Maribor als "Europäische Kulturhauptstadt 2012":Gute Ideen bei knappen Kassen

Deutsche Dominanz und die Suche nach einer slowenischen Identität: Die Geschichte der Stadt Maribor ist von kulturellen Gegensätzen geprägt. Nun inszeniert sich die Provinz-Metropole mit wenig Geld als "Europäische Kulturhauptstadt" des Jahres 2012 - mit "intellektuellen Huren", einem Web-Beichtstuhl und dem Appell zur Selbstversorgung. Den Touristen scheint es zu gefallen.

Cathrin Kahlweit

Groß war Maribor nie, vielleicht auch nicht wirklich schön, aber zumindest war es bedeutend, früher einmal. Als es Jugoslawien noch gab und der Balkan Autos, Stahl und technische Geräte brauchte, da war die zweitgrößte Stadt Sloweniens industrieller Motor des Landes.

Alter Wein und junge Künstler - Maribor ist Kulturhauptstadt 2012

Ptuj mit seiner malerischen Altstadt, den Kirchen, Burgen und dem Schloss hoch über dem Ort: Die älteste Stadt Sloweniens ist eingebunden in das Programm der "Kulturhauptstadt Europas 2012", Maribor.

(Foto: www.slovenia.info/Matej Vranic)

Seit der Unabhängigkeit ist das Bild ein anderes: Nun findet, wer nach Maribor (Marburg) in der Untersteiermark fährt, eine Provinzstadt von 120.000 Einwohnern vor, die Arbeitslosigkeit beträgt knapp zwanzig Prozent, die meisten großen Fabriken stehen leer, und die Stadt sucht eine neue Identität.

Neue Identitäten für postindustrielle Städte werden in anderen Regionen Europas vielleicht am Reißbrett und mit viel Geld gestaltet, und selbst dann gelingt die Neu- und Selbsterfindung nicht immer - aber das kleine Maribor hatte lange Zeit weder viel Geld noch viele gute Ideen.

Doch dann wurde der Titel "Europäische Kulturhauptstadt 2012" vergeben, auch Sloweniens Hauptstadt Ljubljana (Laibach) bewarb sich, den Zuschlag bekamen jedoch die Konkurrenten aus dem Norden. Maribor, einen Steinwurf von der österreichischen Grenze und Graz entfernt, soll nun ein Jahr lang seinen Namen weithin bekannt machen und das Wort Kultur mit neuem Leben füllen. Und fünf weitere, kleine Kommunen der Peripherie einbinden, die ebenfalls Veranstaltungen für die Kulturhauptstadt organisieren, auch wenn sie bis zu hundert Kilometer entfernt liegen.

Was hat sich seitdem geändert? Nun, alles und doch sehr wenig. Als die Planung 2008 einsetzte, dachte man groß in Maribor, konzipierte eine neue Kunstakademie und träumte von einer großen Konzerthalle. Dann kam die Finanzkrise, von den anfangs bewilligten vierzig Millionen Euro blieb etwa die Hälfte übrig.

Nun ist Maribor seit exakt einem halben Jahr Kulturhauptstadt. Geldmangel und Provinzialität versucht man in der kleinen Stadt an der Drau seither zum Programm zu machen, etwas anderes bleibt den Organisatoren auch gar nicht übrig.

Kritische Geister wie Dejan Pestotnik von der Gruppe Kibla, die im Bürgerhaus Ausstellungen und einen Buchladen organisiert und am Konzept für die Kulturhauptstadt 2012 mitgeschrieben hat, finden zwar, Maribor habe sich seine Malaise teilweise selbst zuzuschreiben. "Nachdem wir den Zuschlag bekommen hatten, passierte erst einmal gar nichts", sagt Pestotnik. Und als dann die Finanzkrise den Machern das Wasser abgrub, habe man versäumt, auf breiter Basis Gelder einzuwerben, kompetente Ideengeber zu suchen.

Junge Musik und kontroverse Kunst

"Wenn man böse wäre, würde man sagen, der Bürgermeister hat geglaubt, er und seine Freunde könnten das alles allein." Aber auch der Künstler räumt mittlerweile ein: Trotz leerer Kassen habe die Stadt eine Menge aus ihrer Chance gemacht. "Wir sind stolz auf das Niveau des Programms."

Alter Wein und junge Künstler - Maribor ist Kulturhauptstadt 2012

Alter Wein und junge Künstler: Qualmende Schlote bestimmen in der alten Industriestadt Maribor längst nicht mehr das Stadtbild. Die Stadt ist schöner geworden, doch die leerstehenden Fabrikhallen treiben die Arbeitslosigkeit in die Höhe.

(Foto: www.slovenia.info/Matej Vranic)

Stolz auf Maribor zu sein, das mussten die Einwohner der Europäischen Kulturhauptstadt 2012 erst üben. Zeitweilig verlor die Kommune vier Prozent ihrer Einwohner, jedes Jahr. Nachts waren die Straßen leer, die Geschäfte waren es ohnehin.

Nur noch dreimal am Tag fährt ein Zug direkt in die nächste große Stadt, nach Graz. Mittlerweile aber ist so viel los, dass man sich wieder trifft, ausgeht, mitmacht. "Am Anfang fragten die Ladenbesitzer, warum sie unser komisches buntes Logo an die Tür kleben sollen", berichtet eine der vielen jungen "Kulturbotschafterinnen", "inzwischen laufen sie uns die Tür ein."

Das mag auch daran liegen, dass siebzig Prozent mehr Touristen in der Stadt sind als im Vorjahr, die meisten auf der Suche nach einer deutsch-österreichisch-slowenischen Geschichte, verpackt in junge Musik und kontroverse Kunst. Die Geschichte, eine Melange aus Habsburg und Deutschösterreich, altem und neuem Nationalgefühl, der Suche nach frühen Wurzeln und einem neuen Gesicht, spiegelt sich derzeit in zahlreichen Ausstellungen wider.

