmen.

SZ: Müsste dabei ein besonderes Augenmerk auf die Telekom gerichtet werden? Sie baut, politisch geschützt, ein neues Glasfasernetz aus, kauft sich Bundesliga-Rechte hierfür, fördert das eigene große Online-Angebot und ist auch noch im Mobilfunk vorn dabei.

Schächter: Die Telekom ist ein komplexes Unternehmenshaus mit vielen Zimmern. Ich bin vorsichtig, wenn man da schon eine Gesamtstrategie als Content-Haus, als Inhalteanbieter, unterstellt. Aber es gibt sicher Grenzgängereien.

SZ: Die Telekom hat Franz Beckenbauer als Werbe-Galionsfigur gewonnen, auch für ihr Internet-TV. Bislang war er Fußballexperte im ZDF. Ein Symbol?

Schächter: Das Angebot, das Beckenbauer von dort bekam, war unschlagbar. Bei solchen rasanten Marktänderungen sind Stars und prominente Macher immer als Erste gefragt. Der Sport wird immer teurer, wenn neue Player auftreten. Doch die Angebote des triple play müssen erst noch das große Publikum suchen. Es ist eine Teststrecke, blockiert von unterschiedlichen Mautstellen. Der technische und finanzielle Aufwand ist sehr hoch. Es ist eine neue Konkurrenz, aber keine existentielle Bedrohung wie in den achtziger Jahren das Aufkommen der Privatsender.

SZ: Was macht Sie gelassener?

Schächter: Wir sind ein starker Sender, eine starke Marke, und wir haben herausragendes Personal, das wir im Übrigen überwiegend im eigenen Unternehmen entwickelt haben. Nehmen Sie Steffen Seibert oder Marietta Slomka. Teure Zukäufe brauchen wir nicht. Für Unterhaltung und Show-Sendungen schauen wir immer wieder mal nach Talenten. Wir meinen es ernst mit dem Spaß und werden diesen Bereich neu akzentuieren.

SZ: Wenn die Verhandlungen von Günther Jauch mit der ARD über eine neue Sonntagabend-Talkshow in Nachfolge von Sabine Christiansen scheitern, steht dann das ZDF bereit?

"Wir meinen es ernst mit dem Spaß"

Schächter: Wir haben Maybrit Illner am Donnerstag.

SZ: Die selbst sagt, der Sonntagabend sei reizvoll.

Schächter: Wir genießen den Luxus, über keinen Wechsel nachdenken zu müssen.

SZ: Sie haben 2005 mit Jauch über einen Sonntagstalk geredet.

Schächter: Ich kenne und schätze Günther Jauch seit langer Zeit. Wenn er und die ARD so laut und so öffentlich ihre Verlobung bekannt geben, dann ist davon auszugehen, dass die Hochzeit auch stattfindet.

SZ: Jauch hat früher zugleich im ZDF das Sportstudio und bei RTL moderiert. Können sich öffentlich-rechtliches und privates Fernsehen einen solche TV-Prominenten teilen?

Schächter: Eine Persönlichkeit mit Markenqualität wird stets genau zugeordnet. Man kann sie nur schwer auf verschiedene Sender verteilen. Die Diskussion über den Wechsel zeigt aber auch, wie wichtig große Stars für das Profil von Fernsehsendern sind.

(SZ vom 28.7.2006)

© Markus Schächter, 56, wurde im Dezember vorzeitig als ZDF-Intendant wiedergewählt, seine zweite Amtszeit beginnt im März 2007. Der Pfälzer stieg 1973 beim Südwestfunk in den Journalismus ein. Beim ZDF leitete Schächter verschiedene Redaktionen sowie die Hauptabteilung Programmplanung und stieg 1998 zum Programmdirektor auf. Seit 2002 ist er Intendant. Mit der Zukunft des Fernsehens hat er sich früh beschäftigt: Anfang der achtziger Jahre war er beim ZDF Referent für Planungsfragen des Kabel- und Satellitenprogramms. - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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