Marko Martin: "Kosmos Tel Aviv":Liebeserklärung in zärtlichem Hebräisch

Er schreibt von Israel als zweiter Heimat, nicht als unvertraute Fremde. Marko Martins Buch "Kosmos Tel Aviv" ist aber immer dann am schwächsten, wenn es um den Nahost-Konflikt geht - und der Autor in die Klischeefallen tappt.

Von Thorsten Schmitz

Marko Martin war 19 Jahre alt, als er seine erste Heimat verlor. Im Mai 1989 gelang ihm die Ausreise aus der DDR nach West-Berlin. Er hatte den Armeedienst verweigert und durfte nicht studieren. Seine zweite Heimat hat Martin in Israel gefunden. Er ist magisch angezogen von Israels Widersprüchen, dem bunten Volk, der Wüste, dem Nachtleben von Tel Aviv.

Sein neues Buch ist auch eine Liebeserklärung. In zärtlichem Hebräisch schreibt er einmal: "Israel sheli." Du, mein Israel. Marko Martin hat alle Sympathien der Welt für sein Israel. Warm schreibt er über das Land und dessen Bewohner, mit offenem Herzen und oft schön frech. Wenn er durch Jerusalems Unabhängigkeits-Park cruist, über "nachdenklich scheinende Laptop-Besitzer" in einem Tel Aviver Café sinniert und sich lustig macht über schwitzende Israel-Korrespondenten, scheint eine Frische durch, die selten ist, wenn deutsche Nicht-Juden über Israel schreiben. So schreibt einer, der nicht nur für drei Recherchetage nach Israel reist, mit einem Koffer voller Vorurteile, sondern jemand, der sich in der Fremde auch heimisch fühlt.

Man fragt sich allerdings, warum Marko Martin sich selbst nicht traut: Denn fast alle Geschichten bestehen aus Begegnungen mit israelischen Schriftstellern. Er diskutiert mit ihnen über Israels gespaltene Gesellschaft und über den Nahost-Konflikt. Warum eigentlich, fragt man sich, müssen Israels Schriftsteller immer herhalten für Konfliktanalysen? Hätte Martin sich doch einfach nur treiben lassen durch Israel, wünschte man.

An den Stellen, in denen der Nahost-Konflikt das Gerüst für seine Streifzüge bildet, ist Martins Buch am schwächsten, denn zum Nahost-Konflikt ist eigentlich doch schon alles gesagt. Er tappt auch in Klischeefallen: Israelis hätten nie Zeit, weil sie nie wüssten, wie lange sie noch lebten, und deshalb der schnelle Sex auf Disco-Toiletten. Auch nicht neu: Dass Tel Aviv eine realitätsferne Blase sei. Nicht fehlen darf, natürlich nicht, der grausige Securitycheck vor El-Al-Flügen.

Amüsant und aufschlussreich sind Martins Geschichten zu lesen, wenn er den Klischeepfad verlässt - und sich selbst vertraut. Wenn er den ehemaligen Time-Korrespondenten trifft, der jetzt Krimis schreibt, in denen ein palästinensischer Kommissar ermittelt. Oder wenn er ein Restaurant im Süden Tel Avivs besucht, in dem abends "junge Äthiopier und junge Rumänen noch verlegen in ihren besten T-Shirts zum ersten Mal ihre Mädchen ausführen". Oder wie er eine versiffte Studentenbude beschreibt und eine "dritte Mitbewohnerin verschlafen auf- und wieder abtaucht". Mit solchen Episoden zeigt Martin: Seine zweite Heimat ist tausendmal spannender als der Nahost-Konflikt.

Marko Martin: Kosmos Tel Aviv. Streifzüge durch die israelische Literatur und Lebenswelt, Wehrhahn-Verlag, Hannover. 2224 Seiten, 19,80 Euro.

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