Klein und leicht zu übersehen präsentieren sich in einem Kellerraum "Die Wurzeln von Maribor", wo ein Student in rührendem Deutsch das Modell der Markburg erklärt, die hoch über der Stadt im zwölften Jahrhundert errichtet wurde. Heute liegen die Trümmer inmitten von Weinbergen; derzeit wird auf der Suche nach den Resten oben an der Burg wieder gegraben.

Publikumsmagnet der vergangenen Wochen war indes die Ausstellung "Die Deutschen in Maribor", die von einer jungen slowenischen Historikerin gestaltet wurde und bei den Besuchern zu einiger Verwirrung führte. Denn die Slowenen im lange Zeit deutschsprachigen und deutschösterreichisch geprägten Maribor subsumieren alles unter "deutsch", was ihre Stadt und ihr Land über Jahrhunderte ausmachte, wiewohl die Stadt der Habsburger Doppelmonarchie angehörte und erst 1918, nach dem Untergang Österreich-Ungarns, in kurzer Zeit vom Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen vereinnahmt wurde.

Das 19. Jahrhundert vor allem war kulturell "deutsch" geprägt, achtzig Prozent der Bewohner sprachen deutsch, Kulturvereine wie "Schlaraffia Marphurgia" pflegten laut Satzung "Kunst und Humor", veranstalteten Goethelesungen und Schlachtfeste.

Das aufkeimende Nationalbewusstsein einer Bevölkerung, die die Habsburger oder kurz "Die Deutschen" zunehmend weniger als Inspiratoren denn als Ausbeuter empfanden, machte der Begeisterung für die kulturelle Vormacht ein Ende.

Ein paar Seilbahn-Gondeln in der Fußgängerzone

Wo einst die "Slowenen arbeiteten und die Mönche guten Wein tranken" und später der "heimische Wein per Zug zu den Herren nach Wien" geschafft wurde, wie die kundige Stadtführerin nicht ohne Süffisanz formuliert, da setzte sich die Idee durch, dass man ein eigenes Erbe, eine eigene Identität brauche.

SLOVENIA-EUROPEAN UNION-MARIBOR

Irgendwie deutsch, aber vielleicht auch österreichisch, und dann doch etwas anderes: Ansicht des zentralen Stadtplatzes von Maribor.

(Foto: AFP)

Für Slowenen bedeute der Begriff Nation eine ethnische Kategorie, heißt es in der Ausstellung "Die Deutschen in Maribor", für die Deutschen sei es immer um das subjektive Gefühl der Zugehörigkeit gegangen. Darüber ließe sich zwar intensiv streiten, aber die Botschaft ist klar: Wir haben nicht dazugehört.

Mittlerweile hat diese Schau ihre Pforten geschlossen, denn jetzt kommt der Sommer und mit ihm viel Aktivität im Freien: Das Festival Lent mit Hunderten Veranstaltungen in 16 Tagen lockt an die malerischen Drau, die, von zahlreichen Brücken gequert, die Stadt durchschneidet, und auch in der Innenstadt werden täglich mehrmals Open-Air-Bühnen bespielt.

Weil so viele Häuser abbruchreif sind und verfallen, hat man sie jungen Künstlern überlassen, die in die Fensteröffnungen ihre Skulpturen oder in leere Mauerwerke ihre Installationen bauen. In der Fußgängerzone stehen ein paar Seilbahn-Gondeln, gestrandet wie Wale auf dem Trockenen, in denen sich des nachts "intellektuelle Huren" einfinden - Geisteswissenschaftler, die man auf ein Stündchen in der Gondel für eine kluge Debatte mieten kann.

In einem Hauseingang läuft, jederzeit abrufbar, eine Kamera, die als "Beichtstuhl" annonciert ist; wer hineinspricht, findet seine Beichte Stunden später im Netz wieder. Das Puppentheater der Stadt, das in einem alten Minoritenkloster untergebracht ist, zeigt Modernes und, für Sprachunkundige, auch Sprachloses, wobei die Geschichte dieses Hauses ein Spiegel der Kulturhauptstadt 2012 ist:

Mit Liebe zum Detail wurde das Theater renoviert und ist doch nicht fertig geworden, weil das Geld ausging. Böse Geister sagen, es sei in fremde Taschen umgeleitet worden. Um für gute Stimmung und den Weiterbau zu sorgen, haben die Marionetten-Künstler über den Knochen der Mönche, die das Puppentheater einst bewohnten, Kerzen angezündet. Damit diese Geister nicht auch noch spuken.

Die Generaldirektorin von "Maribor 2012", Suzana Zilic-Fiser, berichtet vom verzweifelten Versuch, das Jahr als Kulturhauptstadt "nachhaltig" zu gestalten. "Es soll ja auch nach 2012 etwas bleiben." Daher habe man vier unterschiedliche Konzepte entwickelt, mit denen man das Jahr und sein Programm strukturiere: Der "Stadtschlüssel" soll zur Restaurierung und Wiederbelebung des Stadtkerns beitragen.

"Terminal 12" lockt bildende Kunst und Musik nach Maribor, "Leben per Touch" soll die Bürger mit Internet und moderner Technik befreunden. Und dann gibt es da noch "Urbane Furchen", ein Programm, das Minderheiten wie die Roma oder ehemalige jugoslawische Nachbarn wie Serben und Kroaten einbinden will. Und mit dem für lokale Produkte, für Gärten in der Stadt geworben wird. Man könnte auch sagen: für die Rückkehr zur Selbstversorgung. Mancher Bürger von Maribor hat das bitter nötig.

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